Trotz aller Versuche, einen Streit über den sozialpolitischen Kurs der CDU beim Bundesparteitag in Dresden zu verhindern, könnte es zu einer Grundsatzdebatte kommen. Der Vorsitzende der CDU-Sozialausschüsse (CDA), Karl-Josef Laumann, sagte, "wir wollen als NRW-CDU einen Richtungsstreit im guten Sinn über die Frage, ob die CDU versteht, wie Arbeitnehmer denken." Die Reform-Beschlüsse des Leipziger CDU-Parteitags von 2003 müssten mit einer sozialen Komponente ergänzt werden.
NRW steht hinter Rüttgers
Der größte CDU-Landesverband unterstützt den Vorstoß von NRW-Ministerpräsident Jürgen Rüttgers für eine verlängerte Zahlung des Arbeitslosengeldes I an Ältere aus Gründen der sozialen Gerechtigkeit. "Das Prinzip, dass jemand, der lange Beiträge gezahlt hat, auch längere Zeit das Arbeitslosengeld I bezieht als ein junger Säufer, der nichts geleistet hat, ist richtig und sozial", sagte Laumann. Der NRW-Arbeitsminister ist sich sicher, dass der Rüttgers-Plan vom Parteitag angenommen wird.
Rüttgers widersprach nun auch der jüngsten Kritik von Bundespräsident Horst Köhler zu den ALG I-Plänen. Dem "Handelsblatt" sagte er, die Arbeitslosenversicherung sei im Gegensatz zur Ansicht Köhlers "keine reine Risikoversicherung. Sonst müsste sich die Beitragshöhe nach dem Risiko bemessen." Kanzlerin Angela Merkel sagte, der Respekt vor dem Amt und dem Wort des Bundespräsidenten verbiete es, über seine Äußerungen eine "aufgeregte öffentliche Kontroverse auszutragen". Die CDU-Vorsitzende bezeichnete aber Rüttgers Antrag laut "Frankfurter Allgemeiner Zeitung" als "in der Sache richtig".
Dem Charakter der Arbeitslosenversicherung widersprechend
Köhler hatte davor gewarnt, die Bezugsdauer für das ALG I an die Dauer der Beitragszahlung zu koppeln. Nach seiner Ansicht widerspricht dies dem Charakter der Arbeitslosenversicherung - sie sei kein individueller Sparvertrag. Das Arbeitslosengeld I wird nach derzeitiger Gesetzeslage zwölf Monate gezahlt, nur über 55-Jährige erhalten es 18 Monate. Nach CDU-Vorstellungen könnte es maximal 24 Monate gezahlt werden, sofern zuvor 40 Jahre einbezahlt wurde. Für Jüngere könnte es Abschläge geben.
Der rheinland-pfälzische CDU-Vorsitzende Christian Baldauf verteidigte den Präsidenten. "Horst Köhler ist ein intelligenter Mann und nimmt am politischen Leben teil, daher finde ich seine Äußerung auch im Vorfeld eines Bundesparteitags gut", sagte er. Inhaltlich widersprach Baldauf jedoch: "Es gibt Verfassungsrechtler, die das anders sehen."
CSU-Chef Edmund Stoiber kündigte eine intensive Diskussion über den Vorschlag von Rüttgers an. In einem Interview der machte er jedoch deutlich: "Klar ist: Unterm Strich kann es nur eine aufkommensneutrale Lösung geben. Wenn die CDU einen entsprechenden Beschluss fasst, werden wir das als CSU sicher intensiv begleiten."
Der CDU-Wirtschaftsflügel stellte sich indes auf die Seite von Bundespräsident Horst Köhler, der mit großem Nachdruck gegen Rüttgers Stellung bezogen hat. "Zu einem klugen Zeitpunkt hat Horst Köhler in wichtigen Punkten Tacheles geredet", sagte der CDU-Bundestagsabgeordnete und Chef des Parlamentskreises Mittelstand (PKM), Michael Fuchs. Sachsens CDU- Ministerpräsident Georg Milbradt sagte in der ARD: "Das ist mehr ein symbolischer Streit, den wir führen, aber wir führen ihn am falschen Platz."

Das Wichtigste aus der Bundespolitik auf einen Blick
Abonnieren Sie unseren kostenlosen Hauptstadt-Newsletter – und lesen Sie die wichtigsten Infos der Woche, von unseren Berliner Politik-Expertinnen und -Experten für Sie ausgewählt!
Mehr ALG für ältere Arbeitslose
Trotz Köhlers Intervention will die CDU-Spitze auf ihrem Dresdner Bundesparteitag Ende November eine verlängerte Zahlung von ALG I für Ältere beschließen lassen. Für CDU-Generalsekretär Ronald Pofalla gibt es auch nach Köhlers Warnungen "keine Veranlassung, Veränderungen vorzunehmen". Nach Pofallas Auffassung wird der Antrag mit "breiter Mehrheit" angenommen werden. Dies gelte auch für den Vorstoß der baden-württembergischen CDU, der ein neuerliches Bekenntnis zur Flexibilisierung des Kündigungsrechts und der rechtlichen Legalisierung betrieblicher Bündnisse beinhaltet.