80. Geburtstag des Altkanzlers Der Kohl-Schäuble-Komplex

  • von Hans Peter Schütz
Die vielen Hymnen auf das Geburtstagskind Helmut Kohl werden um ein Faktum herum geschrieben: Er verdankt seine historische Größe der Tatsache, dass es einen Kanzler hinter Kohl gab. Wolfgang Schäuble.

Nein", sagt Schäuble zu stern.de, "ich will eigentlich nichts zum 80. Geburtstag Helmut Kohls sagen." Seit zehn Jahren haben sie kein Wort mehr miteinander geredet. Seit jenem 18. Januar 2000. Als Schäuble im Büro des Ex-Kanzlers aufgewühlt zu Kohl sagte, er werde diesen Raum nie wieder betreten. Und dann den Schlusssatz unter den politisch wichtigsten Abschnitt seines Lebens setzte: "Ich habe schon viel zu viel meiner knapp bemessenen Lebenszeit mit dir verbracht, und es wird keine Minute mehr geben."

Ein unaufhebbarer Satz. Es war endgültig zu Ende. Schäuble hatte Kohl treu gedient. Bei der Eroberung der Macht. Als Stratege der Wiedervereinigung. Als Krisenmanager der Koalition mit der FDP. Er war Strippenzieher, Kronprinz und Kanzler hinter Kohl gewesen. "Helmut Kohl weiß, dass ich ihn niemals bescheiße", hatte er immer mal wieder beteuert. Es war dann Helmut Kohl, der ihn beschissen hat. In der Schwarzgeldaffäre.

Die bitteren Gefühle jener Tage seien verarbeitet, sagt Schäuble. Die emotionalen Bindungen der langen Jahre mit Kohl verklungen. Im sachlichen Blick zurück räumt er ein: "Der Nähe zu Kohl verdanke ich auch viel." Aber alles im Leben habe nun einmal seinen Preis.

Wie müsste die Überschrift über seine Beziehung zu Kohl lauten? War er der Motor im Machtsystem Kohl? Über seiner Lebensgeschichte könnte stehen, antwortet Schäuble nach langem Zögern, "Sein Schicksal war Kohl".

Der Bruch einer Männerfreundschaft

Viele Zeitgeschichtler haben versucht, den Zeitpunkt, an dem die Partnerschaft mit Kohl zerbrach, genau zu orten.

Es gibt die Behauptung, Schäuble habe Kohl schon 1993 stürzen wollen, weil er ihm einen Sieg bei den Bundestagswahlen im Jahr darauf nicht mehr zugetraut habe. Darüber hat Schäuble stets eher amüsiert den Kopf geschüttelt. Er sei, erzählte er später einmal stern.de, ins Kanzleramt gerollt und habe zu Kohl gesagt: "Stell den Quatsch ab. Ich will dich nicht stürzen."

Nächste Station der Spekulationen ist der CDU-Bundesparteitag in Leipzig im Oktober 1997. Schäuble hatte dort für seine Rede mehr Beifall als jemals zuvor bekommen. Nach dem Parteitag sagte Kohl vor TV-Reportern: "Ich wünsche mir, dass Wolfgang Schäuble einmal Kanzler wird." Ob und wann er zurücktrete, ließ Kohl jedoch offen. Bald schon schob er die Bemerkung nach, er kandidiere 1998 natürlich noch mal und wolle bis 2002 Kanzler bleiben.

Hat Kohl, so die gängige Interpretation, Schäuble also nur zum Kronprinzen ernannt, um ihn einzubinden - quasi als Prinz Charles der CDU? Schäuble hat diese Auslegung nie akzeptiert. Als er von Kohls Äußerung hörte, griff er sofort zum Telefon und sagte: "Helmut, hör auf mit dem Scheiß!" Es entzog sich Schäubles Logik, welchen Sinn es haben könnte, einen Nachfolger zu küren, aber nicht zurücktreten zu wollen. Vermutlich trifft also die Lesart zu, dass Kohl nach dem Parteitag, der dank Schäuble so hervorragend gelungen war, dem alten Weggefährten etwas Gutes tun wollte. Schäuble jedenfalls hat vor Wahl 1998 nie daran gedacht, vielleicht doch Kanzlerkandidat zu werden.

Collage mit Porträts von Merz, Klingbeil, Söder und Reiche

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Schäuble als Kronprinz

Heiner Geißler indes hat der Theorie widersprochen, Kohl habe nur aus dem Bauch heraus Schäuble zum Kronprinzen gemacht. Der Kanzler habe gespürt, dass seit Leipzig ein Mann eigener Größe neben ihm war. Einer, der mit Hilfe und Autorität eines Parteitags sein Nachfolger werden könnte. Das sei einer der Gründe gewesen, weshalb Kohl nichts gegen die CSU unternommen habe, die unter der Führung von Theo Waigel seit Mitte der neunziger Jahre immer wieder massiv davor warnte, mit einem Spitzenkandidaten Schäuble anzutreten.

Für die Bayern war Schäuble, wie er sich heute amüsiert, der erste "grüne Schwarze", weil er ins CDU-Wahlprogramm die Forderung nach einer CO2-Energiesteuer zum Schutz des Klimas hatte hinein schreiben lassen. Ein Mann mit diesem linksökologischen Kurs werde bei einer Kanzlerwahl die CSU-Stimmen nicht bekommen, drohten die Bayern. Zeitweilig kämpfte auch die FDP bei Kohl gegen Schäuble. Sie witterte in ihm den Mann, der die Union in eine Große Koalition führen wolle.

Die Liberalen legten dann jedoch eine abrupte Kehrtwende hin. Wolfgang Gerhardt und Hermann Otto Solms baten ab Herbst 1997 Schäuble darum, gegen Kohl anzutreten und Spitzenkandidaten zu werden. Denn mit Kohl werde man die Bundestagswahl gewiss verlieren. Schäuble hat die FDP-Verschwörer schallend ausgelacht. "Das fällt euch ziemlich spät ein", lästerte er. Erstens wolle er nicht antreten, zweitens denke Kohl nicht an Rückzug, drittens komme ein Kanzlersturz nicht in Frage.

Die Spendenaffäre

"Ich muss den Laden doch zusammen halten", war damals noch das unerschütterliche Politikverständnis Schäubles. Wer Kohl demontiert, beschädigt die CDU. Wer Kohl kaputt macht, macht die CDU kaputt. Die Partei müsse sich von ihrem Übervater lösen, ohne ihn vom Denkmalsockel zu stürzen. Im Klartext: Nur die Wähler könnten ihn ablösen - wie es dann ja auch 1998 geschah.

Der schmerzhaft sich hinziehende Bruch der Beziehung Schäuble-Kohl begann am exakt 2. Dezember 1999, elf Uhr. Der Mann im Rollstuhl sitzt im Bundestag und diskutiert in eigener Sache - das Behindertengesetz. Da eilt die CDU-Generalsekretärin Angela Merkel nach vorne und flüstert dem neuen Parteichef ins Ohr. Im Protokoll einer Vernehmung des CDU-Wirtschaftsprüfers stünde das Geständnis, dass Kohl mit einer millionenschweren Schwarzgeldkasse operiert habe. Das Protokoll sei längst in den Händen des CDU-Ehrenvorsitzenden Kohl. Der hatte Schäuble allerdings nichts gesagt, obwohl er noch zwei Tage zuvor erklärt hatte: "Die CDU ist stolz auf ihren Ehrenvorsitzenden."

Bis dahin hatte Schäuble den Mann, der ihm eine Partei in Trümmern hinterlassen hatte, mit allem Respekt behandelt. Der wiederum kündigte unverzüglich an, "ich will weiter in der Partei mitarbeiten." Er habe kein Problem damit, sich zurückzunehmen. Die Wahrheit war: Kohl konnte es offenbar nur schwer ertragen, nicht mehr Parteichef zu sein. Er demütigte Schäuble. Vor jedem Treffen des CDU-Präsidiums stand er ein halbe Stunde im Journalistenpulk vor dem Sitzungszimmer und erklärte, wie die Dinge laufen müssten. Heiner Geissler erinnert sich genau, wie das lief: "Dann kam Schäuble mit seinem Rollstuhl, alle blickten auf ihn hinunter und er musste zu ihnen hinaufblicken und Kohl hat sich nicht gerührt."

Schäubles in der Schreiber-Klemme

Als seine Schwarzgeldaffäre aufflog, stellte sich Kohl auf den Standpunkt: Wenn ich stürze, stürzt ihr alle mit. Ohne mich seid ihr doch nichts, war seine Devise.

Zur Selbstverteidigung nutzte Kohl eine Schwachstelle Schäubles. Der hatte eine 100.000-Mark-Spende des Waffenlobbyisten Karlheinz Schreiber im Bundestag auf eine Frage hin nicht offen gelegt. Das war ein Fehler, räumte er später ein. Auf keinen Fall war diese Spende aber vergleichbar mit den Schwarzgeld-Millionen Kohls. Denn Schäuble hatte sie an die CDU-Schatzmeisterin weitergereicht - ohne eine Quittung dafür zu bekommen, dass das Geld in der Parteikasse gelandet war.

Kohl, der von der Schreiber-Spende wusste, ließ den Vorgang Anfang Januar 2000 frühzeitig nach außen sickern, obwohl im CDU-Präsidium bereits beschlossen worden war, sich dazu in Bälde öffentlich zu erklären. Der Mann, der selbst verheimlicht hatte, wie knietief er im Morast einer Spendenaffäre steckte, verweigerte Schäuble damit die Loyalität.

Bittere Abschiedsworte

Es kam zu jenem legendären Treffen in Kohls Büro am 19. Januar 2000. Schäuble war dorthin gefahren mit dem festen Entschluss, zum Nutzen der Partei als CDU-Chef zurückzutreten. Kohl fragte ihn: "Trittst du wirklich zurück?" Ja, antwortete Schäuble und forderte auch Kohl zum Rücktritt auf. Der schüttelte den Kopf. Und Schäuble sagte: "Dann Helmut ist es aus mit uns." Es folgte der Satz: "Ich habe schon viel zu viel meiner knapp bemessenen Lebenszeit mit dir verbracht."

Der letzte Satz zu dem Mann, der bei einem gemeinsamen Fototermin mit ihm im Kanzleramt zu Schäuble gesagt hatte: "Wir sind Freunde, wer es nicht begreift, gehört auf die Couch."

Wolfgang Schäuble ist das Opfer einer Affäre geworden, deren skandalösen Kern Kohl zu verantworten hatte. Doch im Blick zurück kann Schäuble heute zu sich sagen, was Helmut Kohl verwehrt ist: "Ich bin mit mir im Reinen."