Berlin vertraulich! Von Überläufern und einem Wegläufer

  • von Hans Peter Schütz
Die Linke hat der FDP in Sachen Parteitag die Show gestohlen - und das nicht nur wegen mangelnder, liberaler Gastgeberqualitäten. Horst Seehofer verteilt indes großzügig Vater- erntet aber wenig Gegenliebe.

Wild entschlossen, sich ihrem Idol Rosa Luxemburg ("Es stimmt, ich habe verfluchte Lust, glücklich zu sein") würdig zu erweisen, präsentierte sich die Linke auf ihrem Vereinigungsparteitag am Wochenende in Berlin. Einige trugen T-Shirts mit dem Aufdruck "Socialist" oder "Anti-Capitalist." Mehr noch aber beflügelte die Stimmung, dass wieder einmal prominente Neuzugänge vorzuzeigen waren. Etwa Rüdiger Sagel, fast schon ein Urgestein der Grünen, zuletzt wirtschaftspolitischer Sprecher der grünen NRW-Landtagsfraktion. Er hat die Nase voll von "grüner Militärpolitik" und einer "grünen Marktwirtschaft nach dem Vorbild der FDP", wie er stern.de sagte. Oder Edelbert Richter, einst Mitbegründer des Demokratischen Aufbruchs und Anfang der 90-er Jahre für die SPD im Bundestag. "Willkommen Edelbert", rief ihm der neue Mit-Parteichef Oskar Lafontaine zu. Ein Glücksfall für die SPD war, dass ihr früherer sozialpolitischer Star Rudolf Dressler fehlte. Nicht, weil er neuerdings wieder auf Distanz zur Linken ginge, sondern weil ihn ein offenes Bein an der Reise nach Berlin hinderte. "Er wäre sonst heute da gewesen", sagte Uli Maurer, Parlamentarischer Geschäftsführer der Links-Fraktion im Bundestag und künftig auch für den weiteren Aufbau seiner Partei in den westlichen Ländern zuständig. Sein nächstes Ziel: "Wir werden in Hessen Schwarz-Gelb verhindern!" Dabei helfen soll ein weiterer prominenter "Überläufer", Dieter Ruge, ehemals hessischer Landesvorsitzender des DGB, der als Spitzenkandidat im Gespräch ist.

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Hans Peter Schütz

Worüber redet das politische Berlin, wenn die Kameras ausgeschaltet sind? stern-Autor Hans Peter Schütz hört hin und notiert wöchentlich den neuesten Tratsch aus der Hauptstadt - exklusiv auf stern.de lesen Sie seine Kolumne "Berlin vertraulich!"

Interessant zu hören auf dem Parteitag der Linken: Längst gibt es zwischen SPD-Genossen und Links-Genossen eher entspannten Umgang. So scharf sich SPD-Fraktionsboss Peter Struck mit Worten auch von der Linken abgrenzt, so locker sah man ihn schon im Bundestag mit Lafontaine plaudern. Gleiches gilt auch für Außenminister Frank-Walter Steinmeier. Alles ganz im Sinne von "Oskar", der angekündigt hat: "Wir verlassen den politischen Grabenkampf und gehen offen hinaus." Und beinahe ein politisches Wunder: Der FDP-Abgeordnete Ernst Burgbacher und Maurer duzen einander. Ganz entspannt von Schwabe zu Schwabe.

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Jedenfalls hat die Linke den Liberalen die Show gestohlen. Viele Journalisten sind aus Stuttgart vorzeitig abgereist, nachdem sich FDP-Chef Westerwelle zur "Freiheitsstatue der Republik" aufgepumpt hatte, und eilten zurück nach Berlin. Nicht nur, weil sie dort mehr Spannung als bei der FDP erwarteten. Die Liberalen waren nämlich das erste Opfer des vom Bundestag beschlossenen öffentlichen Rauchverbots. Erstmals seit Jahrzehnten hatte deshalb der Fluppen-Hersteller Philipp Morris auf die Einrichtung einer Lounge fürs Pressevolk verzichtet, in der früher feine Häppchen, gute Süppchen und Gratis-Getränke angeboten worden waren. Die Folgen waren schmerzlich spürbar: In eigener Regie brachte die FDP lange Zeit keine Versorgung mit Getränken und essbaren Speisen zustande. Es hagelte massenhaft Beschwerden der Schreiberlinge, die zudem noch in einen vergammelten Arbeitsraum eingesperrt waren. Westerwelles Aufruf zur Entscheidungen zwischen "Mehr Freiheit oder mehr Sozialismus" wurde daher klar beantwortet: Mehr Sozialismus!

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Mutter und Kind wohlauf. Ein Töchterlein, 3040 Gramm schwer und 50 cm groß. Willkommen! Und Vater Horst Seehofer bekennt sich tapfer dazu: "Ich übernehme auch die Verantwortung für die jüngste Tochter." Was denn sonst? So hat es ihm ja sein Intimfeind, CSU-Generalsekretär Markus Söder, vorgemacht, der sich auch offensiv zu einer ohne ehelichen Segen gezeugten Tochter bekannt hat. Aber alle in der CSU bezweifeln, dass Seehofer dadurch, dass er alle liebt, seine zwei Frauen und seine insgesamt vier Kinder, politisch noch eine Chance hat. "Er ist vor seiner Verantwortung für die Partei weggelaufen", murren seine Parteifeinde. Im Kampf um den CSU-Vorsitz mit Erwin Huber prophezeien ihm Kenner der Szene eine herbe Niederlage. 20 Prozent seien noch für Seehofer, selbst wenn er auf dem Parteitag im September eine brillante Rede halte, werde er kaum über die 30-Prozent-Hürde kommen. "Der Seehofer ist politisch erledigt. Er muss froh sein, wenn er nach seiner Niederlage gegen Huber nicht auch noch sein Ministeramt verliert.

Collage mit Porträts von Merz, Klingbeil, Söder und Reiche

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Besonders übel nimmt die Berliner CSU-Landesgruppe dem Agrarminister, dass er Huber mit dem Vorwurf angreift, die CSU könne doch keinen bundespolitischen Anfänger zum CSU-Chef machen. Das sei doch wirklich nicht zum aushalten, heißt es dazu. Huber habe schließlich 2005 eine ganz wichtige Rolle beim Aushandeln des Koalitionsvertrages gespielt. Auch Angela Merkel sei beeindruckt von seiner Sachkenntnis in der Finanz- und Wirtschaftspolitik. Seehofer habe schließlich seine Partei dem bundesweiten Spott als "Christliche Sex-Union" (CSU) ausgeliefert. Unterm Strich verantworte er eine CSU-Krise, wie sie Anfang der 50-er Jahre vom erbitterten Machtkampf der CSU-Gründer Josef Müller, genannt der Ochsensepp, und Alois Hundhammer ausgelöst worden war. Am Ende stand damals die Machtübernahme in Bayern durch eine Vierer-Koalition unter Führung der SPD. So schlimm wie damals wird es wohl nicht kommen. Aber härtere Kritik an Seehofer kann nicht mehr geübt werden.