Franz Müntefering Ein Kämpfer ist zurück

  • von Axel Hildebrand
Franz Müntefering hat in der SPD schon allerlei Posten inne gehabt. Und nun legt er wieder los, als designierter Parteichef. In Hannover, immerhin Schröder-City, hat er die Genossen auf das Ziel aller Ziele eingeschworen: den Wahlsieg im Jahr 2009. Ausgelacht hat ihn keiner. Beobachtungen von einer Parteiveranstaltung.

Die Sonne scheint durch die großflächigen Glasscheiben des Foyers dieses Gewerkschaftshauses, als ein Mann der Vergangenheit wieder zu einem Mann der Zukunft erklärt wird. Franz Müntefering sitzt in der ersten Reihe an diesem Sonnabend, die SPD Hannover hat ins Haus der Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie und Energie geladen. Und einer der ersten Sätze an diesem Tag geht schnurstracks und unbewusst direkt in die Vergangenheit. Der 68-Jährige wird begrüßt: als ehemaliger Parlamentarischer Geschäftsführer der Bundestagsfraktion und ehemaliger Minister. Als ehemaliger Bundesgeschäftsführer und ehemaliger Generalsekretär. Als ehemaliger SPD-Vorsitzender und Vizekanzler. Was war dieser Franz Müntefering nicht schon alles! Er hat in der SPD so ziemlich jeden Posten gehabt, im Zweifel auch geschaffen. Und nun geht es noch mal, noch einmal, los. "Begrüßen Sie den zukünftigen Parteivorsitzenden!" ruft der Bundestagsabgeordnete Gerd Andres.

In den Reihen, sorgsam aufgereiht, sitzen Parteimitglieder und Gewerkschafter. Als Müntefering, der Ehemalige, vorgestellt wird, brandet Applaus auf. Lang und kräftig. Hannovers SPD klatscht. Gerds Country. Der SPD-Kanzler Schröder, der Wahlgewinner von 1998, er ist wieder da an diesem Tag.

Schröder ist, irgendwie, auch dabei

Zunächst fällt ein Zettel in der Pressemappe auf. Der Lebenslauf von Gerhard Schröder! Gerrrd, wie Müntefering sagen würde. Ein überraschender Gast? Aber es kommt relativ schnell eine Absage. Der Ex-Kanzler kommt nicht, aber irgendwie ist er dabei. Als husche er durch die Reihe, als sitze er unerkannt hinter einer Balustrade: Man meint, ihn irgendwo zu erahnen. Das hängt mit der ganzen Veranstaltung zusammen. Der Blick geht ins Gewesene, von einem Ehemaligen. Es sind so gut wie keine jungen Menschen da.

An diesem Tag soll zurückgeblickt werden, auf das, was die SPD in zehn Jahren in der Regierung erreicht hat. Müntefering nennt die Senkung der Sozialversicherungsbeiträge, die Senkung des Spitzensteuersatzes. Die Möglichkeit, dass Schwulen und Lesben eine Lebenspartnerschaft eingehen können. Das Nein zum Irak-Krieg. Und auch die Agenda 2010, für die er zusammen mit Frank-Walter Steinmeier und eben Schröder steht. Er zählt das auf. Steckt beide Hände in die Tasche, streckt sein Kinn raus.

Und jetzt: nach vorne

So stellt er sich die Sozialdemokraten vor, so sollen sie sein. Selbstbewusst. Der Sauerländer weiß, dass sie in ihren Ortsvereinen in den vergangenen Monaten ganz andere Sorgen hatten. Sie hatten einen Vorsitzenden Beck, der die Partei in den Umfragen in immer tiefere Kellergeschosse geführt hat. Aber jetzt: nach vorne. Müntefering erwähnt Beck mit keinem Wort, kein einziger Redner macht das. Die Umstände, unter den Beck am brandenburgischen Schwielowsee weggeputscht wurde, eben von Getreuen dieses Franz Müntefering, werden nicht benannt.

Müntefering erzählt eine Geschichte, das hat er schon öfter gemacht, und er sagt sie noch einmal auf. Mahnend hebt er den Zeigefinger. Jeder soll das kapieren. Also: Ein Mann sieht einen kleinen Jungen, der auf einem zugefrorenen See spielt - und plötzlich einbricht. Das Eis kracht und der Junge wird unter die Oberfläche gedrückt. Droht zu ersaufen, im Eiswasser. Der Mann läuft heran und zieht ihn wieder heraus. Bringt ihn, klatschnass, zu den Eltern. Hat viel riskiert. Egal. Und die Mutter öffnet die Tür und fragt: "Wo ist die Mütze?"

Collage mit Porträts von Merz, Klingbeil, Söder und Reiche

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Vieles habe geklappt, das soll man nicht vergessen

Natürlich habe nicht alles geklappt, was die Sozialdemokraten in der Regierung unternommen haben. Aber vieles eben doch, sagt Müntefering. Und darauf solle man sich besinnen. Und nicht irgendeiner Mütze hinterhertrauern. Die Kritiker der Agenda, die Linken in der SPD, werden an diesem Tag zu einer kleinkarierten Frau, über die man lachen kann.

Er hat auch ein Thema, mit dem sich die SPD wieder ins Spiel bringen kann: die aktuelle Finanzkrise. Davon, so seine Hoffnungen, soll sie profitieren. Der zukünftige Parteivorsitzende wettert gegen die "arroganten Banker", die in Demokratie nur Bürokratie sehen würden. Der Mann, der den Begriff der Heuschrecken für Hedgefonds erfand, sieht nicht ein, warum Menschen 1000-mal so viel verdienen können wie andere. Applaus im Saal, kräftiger. Er öffnet die Hände, zieht sie zusammen, öffnet sie wieder. Klare Kante. Kann nicht sein, sagt er. Müssen wir als Politiker ran. Draußen fährt ein roter Ferrari am vorbei, er spiegelt sich in den blankgeputzten Fenstern.

Standpunkt zeigen. Nicht wegrucken.

Die Füße hat er schulterbreit auseinander gestellt, er bewegt sie kaum, bleibt wie angewurzelt stehen. Standpunkt zeigen. Nicht wegrucken. Agenda weiterverfolgen, auch wenn's stürmt. Und die ist jetzt: die nächste Wahl soll gewonnen werden. Auch wenn sich viele in der SPD schon darauf einstellen, die Große Koalition weiterzuführen, geht Müntefering gegenüber der Öffentlichkeit vom Sieg aus. Das hat er von Schröder gelernt. Kämpfen. Bis zum Vorabend der Wahl.

Vor ein paar Monaten hat er das schon einmal gesagt. Das war in seinem Abschiedsgespräch mit den SPD-Ministern, an einem Mittwoch vor der Sitzung des Bundeskabinetts. Wir können das schaffen, sagte er damals. Aber nur, wenn Kurt Beck, Frank-Walter Steinmeier, Peter Struck, Peer Steinbrück und Andrea Nahles zusammenstehen. Dass das nicht geklappt hat, dass alles mit einem lauten Krachen zusammengefallen ist vor ein paar Tagen, das ist an diesem Tag vergessen.