Asylrecht Wie Abschiebungen in Deutschland ablaufen

Flugzeug zur Abschiebung am Flughafen in Hamburg
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Seit Jahren finden in Deutschland keine Abschiebungen nach Syrien und Afghanistan mehr statt. Die Tat von Solingen befeuert nun die Diskussion darüber, ob sich das ändern sollte. 

Der mutmaßliche Täter von Solingen – ein 26-jähriger Syrer – hätte schon vergangenes Jahr abgeschoben werden sollen. Doch ein Abschiebeversuch scheiterte, als Behördenmitarbeiter ihn nicht in seiner Unterkunft antrafen. Nach Angaben aus Behördenkreisen gab es dann offenbar keine weiteren Versuche. NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU) sieht sich deswegen nicht in der politischen Verantwortung. Er verwies auf das nordrhein-westfälische Ministerium für Kinder, Jugend, Familie, Gleichstellung, Flucht und Integration und die zuständige Ministerin, Josefine Paul (Grüne). "Da sind Fragen offen, um die sich die Kollegin Paul jetzt auch gerade kümmert." Denn eigentlich gibt es klare Regeln, wie eine Abschiebung rechtlich und praktisch über die Bühne geht.

Was sind die rechtlichen Voraussetzungen?

Wenn das Bundesamt für Migration und Flüchtling (Bamf) einen Asylantrag abgelehnt hat oder die zuständige Ausländerbehörde entschieden hat, dass ein Mensch kein Recht zum Aufenthalt in Deutschland hat, muss das der betroffenen Person schriftlich mitgeteilt werden. In den meisten Fällen ergeht mit dem Bescheid auch ein Verbot, wieder einzureisen sowie sich in Deutschland aufzuhalten. Außerdem setzen die Behörden eine Frist für eine freiwillige Ausreise aus Deutschland. Gegen den Bescheid können die Betroffenen bis zu einen Monat lang Widerspruch einlegen. Ist diese Frist abgelaufen – oder hatte der Widerspruch keinen Erfolg – droht die Abschiebung.

Reist die abgewiesene Person nicht freiwillig aus, erlässt die zuständige Behörde eine Abschiebungsanordnung und informiert die Zentrale Abschiebestelle (ZAS) des jeweiligen Bundeslandes. Die bucht die Flüge und informiert Ausländerbehörde, Landespolizei und Bundespolizei über die Details der beabsichtigten Abschiebung. Früher wurden Abschiebungen den Betroffenen zwei bis drei Tage vorher angekündigt, das ist inzwischen keine Pflicht mehr.

Warum war der Tatverdächtige von Solingen in Deutschland?

Eigentlich hätte der nun Tatverdächtige gemäß Dublin-Abkommen in das EU-Land abgeschoben werden sollen, in das er zuerst eingereist ist: nach Bulgarien. Wie das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) zur Rechtslage erklärte, muss ein Geflüchteter innerhalb von sechs Monaten an das EU-Land überstellt werden, das für das Asylverfahren zuständig ist. Wenn ein Geflüchteter nicht rechtzeitig überstellt wird, muss Deutschland den Asylantrag übernehmen und prüfen.

Die Sechs-Monats-Frist verlängert sich auf 18 Monate, wenn der Betroffene vor den Behörden untertaucht. Wird ein Geflüchteter bei seinem Abholtermin lediglich nicht angetroffen - wie es offenbar bei dem mutmaßlichen Täter von Solingen der Fall war - gilt dies allerdings nicht als Untertauchen. Deshalb verlängert sich in einem solchen Fall auch die Frist nicht. Als Konsequenz musste der Betroffene subsidiären Schutz bekommen. Letztlich wurde der Syrer in eine Flüchtlingsunterkunft nach Solingen überstellt.

Und die Statistik des Bamf für Januar bis Mai 2024 zeigt noch ein weiteres großes Problem: Die Staaten mit EU-Außengrenzen nehmen nur einen Bruchteil der Geflüchteten zurück. So hat Deutschland etwa im Januar 2024 andere EU-Staaten um 6141 Übernahmen ersucht, von denen 3171 genehmigt wurden. Die Zahl der tatsächlichen Überstellungen in dem Monat: 482. Für die Folgemonate sehen die Zahlen ähnlich aus.

Wie läuft eine Abschiebung ab?

Normalerweise greift die Landespolizei in den frühen Morgenstunden zu und holt die Betroffenen aus den Betten. Dann bringt sie sie zum Flughafen oder Bahnhof. Bei einer kontrollierten Ausreise endet der Polizeieinsatz hier. Bei einer begleiteten Abschiebung übernimmt nun die Bundespolizei und begleitet die Personen im Flugzeug oder Zug bis ins Zielland. Die Pässe der Betroffenen werden mit "abgeschoben" gestempelt, und ein Einreiseverbot wird verhängt. Über dessen Dauer entscheiden die Behörden von Fall zu Fall. Mal werden Personen einzeln abgeschoben, mal werden ganze Flugzeuge für Sammelabschiebungen in ein Land gechartert.

Was passiert bei Widerstand gegen die Abschiebung?

Normalerweise sind die Betroffenen während der Abschiebung fixiert, tragen also Handschellen oder auch Fußfesseln. Auch Medikamente zur Ruhigstellung setzen die Behörden von Fall zu Fall ein. Die Möglichkeit zu Widerstand ist also zumindest eingeschränkt.

Collage mit Porträts von Merz, Klingbeil, Söder und Reiche

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Dennoch machte ein Brief der Landesaufnahmebehörde an die Bundespolizei Schlagzeilen, in dem es wörtlich hieß: "Wenn sich der Betroffene weigert, in das Flugzeug zu steigen bzw. auf eine andere Art versucht, sich der Abschiebung zu widersetzen (aktiver/passiver Widerstand), kann dieser auf freien Fuß gesetzt werden und eigenständig zu der ihm zugewiesenen Unterkunft zurückreisen."

Allerdings erklärte die Landesaufnahmebehörde daraufhin: "Bei besagtem Schriftstück handelt es sich um ein internes Behördenschreiben der Landesaufnahmebehörde Niedersachsen an die Bundespolizei, das leider ausgesprochen missverständlich und unpräzise formuliert ist. Es wurde in dieser Form in der Regel nicht verwendet und wird ab sofort überhaupt nicht mehr genutzt. Dass es so an die Bundespolizei übersandt wurde, ist ein bedauerlicher Einzelfall." Die Behörde sei überhaupt nicht befugt, der Bundespolizei eine solche Anweisung zu geben. Der Pressemitteilung zufolge sollte das Schreiben nur ein Hinweis an die Bundespolizei sein, dass bei Scheitern einer Abschiebung ein richterlicher Beschluss vorliegen muss, damit die Person in Haft genommen werden darf.

Warum tun sich Behörden mit Abschiebungen so schwer?

Die Zahl der Rückführungen aus Deutschland ist im vergangenen Jahr auf 21.206 gestiegen, nach 18.094 Rückführungen im Vorjahr, wie aus dem in der vergangenen Woche vorgestellten Jahresbericht 2023 der Bundespolizei hervorgeht. Insgesamt 4776 Menschen wurden 2023 an der Grenze zurückgeschoben. Geplant war aber deutlich mehr, und zwar insgesamt die Zurückschiebung oder Rückführung von 52.976 Menschen. Von Januar bis Juli gab es laut Innenministerium 11.102 Abschiebungen – dabei waren laut Bundesamt für Migration eigentlich 43.298 Menschen ohne Duldung ausreisepflichtig. 

In welche Länder schiebt Deutschland aktuell nicht ab?

Es gibt keine feste Liste von Staaten, in die nicht abgeschoben wird. Im Rahmen des Asylverfahrens prüft das Bamf aber, ob sogenannte "zielstaatsbezogene Abschiebungsverbote", die sich auf Gefahren im Zielstaat beziehen, vorliegen. Für das Bürgerkriegsland Syrien gab es von 2012 bis 2020 ein Abschiebeverbot, das aber nicht verlängert wurde. Trotzdem fanden seitdem keine Abschiebungen nach Syrien statt. Dasselbe gilt für Afghanistan, seit 2021 die Taliban die Macht im Land übernommen haben. Es gibt kein Abschiebeverbot, faktisch finden aber keine Abschiebungen aus Deutschland nach Afghanistan statt.

Wie ist die Stimmung nach der Messerattacke in Solingen?
Wie ist die Stimmung nach der Messerattacke in Solingen?
© n-tv.de
Wie ist die Stimmung nach der Messerattacke in Solingen?

Nach der Tat von Solingen nimmt die politische Diskussion über die Bewertung der Gefahren für Leib und Leben in Syrien und Afghanistan gerade Fahrt auf. Allerdings kommt der Wissenschaftliche Dienst des Bundestages noch im März 2024 zum Schluss: "Letztlich handelt es sich zwar immer um eine Einzelfallentscheidung, aber aufgrund der desolaten Sicherheitslage und der vielerorts prekären humanitären Lage in Syrien und Afghanistan dürfte Art. 3 EMRK etwaigen Abschiebungen in diese Staaten regelmäßig entgegenstehen." Besagter Artikel der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) lautet: "Niemand darf der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen werden."

Woran scheitern Abschiebungen sonst noch?

Dass Abschiebungen scheitern, kann viele Gründe haben, zum Beispiel Krankheit oder fehlende Papiere. Teils weigern sich Herkunftsländer auch, die Menschen zurückzunehmen. Oder die Polizei findet den Betroffenen zum geplanten Termin nicht. Der Bundestag hat zu Jahresbeginn Gesetzesverschärfungen beschlossen, um einige dieser Probleme zu adressieren. So wurde die gesetzliche Höchstdauer des Ausreisegewahrsams von bislang 10 Tagen auf 28 Tage verlängert. Außerdem dürfen Behördenvertreter künftig in Gemeinschaftsunterkünften auch andere Räume betreten als nur das Zimmer des Abzuschiebenden. 

Allerdings fehlen auch Abschiebehaftplätze. Man habe im vergangenen Jahr in über 300 Fällen einen Haftbefehl erwirkt, um die Zurückschiebung oder Abschiebung zu sichern, sagte Bundespolizeipräsident Dieter Romann in der vergangenen Woche. "Aber es waren alle 800 Abschiebehaftplätze voll."

Welche Länder gelten als sichere Herkunftsstaaten?

Neben allen EU-Ländern zählt das "Bundesamt für Migration und Flüchtlinge" aktuell folgende Staaten dazu:

  • Albanien
  • Bosnien und Herzegowina
  • Georgien
  • Ghana
  • Kosovo
  • Mazedonien, ehemalige jugoslawische Republik
  • Montenegro
  • Republik Moldau
  • Senegal
  • Serbien

 

mit DPA