Vor seinem Suizid in der JVA Leipzig war der mutmaßliche Terrorist Dschaber al-Bakr alle 30 Minuten kontrolliert worden - weil "keine akute Selbstmordgefahr" erkannt worden war, wie JVA-Leiter Rolf Jacob in einer Pressekonferenz mitgeteilt hat. Jacob und der sächsische Justizminister Sebastian Gemkow müssen sich nun dem Vorwurf stellen, keine ausreichenden Maßnahmen ergriffen zu haben, um eine Selbsttötung möglichst auszuschließen. Die drängenden Fragen: Wäre nicht eine ständige Überwachung des Gefangenen möglich gewesen? Und wenn ja: Warum hat man davon abgesehen?
Möglich wäre es wohl gewesen. "Es gibt keine festgelegte Definition von Überwachung", erklärt der Vorsitzende der Deutschen Polizeigewerkschaft, Rainer Wendt dem stern. "Es kann bedeuten, dass man in unregelmäßigen Abständen durch die Zellentür kontrolliert. Es kann aber auch eine Eins-zu-eins-Videoüberwachung sein." Die Entscheidung über die Maßnahmen werde jeweils im Einzelfall gefällt. "Man muss erst die Persönlichkeit bewerten, in der Regel machen das Mediziner", sagt Wendt. "Die versuchen festzustellen, wie konkret die Gefahr ist." Dann entscheide die Anstaltsleitung über die Überwachungsintensität.
Kontrollen erst alle 15 Minuten, dann halbstündlich
So ist es offenbar auch in Leipzig geschehen. Der Ermittlungsrichter hatte die JVA schon auf eine mögliche Suizidgefahr hingewiesen, al-Bakr hatte angekündigt, weder Nahrung und Flüssigkeit aufnehmen zu wollen. Daraufhin war der Gefangene alle 15 Minuten kontrolliert worden. Laut Anstaltsleiter Rolf Jacob habe dann eine erfahrene Psychologin ausführlich mit ihm gesprochen. Al-Bakr habe sich im Gespräch interessiert an den Haftbedingungen gezeigt, er sei ruhig und zurückhaltend gewesen. Man sei zur Einschätzung gelangt, dass "keine akute Suizidgefahr" bestehe. Daraufhin wurde der Gefangene nur noch alle 30 Minuten kontrolliert.
Damit ein Häftling in einem besonderen Sicherheitsraum untergebracht wird, müsse eine akute Selbstmordgefahr festgestellt werden, so Jacob. Eine Gemeinschaftsunterbringung, wie sie manchmal zur Suizidprävention überlegt werde, sei in diesem Fall wegen möglicher Fremdgefährdung nicht möglich gewesen.
Videoüberwachung sei in Sachsen nicht erlaubt. "In anderen Ländern gibt es solche videoüberwachten Räume", sagt Jacob. "In Sachsen nicht." Eine ständige Überwachung durch eine unmittelbare Sitzwache ist aber trotzdem möglich. Warum diese bei al-Bakr nicht angeordnet wurde? "Wir verlassen uns auch auf die Experten", sagt Justizminister Gemkow. "Wenn Psychologen nach Gesprächen zu Schlussfolgerungen kommen, ist das für uns erstmal verbindlich.“
Vorfälle mit Lampe und Steckdosen
Die drängende Frage, ob man es nicht hätte besser wissen müssen, bleibt dennoch - zumal der Gefangene am Tag vor seinem Suizid eine kaputte Lampe gemeldet hatte. Sie war laut Jacob mitsamt der Dübel aus der Verankerung an der Decke gerissen worden. "In einer Besprechung wurde der Vorfall als Vandalismus gedeutet", sagt er. Man habe daraufhin den Strom abgestellt und später festgestellt, dass auch die Steckdosen manipuliert worden seien. Al-Bakrs Anwalt Alexander Hübner spricht derweil von einem "Justizskandal". Seinen Angaben zufolge habe er selbst die JVA nochmals auf die Suizidgefahr und die Vorfälle mit Lampe und Steckdosen hingewiesen.
"Man muss sich aber keine Illusionen machen", sagt Rainer Wendt von der Polizeigewerkschaft. "Manchmal reicht ein unbeobachteter Moment schon aus." Allerdings sei der Fall al-Bakr eine Ausnahmesituation. "Man muss sich die Frage stellen, wer wann Kenntnis von welchen Maßnahmen bekommen hat."