CDU-Parteitag Merkels stärkste Rede

Sie war in höchster Bedrängnis – doch dann lässt Angela Merkel selbstbewusst wie nie auf dem CDU-Parteitag die Zweifel an ihrer Flüchtlingspolitik an sich abperlen.

Angela Merkel hat nach ihrer Rede die knapp 20 Schritte vom Pult zu ihrem Platz auf dem Podium noch nicht mal zur Hälfte zurückgelegt, da steht schon der ganze Saal. Es ist, als ob ein Gewitter der Erleichterung einsetzt unter den gut 1000 Delegierten des CDU-Parteitags in Karlsruhe. Als ob Merkel all' jene, die nun für die nächsten fast zehn Minuten frenetisch beklatschen, in einem Parforceritt aus einer schier unlösbaren Zwangslage geführt hätte. Als ob die da unten im Saal den Glauben wiedergefunden hätten an sich und die innere Einheit mit ihrer Vorsitzenden.

Eineinviertel Stunden hatte die Kanzlerin an diesem Montagmittag zuvor geredet: zur Zukunft Deutschlands, zur Zukunft Europas – und ein bisschen auch über ihre. Wer Merkel-Reden kennt, der weiß - das kann eine Strapaze sein. 

Merkel strotzt vor Selbstbewusstsein

Diesmal aber wirkt es wie eine Erlösung. Es wird eine der besten Reden, die Merkel je auf einem Parteitag gehalten hat. Vielleicht ist es sogar ihre beste. Die CDU-Vorsitzende findet nicht nur die richtigen Worte für all die, die ihre Flüchtlingspolitik in den vergangenen Wochen mit Zweifel, Skepsis und offener Ablehnung belegt haben. Sie hält auch einen Grundsatzvortrag in christlicher Werteorientierung und modernem Politikverständnis in der globalisierten Welt. Sie zieht alle Register. Stellt sich in die Tradition Adenauers, Erhards, Kohls. Dabei strotzt sie nur so vor Selbstbewusstsein und Vertrauen auf die Richtigkeit des von ihr eingeschlagenen Wegs. Und so lässt sie am Ende eine Partei in dem Gefühl baden, so schwierig auch alles sei -  alles habe Hand und Fuß. 

Merkel beginnt damit, welch "unglaubliches Jahr" dieses 2015 doch gewesen sei. Und das stimmt ja irgendwie auch. "Eine solche Dichte, eine solche Abfolge von Ereignissen – das habe zumindest ich noch nicht erlebt." Vieles war düster in diesem Jahr, zählt die Kanzlerin auf – doch vieles endete zumindest mit Gefühlen der Hoffnung. Paris, die Anschläge auf das Satiremagazin Charlie Hebdo – für Merkel wird es zum Zeichen dafür, dass man sich, in Trauer vereint, nicht habe spalten lassen. Dann die 17-stündigen Verhandlungen von Minsk mit Russland und der Ukraine. "Es ging um nicht weniger als die Frage von Krieg und Frieden." Darum, dass das Selbstbestimmungsrecht der Völker nicht nur auf dem Papier stehe – sondern dass es auch gelebt werden darf. Dicke Brocken, weggeräumt.

Die Krise und das Rettende

So geht das weiter. Immer weiter. Die Sanktionen gegen Russland? Waren richtig. "Unsere Prinzipien müssen eingehalten werden." Der Absturz der Germanwings-Maschine? Fassungslosigkeit angesichts der Irrsinnstat eines deutschen Piloten. Aber eben auch: französische Helfer, die an ihre Grenzen gegangen seien. "Das war deutsch-französische Freundschaft."  Dann der Sonderrat der EU, nachdem an einem Wochenende im April hunderte Menschen im Mittelmeer ertrunken seien. Dann die Griechenland-Rettung, eine Zerreißprobe. Für die Kanzlerin aber eben auch eine Beispiel dafür, dass es in Europa "keine Leistung ohne Gegenleistung" gebe.

Im Saal erkennen sie spätestens jetzt das Muster. Wo immer Gefahr ist – irgendwo erwächst stets das Rettende auch. Dann führt die Kanzlerin ihre Zuhörer hinein in die heikle Jetztzeit, mitten hinein in die noch zu bewältigende Flüchtlingskrise. Merkel kommt auf die Nacht des 4. auf den 5. September zu sprechen, als Tausende von Flüchtlingen, die in Budapest gestrandet waren, hilflos umherirrten. Ihre Entscheidung von damals, sie unregistriert nach Deutschland einreisen zu lassen, ist von vielen als Kardinalfehler kritisiert worden.

Ein "humanitärer Imperativ"

Doch an diesem Montag ist es, als ob Merkel die angemessene Überhöhung für diese  Entscheidung zum ersten Mal in verständliche Worte gefasst hätte – und schon steht die Entscheidung quasi alternativlos da. Merkel nennt die Situation "eine Lage, die unsere europäischen Werte wie selten zuvor auf den Prüfstand gestellt hat".  Und dann: "Ein humanitärer Imperativ." Im Saal klatschen sie wie wild.

In dieser Nacht, so Merkel, sei "wie in einem Brennglas deutlich geworden: Die Welt und Europa haben es mit der größten Flüchtlingsbewegung seit dem Zweiten Weltkrieg zu tun".

Collage mit Porträts von Merz, Klingbeil, Söder und Reiche

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Die Botschaft? Na klar: Wieder so eine Aufgabe für jemanden vom Schlage der Kanzlerin. Nicht leicht, nein. Aber auch nichts, wovor man kapitulieren müsse.

Merkel hält das für die andere Seite der Globalisierung, der man sich eben auch stellen müsse. In der CDU haben sie jetzt eine Blaupause für einschlägige Diskussionen mir den verzagten Bürgern draußen im Land. Ja, sagt Merkel die Aufgabe, der nun fast eine Million ankommender Flüchtlinge Herr zu werden, sei riesig. "Deshalb ist es auch richtig, dass wir im Vorstand darum gerungen haben, auch die Sorgen in den Blick zu nehmen". Eine Volkspartei habe aber nicht nur die Aufgabe, Sorgen aufzunehmen, sondern sie müsse gestalten.  Merkel sagt: "Deshalb wollen und werden wir die Zahl der Flüchtlinge spürbar reduzieren – weil das im Interesse aller ist. Im deutschen Interesse, im europäischen Interesse und im Interesse der Flüchtlinge selbst." Das beruhigt die Delegierten. Es geht in die richtige Richtung. Die Karlsruher Erklärung, die diesen Wortlaut hat, sie verschafft Merkel Luft und Zeit für die bevorstehenden schwierigen Wochen und Monate. Vor allem aber: Sie vermeidet die Festlegung auf "Obergrenzen", die Merkel für einen Fehler hält.

Veränderung und Abschottung

Doch Merkel hat im Gegenzug auch genug im Gepäck, um all die in den nächsten Wochen ruhig zu stellen, die eigentlich eine weniger liberale Haltung in der Flüchtlingsfrage haben wollen. Sie zählt auf, dass man in der CDU eine Liste der sicheren Herkunftsstaaten erstellt habe. "Wir waren der Motor – und nicht die anderen". Dass man sich für "mehr Sach- statt Geldleistungen" einsetze, dass Asylbewerber bis zu sechs Monaten in Erstaufnahmeeinrichtungen zubringen müssten. Es ist ein ganzer Katalog, den die Kanzlerin da nun auch fürs Gemüt der hartgesottenen Christdemokraten präsentiert. Schnellere Abschiebungen gehören ebenfalls dazu. Auch für Merkel ist das keine Frage.

Doch dann lässt sich die Kanzlerin noch einmal auf die Grundsatzfrage ein. Sie fragt, ob hinter der Skepsis, ob "wir das alles schaffen können", womöglich doch noch mehr stecke, nämlich "die Frage: Was wird sich alles verändern? Wie viel Veränderung tut uns gut? Wann wird Veränderung zur Belastung? Werden wir noch das Deutschland sein, das wir kennen?"

Das Deutschland, das wir kennen? Angela Merkel glaubt, dass beides gelingen muss. Veränderung und Bewahrung. Ob es in 25 Jahren noch das Deutschland ist, das man im Jahr 2015 kannte – daran hat sie ihre Zweifel. Ihren Delegierten jedenfalls ruft sie an diesem Montag in Karlsruhe zu: "Abschottung im 21.Jahrhundert ist keine vernünftige Option".  Die CDU glaubt das nun auch.