Kurz vor Beginn des EU-Gipfels in Brüssel hat Bundeskanzler Gerhard Schröder die übrigen EU-Mitglieder und besonders Großbritannien erneut zu Kompromissbereitschaft bei der strittigen Finanzierung der Gemeinschaft aufgerufen. Der Rabatt für den britische EU-Beitrag hat nach Schröders Worten keine Rechtfertigung mehr. Der Rabatt sei der "Dreh- und Angelpunkt" im Streit um die EU- Finanzierung von 2007 bis 2013, so der Kanzler in einer Regierungserklärung im Bundestag. Wenn der Rabatt unverändert weiter bestehe, würde er auf mehr als sieben Milliaren Euro hochschnellen, so Schröder.
Indirekt wies er darauf hin, dass dieser Rabatt unter der Vorgängerregierung von CDU/CSU und FDP ausgehandelt worden sei. Er sei nur einstimmig zu ändern, sagte der Kanzler und fügte an die Adresse der Unions-Kanzlerkandidatin Angela Merkel hinzu, es sei "naiv", ihn, den Kanzler, aufzufordern, dass dieser Rabatt beseitigt werde. Zudem hielt Schröder Merkel unter Berufung auf britische Zeitungsberichte vor, Premierminister Tony Blair Hoffnung gemacht zu haben, dass dieser Rabatt weiter bestehe. Damit habe sie dem amtierenden EU-Ratspräsidenten Jean-Claude Juncker und Deutschland einen "Bärendienst erwiesen".
Zugleich äußerte er sich in seiner Erklärung skeptisch, ob eine Einigung in Brüssel gelingen werde. Er habe in dieser Hinsicht wenig Hoffnung, sagte Schröder. Nach der Ablehnung der EU-Verfassung durch die Franzosen und Niederländer sprach sich Schröder dafür aus, Anfang kommenden Jahres eine Zwischenbilanz zu ziehen. Die europäische Verfassung sei nicht tot. Grundsätzlich sei es aber Sache jedes Landes, wie der Ratifizierungsprozess fortgesetzt werde. Die Bundesregierung plädiere dafür, trotz der EU-Krise den Erweiterungsprozess fortzusetzen und auch der Türkei die Beitrittsperspektive nicht aufzukündigen.
Nach Schröders Regierungserklärung hat sich CDU-Chefin Angela Merkel an den Bundestag gewandt und angesichts der EU-Verfassungskrise einen Kurswechsel in der EU und eine Konzentration auf die Förderung des Wirtschaftswachstums in der Gemeinschaft gefordert. "Ein einfaches 'Weiter so' wird Europa zerstören", sagte die Unions-Kanzlerkandidatin. Es müsse eine Veränderung geben, "und ich finde, es wäre gut, wenn Deutschland genau in diesem Prozess eine führende Rolle spielt."
Die EU sei vor allem dem Ziel verpflichtet, soziale Marktwirtschaft in Zeiten der Globalisierung aufrechtzuerhalten. "Daran muss sich alles ausrichten: Wachstumsgetriebene Politik und nicht Bürokratie an Stellen, wo sie nicht notwendig ist", sagte Merkel .
Merkel sagte zu den bevorstehenden Beitrittsverhandlungen mit der Türkei, dass sie mit dem Ziel einer Privilegierten Partnerschaft geführt werden sollen, statt eine Mitgliedschaft des Landes in der EU anzustreben. Sie betonte, CDU und CSU stünden zu den Beitrittszusagen an Bulgarien und Rumänien und unterstützten das Ziel von Aufnahmegesprächen mit Kroatien. Entscheidend sei aber, dass die Anwärter die erforderlichen Kriterien erfüllten.