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SPD-Parteichefin "Statt Andrea Nahles zu stärken, war diese Wahl eine kindische Ohrfeige"

"Statt Andrea Nahles zu stärken, war diese Wahl eine kindische Ohrfeige"
Begeisterung sieht anders aus: Die Ernüchterung ist Andrea Nahles (M.) ins Gesicht geschrieben, als auf dem Wiesbadener SPD-Parteitag das Ergebnis der Vorsitzendenwahl verkündet wird
© Bernd von Jutrczenka / Picture Alliance
Andrea Nahles wurde zur neuen (und ersten) Parteichefin der SPD gewählt. Die Begeisterung hält sich in Grenzen, sowohl bei den Sozialdemokraten als auch in den Medien: Nahles stehen "harte Jahre" bevor. 

Andrea Nahles ist mit einem Dämpfer als erste Frau an die Spitze der SPD gewählt worden. Ein Sonderparteitag bestimmte die 47-Jährige am Sonntag in Wiesbaden zur ersten Vorsitzenden in der knapp 155-jährigen Parteigeschichte der Sozialdemokraten. Die klare Favoritin erhielt aber nur eine Zustimmung von 66,35 Prozent. Die Bundestagsfraktionschefin setzte sich in einer Kampfabstimmung gegen Flensburgs Oberbürgermeisterin Simone Lange durch. Das magere Ergebnis zeigt, wie enttäuscht offensichtlich viele Genossen von ihrer Führung sind - und dass Nahles einen harten Job vor sich hat.

Andrea Nahles ist neue SPD Parteichefin - die Pressestimmen 

"Spiegel Online":

"Kann sein, dass Nahles ihr Ergebnis bald verdrängt. Chefin ist Chefin. Aber Wiesbaden verdeutlicht nicht nur das Misstrauen, das Nahles entgegenschlägt, sondern die Krise der gesamten Partei. Was fehlt, ist ein Plan. Wie die SPD wieder auf die Beine kommen soll, ist nach diesem Parteitag so unklar wie vor diesem Parteitag. (...) 'Wir packen das', rief Nahles in Wiesbaden. Sie erhält jetzt ihre Chance. Aber es werden harte Jahre.

"Süddeutsche Zeitung":

Die Machos in der Partei haben jedenfalls Sendepause. Breitbeinig auftreten kann Nahles aber genauso. Ihr Aufstieg verkörpert das Versprechen der Chancengerechtigkeit aufrichtiger als jahrelange Textarbeit an Reformvorschlägen und Gesetzesvorhaben. Die SPD ist mit dem Parteitag von Wiesbaden ein Stück moderner und glaubwürdiger geworden und dies, in dieser Frage, zur Abwechslung ganz ohne das große Drama. (...) Nahles hat ein Kämpferherz wie nur wenige andere in der Partei. Der SPD gehen die Chancen für Neuanfänge allmählich aus. Nahles hat ihre verdient."

"Frankfurter Allgemeine Zeitung":

"Statt Nahles zu stärken, war diese Wahl eine kindische Ohrfeige, ein Achtungserfolg für die Gegenkandidatin der Fraktionsvorsitzenden, der so unerwartet vielleicht gar nicht kam. Sonst hätte sich Kühnert wohl nicht zum Nahles-Fan machen lassen. Viele SPD-Delegierte gaben einer Politikerin ihre Stimme, die ohne Erfahrung ist, deren Vorteil die kommunalpolitische Verankerung (also Sachverstand) hätte sein können, die aber gar nicht damit, sondern mit stramm linker Anti-Agenda-Agitation für sich warb. Simone Lange ist nach Kevin Kühnert damit die zweite frischgebackene Identifikationsgestalt, die eine nach Orientierung suchende Parteiführung dazu zwingen könnte, die SPD nach links, also in Richtung sozialpolitischer und planwirtschaftlicher Glaubenssätze zu rücken. Olaf Scholz scheint der Letzte zu sein, der dagegen hält."

"Tagesspiegel":

"Andrea Nahles, die Trümmerfrau? Die kommenden Wahlen, gleich wo, ob in den Ländern oder in den Kommunen, werden nicht strahlend ausgehen. So viel steht fest. Nahles kann gar nicht so schnell die wahre Wirklichkeit in die SPD hineinbringen, wie es nötig wäre, um das zu verhindern. (...) Eine gute Voraussetzung ist, was Nahles anmahnt und für sich verspricht: Neugier. Ohne die ist Zukunft nicht zu gewinnen; ohne sie gerinnt alles zur festen, zur verfestigten Gewissheit. Und das, obwohl so vieles neu gemacht werden muss. Genau da liegt die Chance der SPD."

"Die Welt":

"Die SPD macht es ihren führenden Vorsitzenden traditionell schwer. Doch selbst vor dieser Folie hat sie Nahles mit 66 Prozent ein Misstrauensvotum ausgestellt. Der Ausgang der Wahl wirft ein Schlaglicht auf die Zerrissenheit der SPD. Erst im Januar hatten die Delegierten mit nur 56 Prozent Gespräche mit der Union über die Bildung einer Koalition gebilligt, und zwar nachdem sich Nahles genau dafür in die Bresche geworfen hatte. Der Umgang des SPD-Establishments mit Simone Lange war wenig souverän. Es wäre Andrea Nahles kein Zacken aus der Krone gebrochen, hätte sie sich mit ihr getroffen. Etwas generöser hätte man Lange sehr wohl begegnen können. Ihr Rückhalt auf dem Parteitag hat auch mit diesem eklatanten Mangel zu tun"

"Stuttgarter Zeitung":

"Gewählt ist gewählt. So wird Andrea Nahles denken, die sich erwartungsgemäß gegen die tapfere Flensburger Oberbürgermeisterin Simone Lange durchgesetzt hat und damit die erste Frau an der Spitze der SPD ist. Das Ergebnis dieser ersten Wahl kann Nahles egal sein, denn es bewertet die Vergangenheit. Viel wichtiger ist das Ergebnis in zwei Jahren - wenn sie es bis dahin schafft. Gelingt es ihr, die Partei auf Kurs zu bringen und Vertrauen zu schaffen, ist das tausendmal mehr wert als 100-Prozent-Ergebnisse, albernes Gottkanzlergeblödel und ein tiefer Fall ins Nichts."

"Kölner Stadt-Anzeiger":

"Merkel und Nahles haben gemeinsam, dass sie in ihren Parteien erst die Macht bekamen, nachdem Männer gravierende Fehler gemacht hatten. Sie sind Trümmerfrauen. (...) Für eine echte Erfolgschance muss Nahles die SPD tatsächlich führen, und zwar mit aller Kraft. Es wäre deshalb schön für sie gewesen, sie hätte dafür vom Parteitag auch ein kraftvolleres Mandat erhalten. (...) Nahles hat die Willensstärke für den Job als Vorsitzende. Sie braucht aber auch Sensibilität, um die Mitglieder mitzunehmen zu können. Die SPD wiederum braucht jetzt Betriebsamkeit und Gelassenheit zugleich."

fs DPA AFP

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