Preisfrage: Woran merkt man, dass die Menschen, speziell die Medienmenschen, Corona allmählich wirklich aber sowas von über haben?
Na, zum Beispiel daran, dass Meldungen über einen möglichen Kanzlerkandidaten der SPD nicht nur verfasst, sondern mittlerweile sogar gedruckt und gesendet werden. An nicht besonders prominenten Plätzen, zugegeben, aber immerhin. Vor wenigen Tagen noch hätte unsereins Nachrichten solcher Art umstandslos in die Kategorie "Gar nicht erst ignorieren" sortiert.
"Cicero" lagt schon bei Steinbrück richtig
Rolf Mützenich soll es werden, meldet "Cicero". Darauf hätte sich das inzwischen nicht mehr ganz frische Duo an der SPD-Spitze festgelegt. Und wer bereits an dieser Stelle hell auflachen möchte, der sei daran erinnert, dass das Blatt schon deshalb eine gewisse Expertise vorweisen kann, weil es vor der Wahl 2013 Peer Steinbrück mutig als SPD-Bewerber auf seinen Titel hievte, als alle Welt noch glaubte, das Rennen um den Job sei weiter offen. Es gibt allerdings auch andere gute (oder schlechte) Gründe für die Annahme, dass die Meldung stimmen könnte; wir kommen noch drauf.
Rolf Mützenich also, eventuell. Rolf W… – nein, den sparen wir uns heute mal. Zum einen, weil der Mann auch über Berliner Insiderkreise hinaus eine gewisse Bekanntheit erlangt hat, seit er im Herbst zum Überraschungs-Nachfolger von Andrea Nahles gewählt wurde und nun als SPD-Fraktionschef gelegentlich in den Abendnachrichten auftaucht. Zum anderen, weil Mützenich ein honoriger, freundlicher und respektabler Politiker ist, der mit seinem durchaus vorhandenen Selbstbewusstsein nicht sofort jeden Raum durchpestet, den er betritt.
Sogar Gerhard Schröder empfiehlt Rolf Mützenich
Sogar Gerhard Schröder hat ihn in seinen erlauchten Fünfer-Kreis möglicher SPD-Kanzlerkandidaten aufgenommen. Aber das will nichts heißen. Auf Schröder hat seine Partei nur solange gehört, wie er sie als Kanzler dazu zwingen konnte – und auch dann nur teilweise und/oder widerwillig.
Die anderen vier, die Schröder empfiehlt, sind, nur der Vollständigkeit halber: Franziska Giffey, die aber lieber Berliner Bürgermeisterin werden möchte; Hubertus Heil, der angeblich nicht zur Verfügung steht; Lars Klingbeil, von dem man nicht so genau weiß, ob er wollen würde oder lieber nicht. Und: Olaf Scholz.

Scholz - vor allem außerhalb der SPD beliebt
Olaf Scholz ist unter allen möglichen und unmöglichen Aspiranten auf den Kandidatenjob der mit weitem Abstand erfahrenste, bekannteste und beliebteste Sozialdemokrat – zumindest wenn man die rund 81,5 Millionen Bundesbürger fragt, die nicht der SPD oder den Jungsozialisten angehören. Er ist mit Sicherheit auch derjenige, den es am heftigsten ins Kanzleramt zieht – und der es sich am meisten zutraut, der Aufgabe gewachsen zu sein. Er hat sogar schon mal ziemlich überzeugend Wahlen gewonnen. Nun gut, nicht auf SPD-Parteitagen, nur als Spitzenkandidat im richtigen Leben. Das zählt in der SPD nicht wirklich.
Wahrscheinlich – sollte "Cicero" korrekt informiert sein – ist just dies das entscheidende Argument, das in den Augen der SPD-Zweierspitze für Rolf Mützenich spricht: Er ist nicht Olaf Scholz. Er hat zwar auch seinen eigenen Kopf und eine gewisse Widerborstigkeit. Aber es zählt nicht zu den per se misstrauisch Beäugten, den der Helmut-Schmidt-Anti-Visions-Division Zugerechneten. Da hilft es Scholz offenbar auch wenig, dass er gerade Staatsknete übers Volk regnen lässt, wie es sich selbst Oskar Lafontaine nicht hätte träumen lassen.
Bei nächster Wahl fällt Kanzler-Bonus weg
Wenn Rolf Mützenich klug ist – und er ist klug! –, dann wird er allerdings wissen, dass es nicht reicht, von der eigenen Parteispitze und den Genossen geschätzt zu werden, um einen Wahlkampf zu bestehen – oder gar zu gewinnen. Und falls er noch Zweifel haben sollte, kann er ja mal bei einem gewissen Martin Schulz nachfragen.
Die SPD beweist gerade mal wieder, wie gut sie regieren kann. Das Land ist vor allem dank der sozialdemokratischen Ministerinnen und Minister bislang recht sicher durch die Coronakrise gekommen. Die Wähler vergelten es der Partei momentan nicht besonders, das ist wahr. In Umfragen hängt sie bei plus minus 15 Prozent fest. Die Union erntet den Dank fast alleine – vor allem erntet ihn Angela Merkel. Nur, es sind Umfragen. Und bei der nächsten Wahl tritt Merkel mit sehr, sehr großer Wahrscheinlichkeit nicht mehr an. (Stimmt doch, "Cicero", oder?). Der Kanzlerinnen-Bonus fällt weg. Das Rennen könnte deutlich offener werden als bei den letzten Wahlen.
Lieber die S-Frage stellen
Die Chancen sind – sehr zurückhaltend formuliert – nicht groß für die SPD, 2021 wieder so stark zu werden, um den Kanzler stellen zu können. Die SPD sollte diese Chance aber nicht auch noch mutwillig minimieren und den Kampf von vorne herein aufgeben.
Schröder, Steinmeier, Steinbrück, Schulz. Irgendwie würde der Name Mützenich in dieser Reihe etwas merkwürdig anmuten. Vielleicht sollte die SPD doch noch mal etwas intensiver über ihre S-Frage nachdenken.