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Reaktionen auf Entlastungspaket Lob und Kritik: Die Ampel liefert – aber sie setzt aufs Prinzip Hoffnung und vergisst den Klimaschutz

Reaktionen auf Entlastungspaket: Lob und Kritik: Die Ampel liefert – aber sie setzt aufs Prinzip Hoffnung und vergisst den Klimaschutz
Sehen Sie im Video: Grünen-Chef Nouripour: "Wir lassen uns nicht spalten"




O-Ton Olaf Scholz (SPD), Bundeskanzler: "Wir kommen, was die Versorgungslage betrifft, nach allem, was wir heute ermessen können, durch den Winter. Und das ist ein großer Fortschritt. Wären wir in einer solchen Situation wie heute vor einem Jahr gewesen, hätte niemand in Deutschland diesen Satz sagen können. Das ist der große Unterschied nach einem Jahr Anstrengung. Wir erleben auch, dass es Spekulationen gibt. Und das ist ganz besonders der Fall, wenn wir an den Strommarkt denken. Dort gibt es Zufallsgewinne, Übergewinne, die erzielt werden von Produzenten, die die Situation einfach nutzen können, dass der sehr teure Preis für Gas den Strompreis bestimmt und die deshalb sehr, sehr viel Geld verdienen. Wir haben deshalb uns fest vorgenommen, dass wir die Marktordnung so ändern, dass diese Zufallsgewinne nicht mehr anfallen oder dass sie abgeschöpft werden." O-Ton Christian Lindner (FDP), Bundesfinanzminister: "Das ist eine echte Entlastung in einem zweistelligen Milliarden-Euro-Betrag, über den wir hier sprechen. Also innerhalb des Strommarkts ein zweistelliger Milliarden-Euro-Betrag, den wir umverteilen. Ich könnte jetzt eine Zahl nennen. Ich mache das nicht, weil das ein Stück Spekulation enthält, weil wir ja nicht genau wissen, wie sich der Strompreis in den nächsten Monaten entwickeln wird." O-Ton Omid Nouripour (Grüne), Parteivorsitzender: "Von dem Paket, was wir auf den Weg bringen, dieses Paket ist substanziell und rund, gehen zwei Botschaften aus. Erstens: Wir werden uns nicht spalten lassen in diesem Land, nicht von der russischen Aggression in der Ukraine und nicht von der russischen Art und von der aggressiven Art und Weise, wie Russland die Energie in diesem Land versucht zu verknappen und damit auch die Preise antreibt. Zweitens: Die Ampel liefert. Wir stehen den Menschen mit ihren Nöten und Ängsten bei."

Das 65-Millarden-Entlastungspaket der Ampel-Koalition erntet durchaus Respekt. Gleichwohl gibt es auch Kritik. Ökonomen beklagen teilweise ein "Gießkannen-Prinzip". Klimaschützer bewerten das Paket insgesamt als Rückschritt.

"Die Ampel liefert." So lautet ein viel gebrauchter Satz als Reaktion auf das 65 Milliarden Euro starke Entlastungspaket, das Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) und die Parteichefs der drei Koalitionsparteien am Sonntagmorgen in Berlin vorlegten. Gelobt werden vor allem – nicht zuletzt, aber auch nicht nur aus den eigenen Reihen – die Energiepreisbremsen und -zuschüsse, die bisher versäumten Einmalzahlungen an Rentner und Studenten, die Anpassung der Kalten Progression im Steuerrecht und die bundesweit gültige Nachfolge für das 9-Euro-Ticket.

Dennoch gibt es auch Kritik. Die kommt vor allem von Klimaschützern – obwohl Grünen-Co-Chef Omnid Nouripour während der Pressekonferenz die bereits auf den Weg gebrachten Maßnahmen gegen die Klimakrise nicht berührt sah. Von einem fatalen Signal sprach Viviane Raddatz von der Umweltschutzorganisation WWF. "Das Entlastungspaket macht fossile Rückschritte und gibt keine ausreichend gerechten Anworten", twitterte Fridays for Future Germany. Die Klima-Aktivisten kritisieren zudem die Verteuerung des 9-Euro-Ticket als "ambitionslos".

Auch die Vize-Chefin des Expertenrats für Klimafragen, Brigitte Knopf, erkennt neben positiven Beschlüssen "schlechte Zeichen für den Klimaschutz". Vor allem, dass die Anhebung des CO2-Preises um ein Jahr verschoben werde, unterminiere die Glaubwürdigkeit der Ampel im Klimaschutz. Auch die Senkung der Mehrwertsteuer auf Gas und die Anhebung der Fernpendlerpausschale wirke Klimaschutz-Maßnahmen entgegen. Die Energieökonomin Claudia Kemfert sieht das ähnlich und ergänzte kritisch: "Merke: 'Zufallsgewinnsteuer' in der Ampel nur machbar, wenn Erneuerbare Energie Unternehmen betroffen sind ('negative EEG-Umlage')"

Habeck: "Das Paket ist zielgenau"

Wirtschafs- und Klimaminister Robert Habeck (Grüne) sagte in einer von seinem Ministerium verbreiteten Mitteilung nichts zu den Auswirkungen des Pakets auf den Klimaschutz. Er hob soziale Aspekte heraus. Das Entlastungspaket folge einem "entscheidenden Prinzip": "Wer weniger verdient, wird absolut mehr entlastet. Damit wirkt das Paket zielgenau." Über die Abschöpfung von Zufallsgewinnen "können wir dann eine Strompreisbremse für die Haushalte einführen". Zu den Profiteuren der aktuellen Situation zählt Habeck in der Mitteilung auch die Produzenten erneuerbarer Energie.

Ganz ähnlich sieht es Wirtschaftsminister und FDP-Chef Christian Lindner. "Wir stärken die Menschen, die unsere Solidarität brauchen. Und wir vergessen diejenigen nicht, auf deren Schultern dieses Land steht - nämlich die hart arbeitende Mitte der Gesellschaft", postete auf Twitter.

Bartsch: "Wird Verarmungslawine im Winter nicht verhindern"

Viel kritischer sieht die Opposition das 65-Milliarden-Paket. "Das ist mehr ein Arbeitsprogramm für die Regierung als ein sofort wirkendes Entlastungspaket für die Bürger", sagte Unionsfraktionsvize Jens Spahn (CDU) dem Nachrichtenportal T-Online. Bei vielen wichtigen Punkten gebe es neben Überschriften nichts Konkretes – und beim laut Spahn größten Problem, dem Gaspreis, gebe es eine Leerstelle, so Spahn. "Hier werden die Menschen mit einer Kommission vertröstet."

CDU-Chef Friedrich Merz reagierte im ARD-Sommerinterview auf das Entlastungspaket: 

Linke-Fraktionschefin Amira Mohammed Ali kritisierte: "300 Euro für Rentner und 200 Euro für Studierende sind ein Witz." Erst seien diese Gruppen leer ausgegangen, jetzt sollten sie mit "Krümeln" zufrieden sein, twitterte sie. Ihr Parteifreund Bernd Riexinger bezeichnete das Paket insgesamt als eine "Enttäuschung". Linken-Co-Fraktionschef Dietmar Bartsch ergänzte beim Nachrichtenportal T-Online: "Die Pläne werden die Verarmungslawine, die im Winter über Deutschland rollen könnte, nicht verhindern."

AfD-Parteichef Tino Chrupalla kritisierte die geplanten Maßnahmen laut einer Mitteilung als "kostspielige Symptombekämpfung". Alle Entlastungsmaßnahmen seien nur kurzfristige Lösungen, solange die Ursachen der Preisexplosion nicht angegangen würden. "Statt staatlicher Umverteilung und planwirtschaftlichen Eingriffen braucht es gezielte Entlastung bei den Verbrauchssteuern auf Lebensmittel und Energie sowie die Abschaffung der CO2-Abgabe." Gemeinsam mit seiner Co-Vorsitzenden Weidel fordert Chrupalla: "Wir müssen den unsäglichen Wirtschaftskrieg mit Russland beenden, Nord Stream 2 in Betrieb nehmen, den Weiterbetrieb der Kernkraftwerke endlich sicherstellen und die Europäische Zentralbank zur Beendigung ihrer unverantwortlichen Geldpolitik zwingen."

Wirtschaftsweise Grimm: Abschöpfung von Zufallsgewinnen hemmt Investitionen

Wirtschaftswissenschaftler halten neben Lob auch Kritik an einzelnen Beschlüssen des Paketes bereit. Die Wirtschaftsweise Veronika Grimm aus dem Sachverständigenrat der Bundesregierung stellte in der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" die zielgerichtete Unterstützung besonders belasteter Gruppen wie Rentner und Studenten heraus. Zuschüsse bekämen vor allem Menschen, die Härten selbst nicht abfedern können.

Die geplanten Maßnahmen am Strommarkt sowie zum Schutz besonders belasteter Gaskunden seien aber noch zu wenig konkret, so Grimm. Bei der Abschöpfung von "Zufallsgewinnen" dürfe man nicht über das Ziel hinausschießen, um Investitionen nicht unattraktiv zu machen. "Diese Investitionen brauchen wir dringend, um die Energiekrise mittelfristig zu überwinden."

Ifo-Chef Fuest: "Teils mit der Gießkanne unterwegs"

Ifo-Präsident Clemens Fuest sagte der "Bild"-Zeitung, das Paket habe Licht und Schatten. Die Regierung sei erkennbar bemüht, Preise und damit Anreize zum Energiesparen wirken zu lassen. Die Unterstützungen seien aber zu wenig zielgenau. "Hier ist man teils mit der Gießkanne unterwegs." Die Entlastung bei Strompreisen käme auch Haushalten mit höheren Einkommen zugute. Eine Steuer- und Abgabenfreiheit für Zusatzzahlungen an Beschäftigte bezeichnete er als "nicht sinnvoll". "Der Staat sollte die Lohnsetzung den Tarifpartnern überlassen."

Auch der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), Marcel Fratzscher, lobte in der "Augsburger Allgemeinen" einzelne Elemente, übte aber vor allem Kritik. "Die Bundesregierung bleibt bei der wichtigsten Herausforderung, der Begrenzung von Strom- und Gaspreisen, eine Lösung schuldig", so der DIW-Chef. Die geplante Strompreispreisbremse sei "völlig unausgegoren", werde erst in Monaten umgesetzt werden können und folge dem Prinzip Hoffnung.

Arbeitgeberverbände reagieren enttäuscht"

Deutliche Kritik kam von Arbeitgeberverbänden: Das Paket sei "enttäuschend", sagte Arbeitgeberpräsident Rainer Dulger. Es sei zwar richtig, dass die Bundesregierung soziale Härten auffange. Der Regierung fehle jedoch offensichtlich der Mut für eine neue Energiepolitik. "Die Ausweitung des Sozialstaates kann keine Antwort auf eine Kosten-Steigerung der Energiepreise auf dem Weltmarkt sein."

Industrie und Handwerk kritisierten derweil vor allem, dass es in dem Paket nur wenige Hilfen für Unternehmen gebe. Die Unterstützung privater Haushalte sei gesamtwirtschaftlich sicherlich richtig, sagte Peter Adrian, Präsident des Deutschen Industrie- und Handelskammertages (DIHK), der "Rheinischen Post". "Die Ausführungen zu den unternehmensbezogenen Maßnahmen bleiben hingegen weitgehend unkonkret - und sind daher nicht der angekündigte "wuchtige" Wurf." Es sei nicht nachzuvollziehen, dass mögliche Entlastungen für Handwerksbetriebe erst zeitverzögert angegangen werden, sagte Handwerkspräsident Hans Peter Wollseifer.

"Gute Absichten jetzt schnell in Gesetze überführen"

Positiver ist das Echo der großen Gewerkschaften. Die DGB-Vorsitzende Yasmin Fahimi bezeichnete das Paket als "insgesamt beeindruckend". "Die guten Absichten jetzt schnell in konkrete und überzeugende Gesetzgebung zu überführen, bleibt nun die zentrale Aufgabe." Verdi-Chef Frank Werneke kritisierte das Fehlen weiterer direkter Zahlungen für Menschen mit niedrigen und mittleren Einkommen. "Hochverdiener werden durch die Steuerpläne stattdessen mit bis zu 1000 Euro entlastet."

Der wissenschaftliche Direktor des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung, Sebastian Dullien, lobte viele "wichtige und sinnvolle" Einzelmaßnahmen in dem Paket – etwa die gezielte Unterstützung für Rentner und Studenten, die Erhöhung des Kinder- und die Anpassung des Bürgergelds. Damit würden einige Gerechtigkeitslücken geschlossen.

Ganz knapp fasste sich Star-Pianist Igor Levit: "Haben Sie gut gemacht". Er hat im vergangenen Jahr für die Grünen Wahlkampf gemacht und wurde von der Partei auch in die Bundesversammlung berufen, die den Bundespräsidenten wählt.

Hinweis: Dieser Artikel ist mehrfach aktualisiert worden.

dho

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