Der Wirtschaftsflügel der CDU will Bundeskanzlerin und Parteichefin Angela Merkel mit einem eigenen Wahlprogramm auf Reformkurs zwingen. In dem 24-seitigen Papier verlangt der Wirtschaftsrat der CDU eine Abschaffung von Erbschaftsteuer und Solidaritätszuschlag. Um die Mittelschicht zusätzlich zu entlasten, soll der Anstieg der Einkommensteuertarife nach der Wahl abgeflacht und regelmäßig an die Inflation angepasst werden.
Das Papier des Wirtschaftsrats, das der "Financial Times Deutschland" vorliegt, ist eine scharfe Absage an Merkels Kompromisskurs in der Großen Koalition. Schon seit Monaten wächst im einflussreichen Wirtschaftsflügel der Unmut über die Kanzlerin. Nun setzt Wirtschaftsratspräsident Kurt Lauk die CDU-Chefin unter Zugzwang: Hatte er sich vor der Bundestagswahl 2005 noch mit einem Wunschkatalog von zehn Thesen an Merkel gewandt, legt er nun erstmals ein umfassendes Programm zu Finanzen, Steuern, Bildung, Arbeitsmarkt, Gesundheit, Energie, Verkehr und Europa vor.
Die Steuerpläne des CDU-Wirtschaftsflügels würden Bund und Länder voraussichtlich bis zu 20 Milliarden Euro kosten. Damit geht der Wirtschaftsrat sogar über Vorschläge der CSU hinaus, die Merkel trotz Konjunkturkrise und neuer Rekordschulden zu großzügigen Entlastungen vor allem der Arbeitnehmer drängt.
Der CDU-Flügel setzt zugleich auf eine Privatisierung staatlicher Leistungen sowie Subventionsabbau und eine ehrgeizigere Sanierung der öffentlichen Haushalte. "Wir fordern den Einstieg in die Altschuldentilgung." Merkel strebt bislang lediglich ausgeglichene Haushalte ohne Neuverschuldung an.
Der umstrittene Gesundheitsfonds soll so umgebaut werden, dass die Krankenkassenbeiträge nicht mehr als Lohnnebenkosten von den Arbeitgebern mitgetragen werden müssen. Die Energiepolitik würde dem Plan zufolge in einem Ministerium gebündelt und nicht mehr von Wirtschafts- und Umweltressort geteilt.
Lauk hat sein Papier bereits an CDU-Generalsekretär Ronald Pofalla verschickt, der im engsten Führungszirkel von Merkel und CSU-Chef Horst Seehofer um ein gemeinsames Wahlprogramm von CDU und CSU ringt. Mit dem Forderungskatalog befeuert Lauk den Richtungsstreit zwischen Wirtschafts- und Sozialflügel in der Union - und das fünf Monate vor der Wahl. So liefert die Union zunehmend ein Bild der Zerrissenheit, und Merkel bleibt wenig Zeit, die Partei zu einen: Ende Juni soll das Wahlprogramm stehen.
Die Kanzlerin erteilte am Montag radikalen Reformvorschlägen in der Union eine Absage. Nach FTD-Informationen sagte sie in einer Sitzung des Parteivorstands: "In Umfragen will eine Mehrheit der Menschen eine sozialere CDU. Ich sage das nur, weil wir oft anders diskutieren."