Berlin vertraulich! Einigkeit und Schwarz-Rot-Goldbroiler

  • von Hans Peter Schütz
20 Jahre deutsche Einheit, das musste 2010 gewürzt werden. Wo und womit das geschah, enthüllt "Berlin vertraulich" zum Jahresende.

Als politische Rekordmarken des Jahres müssen - sehr subjektiv, wie wir eingestehen - festgehalten werden: Das würzigste Bekenntnis des Jahres zur Berliner Republik: Um es kennen zu lernen, musste man im Deutschen Bundestag essen gehen. In den Restaurants stand jetzt "Deutschland-Pfeffer" auf dem Tisch. In einer durchsichtigen Mühle, gefüllt mit schwarz-rot-gelben Pfefferkörnern. Die Idee dazu hatte die um das Kulturkaufhaus Dussmann gruppierte Firmengruppe aus Anlass der nun 20-jährigen deutschen Wiedervereinigung. Dussmann hat schon immer gesamtdeutsche gastronomische Signale gesetzt. Etwa indem in den Dussmann-Restaurants auch schon mal "Schwarz-Rot-Goldbroiler" serviert worden sind. Appetitlich auch der Kanzler-Teller: Kohlroulade, gebratener Saumagen und Einheits-Kartoffelbrei. Unser Ratschlag: Weiterkochen, weil drei Sterne für die Republik damit auch künftig verdient wären.

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Die schärfste Kritik des Jahres am neuen Bundespräsidenten Christian Wulff: Sie stammt von Thilo Sarrazin, dessen Buch "Deutschland schafft sich ab" bislang 1,2 Millionen Mal verkauft worden ist und damit der absolute Bestseller seit Einführung der Buch-Verkaufsstatistik ist. Weil Wulff den Satz gewagt hat "Der Islam gehört zu Deutschland", was Sarrazin absolut nicht realisiert sehen will, kommt er dem Bundespräsidenten mit Goethe. Der habe schon vor 200 Jahren mehr von dieser "totalitären Religion" verstanden als die Redenschreiber des Bundespräsidenten. Und dann folgt der Kernsatz: "Wie schön wäre es, wenn unsere politischen Führer nicht nur über die Halbbildung ihrer Redenschreiber, sondern über eigene Bildung verfügten". Unsere Frage an die SPD: Kann sie diesen Sarrazin wirklich weiterhin in ihren Reihen dulden?

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Die politisch unsinnigste Analyse des Jahres: Der Absturz der FDP von den stolzen 14,6 Prozent bei der Bundestagswahl auf jetzt drei bis vier Prozent in den Umfragen wurde von den Strategen in der FDP-Zentrale höchst eigenwillig interpretiert. Sie erklärten, "die innerparteiliche Diskussion der FDP wirkt sich jetzt in den Umfragen aus". Kurzum, nicht FDP-Chef Guido Westerwelle ist schuld am Absturz, sondern seine Kritiker. Hinzu kam der Satz, wer sich in der FDP über die FDP äußere, müsse sich seiner Verantwortung für die anstehenden Wahlen bewusst sein. Womit die merkwürdige Schuldzuweisung klar ist: Wer Kritik am Zustand der FDP äußert ist schuld und nicht die, die den Zustand verschuldet haben. *

Die närrischste Schmeichelei des Jahres: Wir verdanken sie US-Diplomaten, die wie wir dank Wikileaks wissen, in der Regel über deutsche Politiker eher abfälligen Klatsch verbreiten. Nicht so John Kornblum, einst US-Botschafter in Berlin. Er rühmte jetzt den Senkrechtstarter des Jahres, natürlich Karl-Theodor zu Guttenberg, im "Handelsblatt". Der Mann sei eine "Erscheinung von internationalem Format", er stelle den Antipolitiker unter den deutschen Spitzenstaatsdienern dar, weil er sich "tatsächlich für die Substanz der Politik zu interessieren scheine", vor allem "er nimmt sich nicht so ernst wie viele seiner Bewunderer". Klar, dass Kornblum ihn für kanzlerfähig hält, auch als NATO-Generalsekretär würde der Mann glänzen. Unter einer Voraussetzung allerdings: Zu Guttenberg muss einen Test bestehen - die Kür am 19. Februar zum Aachener "Ritter wider den tierischen Ernst". Das sei die gefährlichste Stufe seiner Laufbahn, mutmaßt der Amerikaner. Denn im Narrenkäfig sei schließlich Humor gefragt, nicht gerade eine typische Eigenschaft deutscher Politiker. Gelinge zu Guttenberg dies, werde ihn "wohl gar nichts mehr aufhalten können".

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Die wichtigste Richtigstellung des Jahres: "Berlin vertraulich" kolportierte in diesem Jahr das in der FDP kursierende Gerücht, ihr Generalsekretär Christian Lindner lasse zuweilen gerne seinen Bartwuchs zwei, drei Tage stehen, um älter zu wirken als seine 31 Jahre. Das wurde ihm als verdeckte Ambition auf den FDP-Chefsessel ausgelegt. Dagegen machen nun seine medialen Mitarbeiter Front. Der Zwei-Drei-Tage-Bart signalisiere keine Attacke auf Parteichef Guido Westerwelle. Bart habe Lindner schließlich schon auf dem Wahlkampfplakat 2005 getragen. Außerdem, so erzählen sie, mache weniger rasieren Lindner den parteibedingt überaus schweren Alltag leichter. Und überhaupt: Seine Freundin finde ihn rasiert deutlich weniger attraktiv. Also: Von Lindner droht Westerwelle keine Gefahr. Zumindest, diese Prognose sei gewagt, nicht mehr in diesem Jahr.