Knapp zwei Millionen Russen dürfen ihr Haus seit diesem Donnerstag nicht mehr verlassen. Warum? Sie sind über 65 Jahre alt und leben in Moskau. Die Ausgangssperre soll die Senioren vor dem grassieren Coronavirus bewahren. Offiziell hat Russland bis dato 840 bestätigte Infektionsfälle, 546 davon in Moskau. Die russische Hauptstadt entwickelt sich zum Epizentrum des neuartigen Virus.
Noch zögert der Kreml eine allgemeine Ausgangssperre zu verhängen. Stattdessen soll die Risikogruppe isoliert werden. Aber wie stellt man sicher, dass 1,9 Millionen Menschen wirklich in den eigenen vier Wänden bleiben? Strafen?
In den letzten Tagen dürften die russischen Behörden die Entwicklung in Italien genau beobachtet haben. Dort gilt seit dem 10. März eine Ausgangssperre. Doch die Italiener sind eine freiheitsliebende Nation. Sie lassen sich auch von einem Coronavirus nicht schrecken. Gerade jetzt, wenn die Tage wärmer werden. Die Polizei hat bereits 100.000 Verstöße dokumentiert. Die italienische Regierung sieht sich gezwungen, immer härtere Strafen für die Missachtung der Maßnahmen einzuführen. Zwischen 400 und 3.000 Euro Geldstrafe drohen inzwischen bei Zuwiderhandlungen.
Seit Montag halten sich rund 100 russische Spezialisten auf dem Gebiet der Virologie und Epidemiologie in Italien im Rahmen einer Hilfsaktion auf. Und sie dürften nach Moskau gefunkt haben: Die angedrohten Strafen verfehlen ihre Wirkung. Das Virus breitet sich weiter aus.
Zuckerbrot statt Peitsche
Der Kreml geht nun einen anderen Weg. Zuckerbrot statt Peitsche lautet die Strategie. Statt Strafen winkt nun den Moskauer Senioren eine Belohnung, wenn sie sich an die Ausgangssperre halten. 4000 Rubel erhält jeder, der bis zum 14. April daheim bleibt, verkündete Bürgermeister Sergej Sobjanin am vergangenen Montag. Nach aktuellem Kurs sind es nicht einmal 50 Euro. Doch die durchschnittliche Rente in Russland liegt bei 14.000 Rubel oder 163 Euro. Da macht die versprochene Belohnung fast ein Drittel der monatlichen Rente aus. Geld, dass die Rentner, die sonst kaum über die Runden kommen, sich nicht entgehen lassen.
1,6 Millionen der Senioren hätten bereits die Leistung in Anspruch genommen, verkündete die Vize-Bürgermeisterin der russischen Hauptstadt, Anastasia Rakowa, am Mittwoch. 2000 Rubel erhaltenen die Rentner im Voraus. 2000 nach dem Ende der Ausgangssperre - natürlich nur, wenn die Selbstisolation eingehalten wurde. Zahlreiche Überwachungskameras mit Gesichtserkennungs-Funktion auf den Straßen Moskaus stellen das sicher.
"Das Beste, was man machen kann, ist zu seiner Datsche zu fahren, besonders, weil es warm zu werden verspricht", empfahl Bürgermeister Sobjanin. Viele Städter in Russland besitzen solche kleinen, schlichten Häuser mit Garten auf dem Land, um dort ihre Wochenenden und Ferien zu verbringen. Wer sich aufs Land zurückzieht, bekommt nun weitere Hilfen: Brennholz und Kohle zu Vorzugspreisen. Damit auch die russischen Banjas – die Saunen – ordentlich angeheizt werden können, tfür viele Russen sowieso das Paradies auf Erden.

Bezahlter Urlaub für alle
Diese Maßnahmen sollen nun auch auf andere Regionen ausgedehnt werden. Doch nicht nur Senioren bekommen Zuckerbrot. Wladimir Putin spendiert allen seinen Untergebenen eine Woche bezahlten Urlaub. Die Woche vom 30. März bis zum 3. April sei arbeitsfrei, verkündete der Kreml-Chef in einer Ansprache an die Nation. Die Löhne und Gehälter fließen trotz der Arbeitsniederlegung weiter. Familien sollen mit Sonderzahlungen unterstützt werden. Kleine und mittelständische Unternehmen bekommen ebenfalls Hilfe zugesichert.
Die Maßnahmen des Kremls reihen sich in die auch der westlichen Länder. Auch in Deutschland schürte die Regierung ein milliardenschweres Hilfspaket für die Wirtschaft. Zunehmend verbreitet sich in Europa die Überlegung, Risikogruppen nach dem Ende der Ausgangssperren weiter zu isolieren. Dies forderte etwa auch der Präsident der Bundesärztekammer Klaus Reinhardt.
Doch ganz uneigennützig handelt Putin nicht. Zwar hat er die für den 22. April geplante Volksabstimmung über die größte Verfassungsänderung in der Geschichte des Landes auf unbestimmte Zeit verschoben. Doch spätestens, wenn die Corona-Pandemie wieder eingedämmt sein wird, werden die Russen zu den Wahlurnen schreiten und darüber entscheiden, ob Putin bis ins Jahr 2036 im Amt verbleiben kann. Ein paar unter das Volk verteilte Tausend Rubel helfen dem Erfolg Putins sicherlich mehr auf die Sprünge als drastische Strafen.