Die bayerischen Schulen sind hoch angesehen. Das ergab am Mittwoch das Bildungsbarometer des Ifo-Instituts. Ministerpräsident Markus Söder wird die Nachricht im Wahlkampf entgegenkommen, was man nicht für jede Nachricht dieser Tage gilt. Die Qualität der bayerischen Schulen kann indes Unzulänglichkeiten nicht kaschieren, die es offenbar in der Vergangenheit gab, zum Beispiel in der politischen Bildung und bei der Ahndung ungehörigen Benehmens. Zumindest an dem Gymnasium, das Hubert Aiwanger besucht hat.
Ein ehemaliger Mitschüler hat jetzt von einer Art Nazi-Spleen Aiwangers berichtet, von Hitler-Imitationen und Juden-Witzen. Es ist das erste Mal, dass solche Vorwürfe nicht mehr im Schutz der Anonymität erhoben werden, was ihre Glaubwürdigkeit nicht garantiert, aber erhöht. Schon die Strafe für das Auschwitz-Flugblatt am Gymnasium war milde ausgefallen. Das Gebaren eines kleinen Möchtegernführers, so es das denn wirklich gegeben hat, scheint an der Schule unter Folklore gelaufen zu sein.
Der Druck auf den bayerischen Wirtschaftsminister und Chef der Freien Wähler wächst – und der auf Markus Söder auch. Söder inszeniert sich seit Tagen als Stimme der Vernunft, als Hüter der Fairness und Meister der Abwägung. Markus, der Schwarze, gibt eine Art Nathan, den Weisen. Von seinem Amt als Ministerpräsident betont Söder dieser Tage mehr den Präsidenten, über den Dingen schwebend, man könnte auch sagen, etwas abgehoben.
Söders Botschaft hat etwas Monarchisches
Denn natürlich bleibt Söder von morgens bis abends Politiker und Wahlkämpfer – und von abends bis morgens auch. Der CSU-Chef will den Druck auf Aiwanger aufrechterhalten, aber nicht den Eindruck erwecken, er wolle ihn um jeden Preis loswerden.
Nichts bringt diese Doppelrolle so klar zum Ausdruck wie die Fragen, die Söder seinem Stellvertreter mitgegeben hat wie eine Strafarbeit. Sie sind eine Mischung aus Demütigung und Entgegenkommen, ein Katalog aus 25 Fragen, der eine 26. eindeutig beantwortet, nämlich die nach den Machtverhältnissen in der bayerischen Staatsregierung. Söders Botschaft hat etwas Monarchisches: Du sollst Deine Chance haben, Hubert, aber ob Du sie nutzt, entscheide ich. Irgendwann.
Kann das gutgehen? Söder hat selbst gesagt, der Schaden für das Ansehen Bayerns sei schon entstanden. Kann der Ministerpräsident sich erlauben, diesen Schaden noch zu vergrößern, indem er die Angelegenheit laufen lässt? Was, wenn Aiwanger sich Tage nimmt, womöglich Wochen, um die Fragen "nach bestem Wissen und Gewissen" zu beantworten, wie er es seinem Herrn und Gebieter Söder versprochen haben soll? Dann würde Söder plötzlich zum Gefangenen seiner eigenen Strategie. Wenn der Ministerpräsident sich der Sorge des CSU-Chefs zu lange unterordnet, eine klare Trennung von Aiwanger könnte die Solidarität für den Freie Wähler-Chef noch anschwellen lassen, befördert er, was er eigentlich vermeiden will: Schaden für das Ansehen Bayerns, seiner Regierung – und seiner selbst.
Aiwanger wird diese Affäre politisch nicht überleben
Dabei ist der Ausgang der Affäre längst entschieden: Aiwanger wird sie politisch nicht überleben. Alles andere erscheint unvorstellbar. Es mag ungerecht wirken, aber beim Thema Holocaust wiegt schon der Verdacht eines ungehörigen Umgangs zu schwer, um in einem Regierungsamt den Staat zu repräsentieren. Und dieser Verdacht wird nicht mehr auszuräumen sein, selbst wenn Aiwanger weiter alles bestreiten und als Diffamierungskampagne bezeichnen lassen sollte.

Das Wichtigste aus der Bundespolitik auf einen Blick
Abonnieren Sie unseren kostenlosen Hauptstadt-Newsletter – und lesen Sie die wichtigsten Infos der Woche, von unseren Berliner Politik-Expertinnen und -Experten für Sie ausgewählt!
Markus Söder hat sich bisher staatsmännisch anständig verhalten und politisch geschickt. Doch der Tag ist nicht mehr fern, an dem beides in Widerspruch geraten könnte. Dann muss der Ministerpräsident entscheiden, und der CSU-Chef folgen.