Zwischenrufe, bissige Kommentare, hämische Einwürfe - exakt 57.854 mal haben sich Bundestagsabgeordnete in der laufenden Legislaturperiode einfach nicht zurückhalten können, wenn die Kollegen am Reden waren. Das ergab eine Zählung der Satire-Zeitschrift "Der Helgoländer Vorbote", deren Ergebnis am Donnerstag in Berlin vorgestellt wurde.
Unangefochtener Spitzen-Zwischenrufer war demnach der SPD-Abgeordnete Jörg Tauss, der es auf insgesamt 2736 Zwischenrufe brachte. Auf den Plätzen zwei und drei folgen Wilhelm Schmidt (SPD, 1734 Rufe) und Steffen Kampeter (CDU, 1709 Ruf). Tauss, an sich bildungspolitischer Sprecher seiner Fraktion, freut sich über die Auszeichnung. Zwar sei seine Arbeit nicht auf Zwischenrufe zu reduzieren, aber er habe die Ehrung erfreut entgegengenommen, sagte er stern.de. "Ich habe eine laute Stimme", erklärte er die hohe Quote. "Wenn ich in den Plenarsaal komme und 'Guten Morgen' sage, dann gilt das schon als Zwischenruf".
"Eine Frau kann schön sein und eine Rede gut!"“
Es war eine Fleißarbeit. In insgesamt 400 Stunden haben die Mitarbeiter des "Helgoländer Vorboten" alle 185 Sitzungen des Bundestags in der aktuellen, der 15. Legislaturperiode ausgezählt. "Zwischenrufe kommentieren umständliche Reden kurz und knapp", so Timo Rieg, Chefredakteur der Zeitschrift, die es etwa seit einem halben Jahr online , im Ruhrgebiet seit einiger Zeit auch in einer Print-Version gibt. "Zugleichen karikieren Zwischenrufe in ihrer Derbheit die Blasiertheit der Politiker-Sprache", sagte Rieg. Beispiel sei etwa ein Ruf des SPD-Politikers Uwe Küster: "Himmel, Arsch und Wolkenbruch. Wie kann man nur so einen Blödsinn erzählen." Auch einen Lieblings-Zwischenruf hat Rieg: "Eine Frau kann schön sein und eine Rede gut!", ließ der CDU-Abgeordnete Hartmut Schauerte die Kollegen wissen.
Die Top Ten der Zwischenrufer | ||
1. Tauss, | Jörg, SPD: | 2736 |
2. Schmidt, Wilhelm, SPD: 1734 | ||
3. Kampeter, Steffen CDU/ CSU: 1709 | ||
4. | Austermann, Dietrich CDU/ CSU: 1245 | |
5. Kolb, Heinrich L., FDP: 1008 | ||
6. Niebel, Dirk, FDP: | 983 | |
7. Ströbele, Hans-Christian, Grüne: 938 | ||
8. Zöller, Wolfgang, CDU/ CSU: 830 | ||
9. Küster, Uwe, SPD: 796 | ||
10. Michelbach, | Hans, CDU/ CSU: 770 |
Frauen sind zurückhaltender als die männlichen Kollegen
Die aufwändige Recherche des "Helgoländer Vorboten" hat auch ergeben, dass weibliche Abgeordnete in Sachen Zwischenruf zurückhaltender sind als ihre männlichen Kollegen. So kamen die Frauen im Bundestag seit Ende 2002 auf durchschnittlich 52 Zwischenrufe. Die Männer schafften mit 128 Zählern mehr als das Doppelte. Beste Zwischenruferin war die SPD-Abgeordnete Ute Kumpf mit 421 Nennungen. Rieg vermutet die Gründe hierfür nicht nur in der lauteren Stimme vieler männlicher Abgeordneter. "Sie kämpfen mit den Rufen auch um die Rolle des Anführers." Da könne es auch rau werden. So pfiff etwa Steffen Kampeter von der CDU Redner Sascha Raabe von der SPD an: "Komm zur Sache, Schätzchen!"
Die Fraktionswertung |
1. CDU/CSU: 23.432 |
2. SPD: 18.155 |
3. FDP: 9.773 |
4. Bündnis 90 / Grüne: 6189 |
5. PDS: 31 |
Opposition aktiver als Regierungsparteien
Offenbar fällt es Abgeordneten in der Opposition leichter, sich als Zwischenrufer zu profilieren. CDU/ CSU kommen auf über 23.000 Zwischenrufe, die FDP liegt bei knapp 10.000. Zum Vergleich: Die SPD schaffte rund 18.000 Zwischenrufe, die Grünen etwas über 6000. Die politische Tragweite des Zwischenrufs bleibt auch nach der jüngsten Erhebung des "Helgoländer Vorboten" unklar. Zwischenruf-Star Tauss jedenfalls glaubt nicht, dass ihm sein neuer Titel im möglicherweise bevorstehenden Wahlkampf helfen wird. Zu Hause könnte ihm seine Leistung eher Ärger einbringen, sagt er. "Mein Mutter hat sich schon immer für mich geschämt, weil ich auch in der Schule immer für schlechtes Betragen gerügt worden bin", sagte er.