Kolumne Berlin³ Der Ego-Trip des Oppositionsführers – Friedrich Merzens unbedachte Reise nach Kiew

Friedrich Merz
CDU-Chef Friedrich Merz – unterwegs in eigener Sache?
© Carsten Koall / DPA
Ein Solo statt Solidarität. Mitten im Ukraine-Krieg versucht es CDU-Chef Friedrich Merz mit Nebenaußenpolitik. Besonders klug ist das nicht.

Friedrich Merz reist heute Nacht nach Kiew. Er wird dort den ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj treffen. Man hat die Bilder schon vor Augen, noch bevor Merz überhaupt in den Zug gestiegen ist, der ihn nach Kiew bringt. Er will das als Zeichen der Solidarität mit der Ukraine verstanden wissen. Man darf dem CDU-Chef abnehmen, dass er das ernst meint.

Merzens Reise in den Krieg setzt aber auch noch ein anderes Zeichen: Der Oppositionsführer legt den Fokus auf das Verhalten des Kanzlers, der einen derartigen Solidaritätstrip in die Ukraine bislang nicht für nötig gehalten hat. Olaf Scholz tut sich bekanntermaßen schwer mit symbolischen Gesten. Überdies ist er der Ansicht, dass er sein Licht nicht unter den Scheffel stellen muss, wenn es um die Unterstützung der Ukraine mit Waffen geht. Darauf, sagt Scholz, käme es schließlich an. Selenskyj sehe das im Wesentlichen auch so, und was die Deutschen angeht, sogar ganz besonders.

Friedrich Merz macht in Kiew Nebenaußenpolitik

Für Merzens Verhalten gibt es einen Begriff. Er lautet: Nebenaußenpolitik. In Krisen- oder sogar Kriegszeiten verbietet sich dieses Handeln eigentlich, zumal dann, wenn man, wie Merz das oft behauptet hat, der Ansicht ist, dass in einer solchen gefährlichen Lage geschlossenes Handeln von Regierung und Opposition nötig ist. Merz hat dafür im Bundestag mehrfach seine Bereitschaft signalisiert. Nun bricht er aus. Die Frage ist: Cui bono? Wem nützt das?

Der Ukraine jedenfalls nützt es – nichts. Die Liste derer, die Selenskyj ihre Aufwartung gemacht haben ist schon ziemlich lang. Eine gewisse Solidaritätsroutine hat sich bereits eingestellt. Und die Liste wird täglich länger. Erst am Wochenende war Nancy Pelosi da, die Vorsitzende des US-Repräsentantenhauses, um die "schallende Botschaft" an den Rest der Welt zu überbringen, dass die USA fest an der Seite der Ukraine stünden. Pelosi aber kam nicht nur mit kraftvoller Rhetorik, sondern auch mit einem üppigen Hilfsversprechen: Es werde in Washington gerade daran gearbeitet, die von Präsident Joe Biden beim Kongress beantragte zusätzliche Unterstützung von 33 Milliarden Dollar für die Ukraine umzusetzen. Was aber hat Friedrich Merz zu bieten?

Viel mehr als das Versprechen, den Druck auf die Ampel-Regierung auch in den kommenden Wochen hochzuhalten, hat der CDU-Chef nicht zu bieten. Das aber ist reichlich wenig, angesichts der Tatsache, dass Olaf Scholz und sein Sicherheitskabinett in der vergangenen Woche den entscheidenden Schwenk in Sachen Lieferung schwerer Waffen bereits vollzogen haben. Deutschland sperrt sich nicht mehr. Es wird also nicht ganz einfach sein für den Oppositionsführer, seinen Kiew-Besuch mit Bedeutung aufzuladen.

Merz könnte eine Sache gerade rücken

Friedrich Merz muss sich deshalb die Frage gefallen lassen, ob er bei seinem Ausritt nach Kiew nicht doch vornehmlich in eigener Sache unterwegs ist. Das wirft kein gutes Licht auf einen Mann, der eigentlich darauf bedacht sein müsste, staatspolitische Verantwortung nicht mit Profilierungssucht zu verwechseln.

Collage mit Porträts von Merz, Klingbeil, Söder und Reiche

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Jetzt aber ist das Ticket gelöst. Damit die Reise nicht völlig umsonst ist, sollte Merz ein paar Minuten von Selenskyjs kostbarer Zeit dafür nutzen, das Missverständnis um den geplatzten Besuch von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier auszuräumen. Könnte Merz den ukrainischen Präsidenten davon überzeugen, dass die Absage ein Fehler war, dann hätte sich die eigene Reise zumindest ein bisschen gelohnt.

les