Sichtlich angeschlagen trat Familienministerin Anne Spiegel am Sonntagabend vor die Presse, um ihren Urlaub nach der Flutkatastrophe im vergangenen Sommer zu erklären. Sie begründete ihre damalige Entscheidung als Ministerin für Familie und Umwelt in Rheinland-Pfalz unter anderem mit dem Gesundheitszustand ihres Mannes, der im März 2019 einen Schlaganfall erlitten hatte.
Als weitere Begründung gab die 41-Jährige an, dass Corona für ihre Familie "eine wahnsinnige Herausforderung" gewesen sei. Die Pandemie habe ihre vier Kinder im Kita- und Grundschulalter "ganz klar mit Spuren versehen".
Die Kommentatoren zeigten sich unbeeindruckt von Spiegels Rechtfertigungsversuchen. Die Pressestimmen:
"Tagesspiegel": "Bei Anne Spiegel scheint die Reihenfolge festzustehen: Erst ich – dann alles andere. Für eine Ministerin, ob Land oder Bund, ist das nicht angemessen – auch wenn sie jetzt um Entschuldigung bittet [...] Im Amt bleiben kann nur, wer sich selbst nicht über die Sache stellt."
"Focus Online": "Anne Spiegel aber hat alle Erwartungen enttäuscht: die des Bundeskanzlers, der ihr vertraute. Die der Grünen-Führung, der sie ihr Amt verdankt, weil sie die Frau nominierten. Und der Bevölkerung, die sich jetzt allerhand Privatangelegenheiten anhören muss, die sie, pardon: nicht bestellt hat. Anne Spiegel kümmert sich vor allem um eines: Anne Spiegel. Sie ist das, was man eine Ich-AG nennt."
"Welt": "Wir finden vielmehr, dass Anne Spiegel gerade wegen der nicht gewarnten 134 Toten und trotz ihrer bockigen Hilfe ukrainischer Kinder für ihr Ministerinnenamt genau die Richtige ist. Sie passt einfach ins Bild. Gendern kann sie schon richtig gut, Krisen aussitzen auch."

"Menschlich verdient Anne Spiegel Mitgefühl, Wärme, Verständnis"
"Taz": "Aber für eine Umweltministerin gehört es zur Pflicht, auf die Auswirkungen des Klimawandels zu reagieren – vor Ort und mit allen ihr zur Verfügung stehenden Mitteln. Und es gehört sich schon gar nicht, das eigene Fehlverhalten Untergebenen anzulasten [...] Spiegel sollte ihren Platz räumen – für Katrin Göring-Eckardt, die sicher die bessere Familienministerin wäre."
"Bild": "Menschlich verdient Anne Spiegel Mitgefühl, Wärme, Verständnis. Als Politikerin ist sie heillos überfordert. Anne Spiegel trug und trägt größte Verantwortung. Nicht nur für ihre Familie. Sondern auch für das Land. Und für die Menschen, deren Liebsten im Ahrtal gestorben sind, die alles verloren haben. Da reicht es nicht, im – vier Wochen langen – Urlaub 'erreichbar' zu sein."
"Frankfurter Allgemeine Zeitung": "Es gab in Berlin in den vergangenen Jahren manchen auch tränenreichen Rücktritt, solch eine Selbstoffenbarung allerdings noch nicht. Spiegel hat mit diesem missglückten Selbstbehauptungsversuch wohl das Gegenteil von dem erreicht, was sie beabsichtigte. Ob es für sie einen anderen Ausweg als den Rücktritt gibt, wird sich zeigen."
"Und so kommt zur Unfähigkeit der Landesregierungen in NRW und Rheinland-Pfalz im Umgang mit der Jahrhundertflut auch noch die fehlende Empathie mit den Opfern hinzu. Mieser kann es nicht laufen. So verspielt Politik Glaubwürdigkeit."