Als alles entschieden war, griff Angela Merkel kurz nach 8.00 Uhr zum Telefon. In Washington war es 2.00 Uhr nachts, als Horst Köhler den Hörer abnahm. Merkel konnte dem Chef des internationalen Währungsfonds eine gute Nachricht übermitteln: Auch das FDP-Präsidium hatte gerade seiner Nominierung zum Präsidentschaftskandidaten des bürgerlichen Lagers zugestimmt. "Ich fand, dass er erstaunlich schnell wach war", berichtete Merkel später über Köhlers Reaktion. Er sei "sehr erfreut" gewesen.
Der Weg bis zu Köhlers Nominierung war steinig: 80 Stunden voller taktischer Winkelzüge, persönlicher Verletzungen und Machtproben in der Union waren nötig, bis die Entscheidung endlich fest stand. Bei ihrem Auftritt vor der Bundespressekonferenz um 12.00 Uhr setzten alle drei Vorsitzenden - Merkel (CDU), Edmund Stoiber (CSU) und Guido Westerwelle (FDP) - ein Siegerlächeln auf. Gerade so, als hätte es das Ringen mit harten Bandagen in den vergangenen Tagen nicht gegeben. Vor allem Merkel sagte, sie sei "sehr zufrieden".
Koch probte den Aufstand gegen Merkel
In der Nacht zum Donnerstag hatten sich alle Blicke auf die Präsidiumssitzung der CDU und auf Merkel gerichtet. Die Parteispitzen von FDP und CSU hatten zur gleichen Stunde in Berlin und München schnell ihre Arbeit erledigt. Im Konrad-Adenauer-Haus aber probte Hessens CDU-Ministerpräsident Roland Koch - unterstützt von Unionsfraktionsvize Friedrich Merz - den Aufstand gegen Merkel. Schon vor Beginn der Sitzung sprach Koch wutschnaubend in zahlreiche Fernsehkameras: "Ich bin absolut unzufrieden. Das Verfahren ist sehr chaotisch."
Drinnen in der geheimen Runde entspann sich dann über Stunden eine harte Konfrontation. Koch vertrat - assistiert von Merz - die These, man hätte die Kandidatur des ehemaligen CDU-Chefs Wolfgang Schäubles viel früher und offensiver vertreten müssen. Damit stellte Koch erstmals offen die Führungsfrage. Denn wer hätte die Kandidatur Schäubles befördern können, wenn nicht die CDU-Chefin.
Was Koch erreichte, war, dass die CDU über Stunden ein Bild der Zerrissenheit abgab. Erst nachdem sich die Mehrheit der christdemokratischen Spitzenpolitiker auf die Seite der CDU-Chefin gestellt hatte, konnte in der Parteizentrale gegen 22.30 Uhr mit der eigentlichen Kandidatenfindung begonnen werden. Dann ging es relativ zügig.
Köhlers Wahl am 23. Mai scheint nicht gefährdet
Köhlers Wahl am 23. Mai scheint nicht gefährdet. In Union und FDP zeigte sich breiter Rückhalt für den Kandidaten. Noch ist Köhler für die meisten Bürger ein unbeschriebenes Blatt. In den nächsten Wochen wird sich die Öffentlichkeit mit ihm beschäftigen. Dies wird für den Mann, dem nachgesagt wird, lieber im Stillen zu wirken, eine Bewährungsprobe.

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Sollte sich Köhler profilieren, könnte am Ende nur noch Kochs Kritik im Gedächtnis bleiben, nicht die Querelen bei der Kandidatensuche. Dann dürfte nach Hoffnung der Merkel-Anhänger mehr und mehr klar werden, dass es der Vorsitzenden in einer schwierigen Situation als Oppositionsführerin relativ zügig gelungen ist, einen veritablen Kandidaten durchzusetzen.
Wer Merkel nach der Entscheidung beobachtete, hatte keine Zweifel: Köhler war wohl lange im tiefsten ihres Herzens ihr Kandidat und nicht Schäuble. Vor den Journalisten präsentierte Merkel Köhler so, als sei er ein Verwandter im Geiste. Die Vorsitzende kennt Köhler seit ihren Tagen als Helmut Kohls Umweltministerin. Köhler war als Wirtschaftsberater des damaligen Kanzlers zwar im Rang niedriger als die damals noch junge Ministerin. De facto waren die Männer in Kohls Gefolge aber mächtiger. Merkel rechnet es Köhler dennoch bis heute hoch an, dass er sie dies nie spüren ließ. Zum 60. Geburtstag Köhlers war Merkel eingeladen.
Der Kanzler lobte Köhlers Kompetenz
Die Nominierung der Wissenschaftlerin Gesine Schwan durch die rot- grüne Koalition als Gegenkandidatin sieht Merkel gelassen. Köhler, weiß sie, ist eine andere Kategorie. Auch SPD-Kanzler Gerhard Schröder kam nach der Kür Köhlers nicht umhin, dessen außerordentliche Kompetenz zu loben.
Mit einem guten Ergebnis für Köhler erhofft sich Schwarz-Gelb, ein Signal für die Bundestagswahl 2006 setzen zu können. Merkel, Stoiber und Westerwelle wurden nicht müde, die nationale und internationale Erfahrung Köhlers in Zeiten der Globalisierung herauszustreichen. Er sei der Vorzeigereformer des bürgerlichen Lagers und Alternative zur rot-grünen "Reform-Agenda 2010". Das meiste Lob kam von Merkel.