Es gibt Bestrafungen, die kann man fühlen. Und es gibt solche, die man hören kann. Beide sind grausam. Insofern begann der CSU-Sonderparteitag für manch einen Parteioberen mit einem schmerzhaften Moment, nachdem Generalsekretärin Christine Haderthauer auf die Bühne trat und die Vorstandsspitze willkommen hieß. "Lassen sie uns den CSU-Vorsitzenden Erwin Huber begrüßen". Leise Regung, moderater Applaus. Und viele müde Gesichter. Bundeswirtschaftsminister Michael Glos klatscht in sich hinein und lässt dabei seine Handflächen lustlos gegeneinander puffen. Aufruf: Ministerpräsident Günther Beckstein. Der Saal jubelt, die Franken stehen auf, minutenlang klatschen die Delegierten. "Und lassen sie uns den Ehrenvorsitzenden der CSU begrüßen, Edmund Stoiber", ruft Haderthauer vom Podium hinunter. Und jetzt passiert etwas Denkwürdiges: Dieselben, die vorhin noch für Beckstein gejohlt hatten, buhen nun den ehemaligen Ministerpräsidenten aus, der als Strippenzieher für Horst Seehofers Kandidatur als Parteivorsitzender und bayerischer Regierungschef gilt. Stoiber dreht sich um. Woher kamen die Störer? Aus Unter- Mittel- und Oberfranken? Stoiber setzt sich wieder und tut so, als wäre nichts passiert.
Der Sonderparteitag der CSU in München war voll von diesen kleinen, außergewöhnlichen Momenten. Zwar bergen sie noch längst kein Erdbebenpotenzial für das Parteigefüge in sich. Aber aus ihnen lässt sich erkennen, dass es um die Harmonie in der ehemaligen Quasi-Staatspartei zurückgekehrt ist. Es brodelt zwar nicht an der Basis, aber es gärt. Das spürt auch der CSU-Vorstand.
Dem scheidenden CSU-Chef Erwin Huber gelang wohl eine der besten Reden seiner politischen Laufbahn. In deutlichen Worten sprach er an, was aus seiner Sicht in den vergangen Jahren schief gelaufen ist: "Wir müssen schon klar und standfest sein, aber das heißt für mich auch: Mut zur eigenen Entscheidung darf nicht überschnappen in Übermut, und schon gar nicht in Hochmut."
Huber griff auch die CDU an. "Wir hätten uns durchaus etwas mehr Unterstützung der Schwesterpartei vorstellen können. Ich weiß nicht, was die Gründe sind. Vielleicht hat sich ja auch der eine oder andere gewünscht, dass die große CSU ein wenig kleiner wird. Den Gefallen tun wir ihnen nicht." Direkte Kritik übte er an dem stellvertretenden CDU-Bundesvorsitzenden Roland Koch. "Es soll mir einer sagen, welchen Sinn es macht, wenn ein stellvertretender Bundesvorsitzender der CDU mit dem stellvertretenden Bundesvorsitzenden der SPD drei Wochen vor der Wahl in einer großen Zeitung einen wichtigen Punkt unseres Wahlprogramms madig macht."
Huber emotional
Zum Schluss wurde Huber sehr emotional. Mehrmals stockte seine Stimme. Er sprach von seinem ersten CSU-Parteitag vor 40 Jahren und davon, wie ihn Franz-Josef Strauß 20 Jahre später zum CSU-Generalsekretär berief. "Jeder einzelne steht auch in der Verantwortung eines großen Erbes. Diese Partei ist in 60 Jahren entstanden", sagte Huber. "Politische Parteien sind keine Machtapparate, sie werden von Menschen getragen, von ihren Überzeugungen, von ihrer Liebe zur Heimat. Wir sind jetzt in einer schwierigen Situation. Aber eine Gemeinschaft muss sich gerade dann bewähren, wenn schwierige Zeiten da sind. Nur Schuldzuweisungen zu machen, wäre der falsche Weg. Wir müssen uns klar machen, in welcher Verantwortung wir stehen, damit wir dieses wunderbare Land in die Zukunft bringen."
Der Abschied von Huber fiel emotional aus. Auch für ihn gab es stehende Ovationen - aus allen Bezirksverbänden.
"Vielleicht hat die Wahl ja bei ihm zu einem Erkenntnisprozess geführt", sagt Rudolf Handwerker, Delegierter für den CSU-Verband Unterfranken. "Wir brauchen einen richtigen Neuanfang. Es muss einen Ruck geben, mit einer möglichst großen Mehrheit für Horst Seehofer bei der Wahl zum Vorsitzenden."

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"Die Partei muss das alles erst einmal verdauen"
Doch die schien lange Zeit nicht so sicher. Noch vor Beginn des Parteitages sagte etwa der CSU-Landesgruppenchef im Bundestag, Peter Ramsauer: "Man muss eines bedenken: Die Partei muss das alles erst einmal verdauen. Da ist es natürlich, wenn es auch einmal Nein-Stimmen gibt." Das klang nach Warnung. Oder nach Vorsorge. Am Ende des Parteitages bekam Ramsauer übrigens einen Denkzettel verpasst: Nur 67,1 Prozent der Delegierten wählten ihn zum stellvertretenden Parteivorsitzenden.
Bei der Aussprache zur Rede von Huber übten die Delegierten auch offen Kritik. "So hin- und hergerissen war ich noch nie. Ich bin hier in gefahren, um ein Zeichen zu setzen. Mir geht es darum, das auch die Stimmen der Basis bis an die Spitze vordringt", so das niederbayerische Parteimitglied Peter Erl. "Wie hat sich das in den letzten Jahren gezeigt? Wenn jemand eine andere Meinung gehabt hat, galt er eher als Störer und Querulant." Er selbst trage die Entscheidung für Seehofer als neuen Ministerpräsidenten und Parteivorsitzenden zwar mit. "Aber der kleine Mann an der Basis sagt: Ich habe einen BMW-Beckstein bestellt und einen Audi-Seehofer bekommen."
Seehofer lebt nicht von Tütensuppen und Bananen
Die Messlatte lag hoch für Seehofer. Würde er den Spagat schaffen zwischen ehrlicher Kritik an der Vergangenheit und Hoffnung für die Zukunft? "Manche müssen noch meine Biografie umschreiben. Die vom Egomanen, der sich zurückzieht und von Tütensuppen und Bananen lebt. Ich werde alles tun für die Integration der bayerischen Volksstämme", sagt Seehofer. Eine klare Botschaft an alle, die ihn nur als Kandidaten der Oberbayern sahen. Als Edmund Stoibers Kandidaten.
Hinter ihm an der Wand tanzen zwei Schatten, die dort sind, weil Seehofer von zwei großen Deckenscheinwerfern angestrahlt wird. Der eine Schatten gestikuliert nach links, der andere nach rechts. "Ich vermag nicht einzusehen, warum in einer Eckkneipe von 60 Quadratmetern den Menschen vorgeschrieben werden soll, wo sie sich ihre Zigarette anstecken. Leben und leben lassen!", ruft er. "Und wenn in einer Familie zwei Kinder studieren, muss nur eines zahlen. Es geht auch manchmal darum, den Menschen zu zeigen: Wir haben eure Sorgen verstanden."
"SPD ist eine Reclam-Ausgabe einer Volkspartei"
Dann griff er die SPD an. "Ich weiß gar nicht, wovor wir Angst haben. Die SPD ist eine Reclam-Ausgabe einer Volkspartei. Da muss man Mitleid haben." Lauter Applaus. "Ich möchte, dass wir in Zukunft sagen können: Die CSU ist wieder da. Lassen sie uns daran arbeiten." Seine Rede ist zu Ende. Er wird wenig später gewählt werden, mit mehr als 90 Prozent, und auch der Koalitionsvertrag wird abgesegnet werden.
Er spürt, dass die Stimmung auf seiner Seite ist. Ein letztes Symbol: Statt sich feiern zu lassen, geht er ans Podium und unterbricht die klatschenden Parteikollegen. "Ich möchte keine Messlatte für die Länge des Beifalls legen. Deswegen setzen wir uns jetzt besser hin und fangen an zu arbeiten." Vielleicht spürt er, dass es noch viel zu tun gibt.