Neuer Bundestag Von rechts drückt die AfD: Drei Lehren aus der ersten Parlamentssitzung

Alice Weidel und Tino Chrupalla gratulieren Julia Klöckner (CDU) zur Wahl zur Bundestagspräsidentin
Die AfD-Fraktionsvorsitzenden Alice Weidel und Tino Chrupalla gratulieren Julia Klöckner (CDU) zur Wahl zur Bundestagspräsidentin.
© Michael Kappeler / DPA
Julia Klöckner schleppt sich ins Präsidentenamt, Gregor Gysi vertändelt die Rede seines Lebens – und Alice Weidel führt plötzlich die Opposition an. Die Lehren des Tages.


Der Tag endete mit einer Routine: Drei Mal ließen die Parteien der Mitte den AfD-Kandidaten für den Posten des Bundestags-Vizepräsidenten durchfallen. So fängt der neue Bundestag an wie der alte: Die Brandmauer steht, die extreme Rechte bleibt isoliert. Ob das eine kluge Strategie ist im Umgang mit der AfD, wird sich noch zeigen. Mit dieser Frage wird sich auch die neue Parlamentspräsidentin befassen müssen, Julia Klöckner von der CDU. 

Was bei der konstituierenden Sitzung des 21. Bundestags sonst noch geschah, lesen Sie unten in unserem Liveblog. Die wichtigsten Lehren des Tages finden Sie hier:

Alice Weidel ist jetzt wirklich neue Oppositionsführerin

...und von rechts drückt die blaue Wand! Mit der Konstituierung des neuen Bundestags wird die bedeutendste Folge des Wahlergebnisses vom 23. Februar sichtbar: Jeder vierte Abgeordnete im Deutschen Bundestag kommt von der AfD. Ein Symbol des Wandels: Nazi-Slogans, NS-Verharmlosung und Ausländerfeindlichkeit sind nicht nur salonfähig, wie es immer so schön heißt, sondern vor allem das: politikfähig. Immer mehr Deutsche halten die Lehren aus dem Faschismus offenbar für Kindermärchen.

Wenn es zur neuen Koalition zwischen CDU/CSU und SPD kommen sollte, wird die AfD die stärkste Oppositionspartei sein. Das heißt, sie hat das Recht, als erste einen Redner oder eine Rednerin auf die Bundesregierung antworten zu lassen. Alice Weidel wird also die Rolle einnehmen, die Friedrich Merz in der vergangenen Legislaturperiode zukam. Dieser Machtgewinn ist enorm.

Die AfD wird derweil alles tun, um die anderen Parteien, wie es Alexander Gauland einmal sagte, zu jagen. Dazu wird sie die demokratischen Parteien in jede erdenkliche Falle locken. So geht das Playbook der Zerstörung des Parlaments von innen. Die AfD beherrscht dieses Spiel bestens. An diesem Dienstag etwa trat sie drei Mal erfolglos mit demselben Kandidaten an. Nur um sich als Outlaw zu inszenieren.

Doch mit Geschäftsordnungsstrategien ist diese Partei ohnehin nicht kleinzukriegen. In den kommenden vier Jahren wird es deshalb eine kraftvolle politische Antwort auf die angebliche Alternative brauchen. Das ist jetzt der Job von Friedrich Merz.

Julia Klöckners Suche nach der Mitte

Die erste Sitzung des neuen Bundestags hat deutlich gemacht, was für ein Kraftakt es sein wird, in der kommenden Legislaturperiode einen Konsens zu finden. Nicht nur bei Grundgesetzänderungen – für die Union, SPD und Grüne künftig auch auf die Stimmen der Linken oder der AfD angewiesen sind – könnte es schwierig werden. Offenbar können sich die Parteien der Mitte nicht einmal auf eine Bundestagspräsidentin wirklich einigen.

Zwar hat die neue Präsidentin Julia Klöckner (CDU) bei der Wahl eine Mehrheit erreicht – ein überragendes Ergebnis war es jedoch nicht. 204 Abgeordnete stimmten mit Nein, 31 enthielten sich. Wenn alle 152 AfD-Abgeordneten mit Nein gestimmt haben, fehlten ihr mutmaßlich 96 Stimmen aus den Reihen von Union, SPD, Grünen und Linken. Wo genau sie herkamen, ist nicht klar. Es war eine geheime Wahl.

Collage mit Porträts von Merz, Klingbeil, Söder und Reiche

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Vor der Sitzung hatte Klöckner sich wegen ihres Umgangs mit der AfD-Fraktion im Bundestag bei den Grünen unbeliebt gemacht. Die Kandidatin der Union hatte angekündigt, sich bei der AfD-Fraktion vorzustellen. Ein Besuch bei der AfD sei ein „falsches Signal der Normalisierung“, hieß es daraufhin bei den Grünen. Der Besuch fand schließlich aus Termingründen nicht statt.

Mit der Eröffnung des 21. Deutschen Bundestags wird klar: Eine polarisierte Gesellschaft spiegelt sich auch im Parlament wider. Für eine faire Streitkultur zu sorgen, wird nicht leicht für die neue Parlamentspräsidentin. Das schwache Wahlergebnis für sie ist ein Vorgeschmack auf die Größe ihrer Aufgabe.

Gregor Gysis verpatzte Chance

Es war eine einmalige Gelegenheit für Gregor Gysi. Als Alterspräsident durfte er zu Beginn der konstituierenden Sitzung des Bundestags eine Rede halten – und zwar so lange, wie er wollte. Er hatte die Chance, der neuen Legislaturperiode seinen Stempel aufzudrücken. Gelungen ist ihm das nicht.

Stattdessen wirkte die Rede wie eine Aneinanderreihung von Themen, zu denen Gysi seine Meinung schon immer mal loswerden wollte. Statt sich auf wenige wichtige Punkte zu konzentrieren, sprang er von Thema zu Thema und erzählte vieles aus dem Parteiprogramm der Linken, aber leider wenig Neues.

Unbegrenzte Redezeit: Die Rede von Alterspräsident Gregor Gysi in voller Länge
© Michael Kappeler
Die Rede von Alterspräsident Gregor Gysi in voller Länge
© RTL.de

Er kritisierte die Verwendung von Begriffen wie „Kriegstreiber“ oder „Putinversteher“, warb für die Zwei-Staaten-Lösung im Gaza-Konflikt, sprach über historisch heikle Straßennamen, die teils unverständliche Sprache von Politikern und schlug schließlich zwei neue Feiertage vor. Ein roter Faden? Fehlanzeige. Dazu verhaspelte sich Gysi andauernd, wirkte schlecht vorbereitet.

Nach kurzer Zeit war die Aufmerksamkeit im Saal weg. Einige Abgeordnete unterhielten sich, tippten auf ihren Handys, andere verließen den Saal, einer las demonstrativ (und als politische Anklage an den Ex-SEDler Gysi gemeint) in einem Buch. Nur die Linke klatschte brav.

Fest steht: Die Chance, als Alterspräsident eine historische Rede zu halten, hat Gysi mit diesem Auftritt deutlich verpasst. Ein verschenkter Tag für die Linke.

Die Momente des Tages können Sie hier im Blog nachlesen:

DPA · AFP · Reuters
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