Es ist nicht neu, dass sich der Superschwergewichtler USA als Kriegsgegner gern Fliegengewichtler aussucht. Neu ist, dass er sich in diesem Schicksalswinter einen Gegner vorgenommen hat, der ausgezehrt durch zwölf Jahre mörderischer Sanktionen bereits am Boden liegt. Den Irak kann man nicht k.o. schlagen, der Irak ist k.o.
Ich war in den letzten Monaten zweimal im Irak. Das Land ist am Ende, die Menschen auch. Laut Unicef haben die UN-Sanktionen über 500000 irakische Kleinkinder und mindestens ebenso viele Erwachsene das Leben gekostet. Die Behauptung George W. Bushs, dieser Irak sei eine Gefahr für den Weltfrieden, lebt davon, dass die meisten, die über den Irak reden, noch nie dort waren. Wenn Bush auch nur eine Woche in diesem Land verbracht, das Elend, aber auch die Herzlichkeit seiner Menschen erlebt, wenn er nur einmal in die Augen irakischer Kinder geblickt hätte - er könnte diesen Krieg nicht führen.
Die Behauptung, der Krieg ziele auf al Qaeda, ist absurd. Es gibt in der arabischen Welt keinen größeren Fundamentalistenhasser als Saddam Hussein. Noch wirklichkeitsfremder ist die Vorstellung, er könne die USA angreifen. Der Irak besitzt kein einziges Flugzeug, keine einzige Rakete, die die USA erreichen könnten. Nach offiziellen US-Aussagen hat er gerade noch ein Drittel seiner früheren militärischen Stärke. Ernster zu nehmen ist die Sorge, der Irak besitze noch oder wieder Massenvernichtungswaffen. Saddam hat in den 90er Jahren die Welt belogen. Niemand kann garantieren, dass das heute anders ist. Aber auch die von Bush und Blair genannten Produktionsstätten neuer biologischer und chemischer Waffen haben sich zumidest bisher alle als orientalische Märchen erwiesen. Der Westen mischt in der Schlacht der Lügen kräftig mit.
Selbst wenn Saddam wie andere Potentaten der Region irgendwo Massenvernichtungswaffen verstecken sollte, braucht man keinen Krieg, um sie zu zerstören. Die UN-Waffeninspekteure haben in den 90er Jahren mehr Waffen zerstört als der Golfkrieg.
Auch das Argument, es gehe um die Beseitigung eines unmenschlichen Diktators, ist vorgeschoben. Noch nie hat sich ein amerikanischer Präsident mit so vielen brutalen Gewaltherrschern verbündet wie Bush in seinem Kreuzzug gegen den Terror. Man muss eine Weltanschauung aus dem Legoland haben, um diese Unterstützung des Bösen zur Ausrottung des Bösen moralisch nachvollziehen zu können.
Viel wahrscheinlicher ist, dass Bush davon ablenken will, dass er das Hauptziel seines Afghanistankrieges, Bin Laden, nicht ausschalten konnte. Über 6000 Zivilpersonen wurden durch den milliardenteuren Bombenhagel auf Afghanistan getötet, der aber, um den alles ging, ist auf dem Rücken eines Esels entkommen. Bush braucht im Antiterrorkrieg dringend einen spektakulären Erfolg. Wenn schon nicht Bin Laden, dann wenigstens Saddam - auch wenn der mit dem internationalen Terrorismus nichts zu tun hat.
Außerdem liegen im Irak die zweitgrößten Ölvorräte der Welt. Amerika hat in den vergangenen Jahrzehnten in der Golfregion schwere Rückschläge einstecken müssen. Der Iran und der Irak gingen verloren, und auch Saudi-Arabien geht zunehmend auf Distanz. Getrieben von Amerikas unstillbarem Durst nach Öl, will Bush die Region erdölstrategisch neu ordnen.
Der Krieg gegen den Irak wäre das Paradebeispiel eines ungerechten Krieges. Er wäre kontraproduktiv, weil er die Region nicht stabilisieren, sondern in einen brodelnden Kessel verwandeln würde. Die Probleme des Nahen Ostens lassen sich nicht mit Willkür und Gewalt, sondern nur mit Gerechtigkeit lösen. Von Gerechtigkeit aber ist Bushs Nahostpolitik Lichtjahre entfernt.

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Ein Sieg über den ausgehungerten Irak würde von der arabischen Welt als weitere Demütigung empfunden, der Hass auf die USA würde wachsen. Es könnte sein, dass wir 30 Tage Bomben auf den Irak mit 30 Jahren Terrorismus bezahlen. Nicht nur die amerikanische Ölindustrie, auch Bin Laden wartet sehnsüchtig auf diesen Krieg.
Völkerrechtswidrig wäre ein Krieg gegen den Irak. "Die Entfesselung eines Angriffskriegs ist das größte internationale Verbrechen, das sich von anderen Kriegsverbrechen dadurch unterscheidet, dass es alle Schrecken in sich vereint", heißt es in der Urteilsbegründung des Nürnberger Kriegsverbrechentribunals. Robert Kennedy hat während der Kubakrise Präventivkriege zu Recht als "unamerikanisch" bezeichnet; sie stellten alle Werte infrage, für die Amerika stehe. Nicht die Kritik an Bushs Kriegsplänen ist antiamerikanisch, antiamerikanisch ist Bushs Kriegspolitik.
Außerdem müsste Bush erst einmal Beweise vorlegen, dass Saddam tatsächlich Massenvernichtungswaffen besitzt und deren Einsatz plant. Es ist in Rechtsstaaten nicht üblich, dass der Angeklagte die Beweislast trägt und der Ankläger vor dem Gerichtssaal den Galgen aufbaut, bevor die Schuld des Angeklagten bewiesen ist.
Der Krieg gegen den Irak wäre auch unmoralisch. Wie in Afghanistan würden durch westlichen High-Tech-Vandalismus unzählige Zivilpersonen sterben. Wir trauern zu Recht um die fast 3000 Opfer des 11. September. Wer aber trauert um die getöteten Kinder Afghanistans und des Irak? Kommt da bei uns allen nicht ein Stück Rassismus zum Vorschein, denken wir nicht alle insgeheim, afghanisches, irakisches Blut sei billiger?
Buch-Tipp:
Am 23. Januar erscheint "Wer weint schon um Abdul und Tanaya?" von Jürgen Todenhöfer, Herder, 224 Seiten, 19,90 Euro
Das Irak-Problem ließe sich bei gutem Willen innerhalb kürzester Zeit politisch lösen. Saddam ist schwer angeschlagen. In Verhandlungen könnte der Westen als Gegenleistung für eine Wiederaufnahme des Irak in den Kreis gleichberechtigter Nationen und für eine Aufhebung der Sanktionen zurzeit fast alles erreichen:
- Gewaltverzichtsverträge mit den Nachbarstaaten und mit Israel,
- eine wirksamere Rüstungskontrolle und gegen Sicherheitsgarantien auch weitere Abrüstung,
- Garantien für Kurden und Schiiten,
- eine aktive Beteiligung des Irak am Antiterrorkampf sowie
- eine Sicherung der westlichen Ölversorgung. Man muss notfalls mit dem Teufel verhandeln, wenn man dadurch einen gerechten Frieden erreichen kann.
Hier sind vor allem Schröder und Chirac gefordert. Sie müssen endlich eine politische Alternative zu Bushs "Krieg um jeden Preis"-Politik vorlegen und eine diplomatische Offensive starten. Mit mangelnder Bündnistreue hat das nichts zu tun. Kein Bündnispartner muss sich an völkerrechtswidrigen Kriegen und kolonialistischen Raubzügen beteiligen. Wer Amerika liebt, muss nicht alle seine Kriege lieben.
Krieg ist leicht, Frieden viel schwerer. Aber gerade im Zeitalter der Massenvernichtungswaffen und des Terrorismus gelten John F. Kennedys prophetische Worte: "Die Menschheit muss dem Krieg ein Ende setzen, oder der Krieg setzt der Menschheit ein Ende."
Jürgen Todenhöfer
Zur Person
: Jürgen Todenhöfer, 62, studierte Jura, arbeitete als Richter und wurde 1972 in den Deutschen Bundestag gewählt, dem er bis 1990 angehörte. Seit 1987 ist Todenhöfer stellvertretender Vorstandsvorsitzender des Burda-Verlages ("Focus", "Bunte"). Der frühere CDU-Politiker eckte in der eigenen Partei mehrfach an und sorgte durch spektakuläre Aktionen und Äußerungen für Aufsehen: 1975 traf er den chilenischen Diktator Pinochet, bei dem er sich für die Freilassung von 4500 politischen Häftlingen einsetzte, die wenig später tatsächlich freigelassen wurden. 1979 lobte er die US-Regierung für deren Pläne, eine "Einsatztruppe für die Dritte Welt" aufzubauen. Auch seine Reise 1980 mit einem Fotoreporter und einer Gruppe afghanischer Freiheitskämpfer von Pakistan aus in das von der damaligen Sowjetunion besetzte Land, sorgte für Furore. 1984 sprach sich Todenhöfer für eine europäische Atomstreitmacht aus und für eine deutsche Mitbestimmung bei der Einsatzentscheidung.