Samstagabend, 21 Uhr, in Hamburg hat es den ganzen Tag geregnet. Während sich so mancher in den Stadtpark aufgemacht hat, um ein Open Air mit den Rolling Stones und rund 80.000 anderen zu sehen, versammelt sich eine kleine Gruppe Frauen um einen grünen Küchentisch in Altona. Darauf steht eine wilde Mischung aus Mitgebrachtem, von Schokomuffins bis zu Chips. Nervennahrung für das heutige Treffen. Beim Getränk allerdings, scheint sich die Gruppe einig zu sein, es gibt Cremant. Heute wird nach Monaten voller Arbeit endlich gefeiert, um Mitternacht soll der Facebook-Auftritt von "Frauen* gegen die AfD" online gehen. Doch bis dahin gibt es noch ein bisschen was zu tun.
Es war der 4. Dezember 2016, an dem Karolin*, die Initiatorin dieser Runde, über Facebook einen Aufruf zur Aktivität gegen die AfD verbreitet hat. Sie konnte den Rechtsruck in der deutschen Politik nicht mehr ertragen und hatte das Gefühl, dringend selbst etwas tun zu müssen. Auf ihr Posting meldeten sich rund 200 Leute – aus ihrem und dem Netzwerk ihrer Freunde. "Das hat mich riesig gefreut, aber die Zahl der Teilnehmer musste ich wieder eindampfen, bevor wir uns das erste Mal getroffen haben", erzählt sie. Karolin möchte, genau wie alle anderen Anwesenden, anonym bleiben. "Am 5. Januar fand dann der erste Termin statt", berichtet sie weiter, "da waren wir etwa 60 Frauen, aus denen sich dann übers Jahr ein Kern von 15 Aktiven gebildet hat, die regelmäßig bei den Treffen waren." Ziel war die Gründung einer Initiative, die der AfD Gegenwind zeigt. "Wir konnten einfach nicht mehr tatenlos mitansehen, was für ein Frauenbild die AfD verbreitet."
Frauen* gegen die AfD – so ging es los
Die Idee zum Kampagnentitel "Frauen* gegen die AfD" hat sich Karolin in Österreich abgeguckt. Dort hatte es 2016 vor der Bundespräsidentenwahl eine Bewegung namens "Frauen* gegen Hofer" gegeben. Das Sternchen im Namen, erklärt Karolin, soll zeigen, dass auch all jene Menschen mitmachen können, die nicht weiblichen Geschlechts sind. Es gäbe ja auch genügend Männer oder Menschen egal welchen Geschlechts, die von den frauenfeindlichen Forderungen der AfD genervt sind. Was also auf den ersten Blick wie ein Ausschluss der Hälfte der Gesellschaft wirkt, ist anders gemeint: Es bedeutet lediglich, dass der Fokus der Initiative klar auf dem Frauenbild liegt, das die AfD verbreitet. "Bis zum 35. Lebensjahr zwei Kinder und dazu einen Teilzeitjob, das allein sind Ideale, die uns auf die Palme gebracht haben“, sagt Karolin. "Aber das ist längst nicht alles."
Karolin war kurz vor Weihnachten in Wien und hat dort Kontakt zu den Österreicherinnen aufgenommen, die an der Kampagne gegen Hofer beteiligt waren. Sie wollte von ihren Erfahrungen profitieren – und die Wienerinnen teilten ihr Wissen gern. "Schützt euer Privatleben" und "Gebt keine Namen preis" gehörten zu ihren Sicherheitstipps. Aus dem Grund machte die Gruppe in Deutschland später eine erfahrene politisch aktive 80-Jährige zu ihrem Schild gegen persönliche Übergriffe – und zum Namen, den es fürs Impressum bei Plakataktionen brauchte.
Ein dreiviertel Jahr Arbeit neben der Arbeit
Das Mittel der Wahl, um über die sozialen Medien Menschen zu erreichen, sind Videos. Die Frauen haben sich Tweets und Zitate von AfD-Politikern herausgesucht, die sie Frauen und Männern auf der Straße vorgelesen haben. Dafür sind sie durch Deutschland gereist, um einen repräsentativen Querschnitt abzubilden. Die Reaktionen haben sie gefilmt und zu Videos zusammengeschnitten – eben jene, die nun online verbreitet werden sollen. 55 Stück sind es geworden. In den zwei Wochen bis zur Wahl werden täglich drei bis vier bei Facebook hochgeladen.
So eine Recherchereise kostet natürlich was. "Jede von uns hat erstmal 100 Euro eingezahlt, damit wir etwas Geld zur Verfügung hatten", erzählt Karolin. "Aber es stellte sich heraus, dass alle irgendwo jemanden kannten, bei dem wir mal für eine Nacht unterkommen konnten. Deswegen haben wir immer noch Geld übrig." Die Frauen fuhren von Hamburg nach Köln, Bielefeld und Rostock, um vor allem Frauen zu befragen – Zufallsbegegnungen zwischen 18 und 80. "Erst dachten wir, wir brauchen auch dringend Prominente, aber die Stimmen aus dem Volk waren so toll, dass wir beschlossen haben, dass das eigentlich reicht."
Dass trotzdem das ein oder andere bekannte Gesicht in den Videos auftaucht, liegt an der Mischung der Gruppe und den jeweiligen Kontakten. Die Aktiven kommen aus allen möglichen Berufen und Branchen und die ein oder andere hatte Freunde, die sich als Testimonials, als Gesichter der Kampagne, eigneten. "Es ist erstaunlich, wie gut wir uns ergänzt haben, obwohl wir so unterschiedlich sind", sagt eine andere Teilnehmerin der Runde am Launchabend. Ein weiterer positiver Aspekt bei der bunten Konstellation: Die Frauen konnten die meiste Arbeit selbst machen – Recherche, Text, Konzept, Social-Media-Auftritte bei Facebook und Twitter. Nur beim Drehen der Videos merkten sie, dass eine professionelle Kamerafrau im Schnitt viel Arbeit spart.
Endlich online!
Während eine fleißige Kämpferin am Samstagabend noch Mailadressen in die Liste für die Pressemitteilung am 12. September kopiert, steigt am Tisch langsam die Stimmung. Der Cremant zeigt erste Wirkung: "Leg doch mal jemand Musik auf, es ist ja schon halb zwölf!", fordert eine gutgelaunte Stimme. Es wird Zeit, dass der Stress der letzten Wochen und Monate abfällt. Die Facebook-Seite soll nun endlich in die Welt. Eine weitere Frau ist gerade unter dem Jubel aller mit einem "Geburtstagskuchen" hereingekommen – direkt vom Stones-Konzert.
Die Musikauswahl fiel so aus, dass sich jede AfD-Abgeordnete wahrscheinlich übergeben hätte: Giulia Becker aka. Schwester Ewald sang "Verdammte Schei*e", Chefboss "Zombie Apokalypse", Salt-N-Pepa "None of Your Business" und SXTN "Fotzen im Club". Frauenpower für die kommenden zwei Wochen, in denen sich die Aktiven in einen Dienstplan eingetragen haben, um die Facebook-Kommentare zu moderieren. Denn dass rechtsgesinnte Trolle ihnen das Leben schwermachen werden, davon gehen sie aus.
Schon nach knapp 36 Stunden zeigt sich, dass die Kampagne ihren Weg finden wird. Weit über 1000 Likes der Initiative bei Facebook, ganz ohne Werbung, sprechen für sich. Und die ersten Videos haben sich schon weitaus mehr Menschen angesehen.
*Name von der Redaktion geändert
