Wenige Tage vor dem Brüsseler Gipfel zum EU-Beitritt der Türkei hat sich der Streit über den türkischen EU-Beitritt in Deutschland verschärft. Im Falle eines Wahlsiegs bei der Bundestagswahl 2006 will CDU-Chefin Angela Merkel versuchen, einen EU-Beitritt der Türkei zu verhindern. Merkel sagte am Montag, die Union werde sich bei den Verhandlungen zwischen der EU und der Türkei für eine privilegierte Partnerschaft statt einer Vollmitgliedschaft einsetzten. Das Thema solle auch im Bundestagswahlkampf eine Rolle spielen, so Merkel, aber in verantwortungsvoller Weise.
Stoiber will Vollmitgliedschaft verhindern
Der CSU-Vorsitzende Edmund Stoiber hatte bereits am Wochenende angekündigt, die Union werde eine Vollmitgliedschaft der Türkei mit allen Mitteln zu verhindern suchen. Der türkische Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan warf der Union vor, mit der Beitrittsfrage Innenpolitik zu machen.
Am Montag sind in Brüssel die EU-Außenminister zu letzten Beratungen vor dem entscheidenden Türkei-Gipfel Ende der Woche zusammengekommen. Die Entscheidung über die Aufnahme von Beitrittsverhandlungen mit der Türkei soll am Freitag fallen. Die Staats- und Regierungschefs hatten der Türkei vor zwei Jahren Verhandlungen zugesagt, falls sie die Bedingungen dafür Ende dieses Jahres erfüllt. Die Bundesregierung befürwortet eine EU-Mitgliedschaft des Landes, die frühestens in zehn bis 15 Jahren beginnen könnte.
"Die CDU stellt keine Weltmacht dar"
Merkel tritt dafür ein, dass die europäischen Regierungschefs in ihrem Beschluss zur Aufnahme der Verhandlungen die privilegierte Partnerschaft bereits als eine Option formulieren. Das völlige Scheitern der Verhandlungen sei keine Option. Daher müsse man für den Fall, dass ein Beitritt nicht vereinbart werden könne, die weiteren Möglichkeiten bereits vorher festlegen.
"Für uns ist der Beitritt das Ziel"
Joschka Fischer sate zum Bertungsauftakt in Brüssel: "Es ist in unser aller Interesse, dass wir die Verhandlungsaufnahme ... jetzt beschließen". Er verwies dabei auf die Fortschritte, die die Türkei gemacht habe. Fischer betonte: "Wir beschließen nicht den Beitritt." Der stehe erst in zehn oder 15 Jahren an. Es gehe jetzt darum, dass die Modernisierung der Türkei vorankomme, "und da müssen wir alle ein Interesse daran haben", betonte Außenminister. "Für uns ist der Beitritt das Ziel, jede Verwässerung dieses Ziels würde meines Erachtens zu einem Abbruch des erfolgreichen Erneuerungsprozesses der Türkei führen", warnte Fischer.

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Dessen ungeachtet kündigte der CDU-Europapolitiker Peter Hintze an, den EU-Beitritt der Türkei zum Wahlkampfthema zu machen. "Meine Sorge ist, dass Rechtsradikale Zulauf erhalten, wenn die großen Parteien unterschiedliche Positionen in einer solchen Schicksalsfrage ausklammern", sagte er im Gespräch mit dem "Handelsblatt". Zwar werde sich auch eine unionsgeführte Regierung zunächst am Beschluss der EU-Staats- und Regierungschefs über die Aufnahme von Beitrittsverhandlungen orientieren. "Aber es ist legitim, dass eine Bundesregierung dann im Lauf der Verhandlungen darauf hinarbeitet, dass die Gespräche in einer privilegierten Partnerschaft statt in einer Vollmitgliedschaft münden", fügte Hintze hinzu.
Bundesregierung hofft auf Einsicht
Die Bundesregierung warnte die Union eindringlich davor, die Debatte um einen EU-Beitritt der Türkei zum Wahlkampfthema zu machen. Sie hoffe, dass sich die Opposition ihrer Verantwortung bewusst sei und darauf verzichte, sagte Regierungssprecher Thomas Steg in Berlin. "Wir hoffen auf Einsicht." Die Union sei dabei, sich in der Frage auf europäischer Ebene zu isolieren. Er sehe die Gefahr, dass die Debatte zum Schüren von Ressentiments gegen Ausländer genutzt werden könnte. Denselben Vorwurf erhob Grünen-Fraktionschefin Krista Sager im Bayerischen Rundfunk.