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Ampel-Streit Woran hat et jelegen? Die besten Thesen zum vertagten Koalitionsausschuss

Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD, vorne), gefolgt von mehreren Kabinettsmitgliedern, am Flughafen Berlin-Brandenburg
Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD, vorne), gefolgt von mehreren Kabinettsmitgliedern, am Flughafen Berlin-Brandenburg
© Michael Kappeler / DPA
Der Koalitionsausschuss hat sich auch nach 19-stündigem Verhandlungs-Ultramarathon nicht auf Ergebnisse verständigen können – und sich darum auf morgen Vormittag vertagt. Wie bitte?

Haben Sie es auch vernommen, dieses kollektive "Oooooooaah, nee, ne?", das am Nachmittag durch ganz Deutschland stöhnte? Um 14.11 Uhr kam die Nachricht, dass das wieder nichts wird mit einer Einigung in der Ampelkoalition, zumindest nicht heute.

Man sei "in vertrauensvollen und konstruktiven Gesprächen weit vorangekommen", teilten die Sprecherinnen von SPD, Grünen und FDP in einer schmucklosen Mail mit. Der Koalitionsausschuss werde "morgen Vormittag fortgesetzt". Eine Lösung der zuletzt auf 30 bezifferten Streitpunkte steht also weiterhin aus. Ergebnis so offen wie das Ende.

Das ist natürlich enttäuschend. Vermutlich hatten Sie, liebe Leserinnen und Leser, sich schon auf die Diskussion am Abendbrot- oder Stammtisch gefreut. Noch mal so richtig über "die da in Berlin" motzen? Oder aber den Kollegen den smarten Move des Superkanzlers erklären? Keine Sorge, all das muss trotzdem nicht ausfallen.

Das ist schließlich nur Politik, notfalls kommentiert man das auch ohne konkrete Ergebnisse. Nicht-Wissen heißt schließlich nicht Nicht-Meinen. Für alle Diskutanten anbei ein Sprechzettel. Suchen Sie sich einfach Ihr Lieblingsargument aus!

Argument #1: Lieber noch eine Runde drehen, als jetzt halbgare Ergebnisse zu verkünden. Ein guter Kompromiss will Weile haben.

Erinnern Sie sich noch an die Osterruhe? Mit diesem Minilockdown wollte die damals regierende GroKo die Coronapandemie bändigen – und uns die Feiertage versauen. Merkel hat ihren Irrtum dann gerade noch rechtzeitig eingesehen. Es gab auch schon ein Ampel-Pendant dazu: Erinnern Sie sich noch an die Gasumlage? Auch die stellte sich – zum Glück ebenfalls rechtzeitig vor Inkrafttreten – als Schnaps-Idee heraus. Weil sie, wie Christian Lindner spitzfindig festhielt, das Gas ja noch teurer statt billiger machen würde.

Mit dem Satz "So viele Freischüsse bekommt man nicht als Koalition!" liegen Sie jetzt auf jeden Fall richtig. Und dann argumentieren Sie weiter: Wenn es um die Zukunft des Landes geht, unseren Wohlstand, den Haushalt oder dieses stinkende Heizungsungetüm im Keller, dann sollte Politik ruhig ein paar Stunden länger über einer Lösung grübeln, als den erstbesten Kompromiss abzunicken.

Ein ganz praktisches Argument für eine Unterbrechung kam heute hinzu: eine drohende Terminkollision. Der Kanzler und das halbe Kabinett wurde am frühen Abend in Rotterdam zu deutsch-niederländischen Regierungskonsultationen erwartet. Mit jeder verstrichenen Minute drängte eine Frage immer mehr: Will sich diese Regierung nach der E-Fuel-Nummer in Europa schon wieder als unzuverlässiger Partner erweisen? Dann doch lieber vertagen.

Argument #2: Koalitionsverhandlungen führt man eigentlich vor einer Regierungsbildung.

Politik ist Handwerk. Das wusste schon Max Weber, dessen Zitat in keiner selbstbewussten Analyse fehlen darf. Politik, schreibt Weber, sei "ein starkes langsames Bohren von harten Brettern mit Leidenschaft und Augenmaß zugleich". Was die Frage aufwirft, ob die Ampel über die richtigen Bretter streitet – oder einfach nicht in der Lage ist, den Bohrer zu bedienen.

Wer den handwerklichen Aspekt betonen möchte, wird beim Bohrer bleiben. Wie jedes Werkzeug hat auch der eine Bedienungsanleitung, die im besten Fall präzise und verständlich geschrieben ist – was man über den Koalitionsvertrag leider nicht sagen kann. Seit Monaten streiten SPD, Grüne und FDP darüber, wie bestimmte Formulierungen zu verstehen sind. Und wie nicht.

Da kann dann, wie bei der Kindergrundsicherung, derselbe Satz für die einen mal eben zehn Milliarden Euro mehr wert sein als für die anderen. Ja, richtig gelesen: zehn Milliarden Euro. Da hilft kein Koalitionssauschuss mehr. Das hat mit solidem Handwerk nichts zu tun. Dafür braucht man ein Proseminar "Einführung in die Hermeneutik".

Wer so argumentiert, weiß natürlich gleich, wer es besser machen würde. In 16 Jahren unionsgeführter Bundesregierung war schließlich immer klar, wie welcher Satz im Koalitionsvertrag zu verstehen war. Also fast. 

Argument #3: Es sollte doch keine Nachtsitzungen mehr geben. Das ist kein gutes Zeichen für die Koalition.

Angela Merkel behauptete gerne von sich, sie könne Schlaf speichern wie ein Kamel das Wasser. Eine solche Eigenschaft gilt noch immer als physische Grundvoraussetzung für eine Karriere in der Politik. Und sicher erwähnt heute noch irgendjemand Napoleon, der angeblich sogar mit drei Stunden Schlaf auskam.

Halten Sie mit der Wissenschaft dagegen! Genauer, mit den Ergebnissen der Schlafforschung, wonach der menschliche Körper nach einer durchwachten Nacht reagiert, als hätte er ein Promille Alkohol im Blut. 24 Stunden ohne Schlaf fühlen sich an, als hätten sie ein Promille intus. Wer will schon von Besoffenen regiert werden?

Wenn das nicht hilft, zitieren sie Michael Roth. Der SPD-Mann ist Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses, und er weiß aus eigenem Erleben, wie sich ein Burn-out anfühlt. Roth twitterte heute: "Ich hatte wirklich gehofft, dass eine moderne Demokratie auf der Höhe der Zeit auf derlei Anschläge auf die mentale und physische Gesundheit verzichten kann. Sehr schade."

Genau das hatte die Ampel sich und uns versprochen: Keine Nachtsitzungen, stattdessen kollegiales Abarbeiten der offenen Fragen, Zähneputzen und nach dem Sandmännchen, zack, liegen alle in ihren Betten. Jetzt trifft man sich wieder abends, um vorsorglich den Druck zu erhöhen, und hockt dann open end, wie diese schnöden Koalitionen ohne "Fortschritt" im Namen.

Argument #4: Das ist doch nur noch peinlich. Jetzt fliegt Olaf Scholz der Laden auseinander.

Wer steile Thesen mag, und am liebsten vor allen anderen das Ende einer Regierung ausruft, kann das natürlich auch heute tun. Hier bietet sich, aus aktuellem Anlass, der in politischen Diskussionen gern genommene Fußballvergleich an. Der FC Bayern München hat gerade seinen Trainer entlassen, weil der die Spieler angeblich nicht mehr erreicht haben soll.

Nun ist nicht bekannt, ob Julian Nagelsmann sich mal erfolglos über Nacht mit seinem Kader in der Geschäftsstelle an der Säbener Straße eingesperrt hat, um die Wogen zu glätten. Aber wenn ein Bundeskanzler sein Kabinett bis zur Übernächtigung fordert, und dennoch kein Ergebnis zu verkünden hat, könnte man zu einer ähnlichen Erkenntnis kommen wie Oliver Kahn und Hasan Salihamidžić in der Trainerfrage: Scholz hat die Kabine verloren. Das war's. Aus, das Spiel ist aus.

Man ist gut beraten, den Vergleich an dieser Stelle nicht weiter zu vertiefen. Im nächsten Satz nämlich müsste man Friedrich Merz zum Thomas Tuchel der deutschen Politik erklären. Und das geht dann vielleicht doch einen Schritt zu weit. 

Argument #5: Alles nur die übliche Scholz-Taktik. Der Kanzler weiß schon genau, was er will.

Zugegeben, das klingt am heutigen Tag vielleicht etwas mutig, aber es hat schon seinen Sinn, dass der Kanzler seit Wochen von "Zuversicht" spricht. In der Disziplin, sich aus scheinbar auswegloser Situation zu befreien, ist Scholz derzeit der Houdini der Berliner Politik.

Kleine Erinnerung: Anfang des Jahres zog die ganze Welt über den Kanzler her, weil der in Fragen der Militärhilfe für die Ukraine zu zögerlich sei. Im stern stand sogar auf dem Titel "Deutschland, der peinliche Partner". Und wenig später zog dieser Scholz tatsächlich seine Panzerkoalition aus dem Hut, zu der er nicht nur halb Europa zusammengetrommelt hatte, sondern auch und gerade: die Vereinigten Staaten von Amerika. Weil Joe Biden nun Abrams-Panzer liefert, liefert Scholz Leoparden. Weil dieser Scholz eben alles immer vom Ende her denkt.

Allen, die an dieser Einschätzung zweifeln, sei an dieser Stelle dreierlei empfohlen: ein abendfüllendes Videostudium der Scholz’schen Bürgersprechstunden, eine intensive Unterredung mit seinem Kanzleramtsminister Wolfgang Schmidt. Oder ein Blick in das Scholz‘sche Standardwerk "Hoffnungsland" von 2017. Schon in Zeile acht des Vorworts schrieb der damalige Kanzler in spe einen Satz von geradezu erschütternder Weitsicht: "Die Welt erlebt gerade eine Zeitenwende."

Argument #6: Während die Ampel noch diskutiert, müssen wir Entscheidungen treffen. Bürger und Unternehmen brauchen endlich Planungssicherheit.

Wie so häufig in der Politik lässt sich auch dieser Koalitionsausschuss nicht von der restlichen Nachrichtenlage trennen. Da treten die vereinigten Arbeiter der Amtsstuben und Eisenbahnen in den Mega-Streik – und die Ampel macht gleich mit. Da betreiben hochbezahlte Spitzenpolitiker Arbeitsverweigerung im Kanzleramt, während überall im Land besorgte Häuslebauer über Heizungskatalogen schwitzen. 

Diese Koalition hat Planungsbeschleunigung versprochen. Lang ist's her. Stattdessen verlangsamt sie ihre Entscheidung. Und keiner weiß mehr, womit er planen soll. Nur eins ist sicher: Der Koalitionsausschuss tagt bis zum bitteren Ende.

Wenn Ihnen das alles zu kompliziert ist, Sie sich aber dennoch fragen "woran et jelegen hat?", hätten wir abschließend noch die ultimative Antwort:

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