Vor der dunkelgrünen Wand haben sich die beiden Co-Fraktionschefinnen der Grünen, Britta Haßelmann und Katharina Dröge, neben den Wirtschaftsminister gestellt. Robert Habeck bedankt sich, dass er hier sein und in ihrer Mitte stehen darf. Das einhellige Bild aber dürfte täuschen: Denn die Fraktion will in Leipzig einige Beschlüsse fällen, die Sprengkraft bergen und für Zoff in der Regierung sorgen könnten.
Die 118 grünen Bundestagsabgeordneten sind am Dienstag für eine dreitägige Klausur zusammengekommen. Es ist ein wichtiges Jahr: Anfang Juni wird das Europaparlament gewählt, im Herbst finden die Landtagswahlen in Thüringen, Sachsen und Brandenburg statt. Traumergebnisse werden sie dabei nicht erzielen. In Leipzig diskutieren die Abgeordneten nun die Frage, wie sie damit umgehen wollen.
Eine zentrale Antwort lautet offenbar, möglichst viele Forderungen nach sozialpolitischen Verbesserungen aufzustellen. So wollen es die Abgeordneten auf ihrer Klausur beschließen. Dies sei nötig, um den gesellschaftlichen Zusammenhalt zu erhalten und Akzeptanz für die Klimaschutzmaßnahmen zu erreichen.
Grüne fordern Reform der Schuldenbremse
In einem Beschlussentwurf wird unter anderem eine deutliche Erhöhung des Mindestlohns gefordert. Die bisherige Anhebung auf 12 Euro reiche nicht aus, heißt es in dem Papier, das dem stern vorliegt. Vielmehr solle er 60 Prozent des Medianlohns betragen. Für 2024 bedeute das eine Erhöhung auf über 14 Euro, für 2025 knapp 15 Euro.
Auch beim sogenannten Klimageld drängen die Grünen auf eine rasche Einführung. Darauf hatte sich die Ampel schon im Koalitionsvertrag geeinigt – und den Finanzminister damit beauftragt, ein Verfahren zur Auszahlung zu entwicklen. Die Grünen erwarten, dass dieser Mechanismus bis 2025 stehe, "damit endlich mit der Auszahlung des Klimageldes begonnen werden kann." Dafür brauche es eine "Start-Finanzierung aus dem Bundeshaushalt". Dafür schwebt den Grünen unter anderem vor, umweltschädliche Subventionen, etwa das Dienstwagenprivileg, abzuschaffen. Außerdem soll es eine dauerhafte Preisgarantie für das 49-Euro-Ticket geben, eine Verlängerung der Mietpreisbremse und eine höhere Tarifbindung.
Und dann wäre da noch die Sache mit der Schuldenbremse. In einem zweiten Beschlussentwurf, der dem stern vorliegt, schlägt die Fraktion einen "Deutschland-Investitionsfonds für Bund, Länder und Kommunen" vor – um Investitionen in die Modernisierung der Wirtschaft, in Zukunftstechnologien und in die Infrastruktur zu ermöglichen. Klitzekleiner Haken: "Ohne eine Reform der Schuldenbremse werden wir das Notwendige nicht finanzieren können."
Forderungen sind liberale No-Gos
All das sind Kampfansagen an den liberalen Koalitionspartner. Die grünen Abgeordneten erhöhen damit den Druck. Die Positionen lägen weit auseinander, gibt Fraktionschefin Dröge denn auch zu. Sagt aber auch: "Dazwischen gibt es Wege."

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Wo genau diese Wege verlaufen und ob sie jeder mitgehen will, ist derzeit unklar. Regelrechte No-Gos sind viele der Forderungen für die Liberalen. Etwa das Rütteln an der Schuldenbremse. Auch die Union, deren Zustimmung für eine solche Grundgesetzänderung benötig würde, dürfte kaum mitspielen. Schon für die Mindestlohn-Forderung ernteten die Grünen nach Bekanntwerden kräftigen liberalen Gegenwind. Politische Vorgaben will die FDP der Mindestlohnkommission nicht machen.
Den Grünen schlägt derweil im ganzen Land immer wieder teils heftiger Protest entgegen – oftmals stellvertretend für die gesamte Ampel. Doch wer die Regierungsarbeit in den letzten beiden Jahren aufmerksam verfolgt hat, dem wird aufgefallen sein: Viele ihrer Forderungen bekommen die Grünen in der Ampel nicht durch.
Sei es die Kindergrundsicherung, die nicht vorankommt. Oder das Klimageld. Anfang Januar hat Finanzminister Lindner es abgeräumt: Über die Auszahlung werde erst in der kommenden Legislatur entschieden, sagte der FDP-Politiker.
Schaut, was wir eigentlich wollen!
Im Gegenzug musste gerade der linke Flügel der Grünen viele Kröten schlucken, etwa das sogenannte Rückführungsverbesserungsgesetz, mit dem Abschiebungen erleichtert werden sollen, oder die Einführung von Totalsanktionen beim Bürgergeld.
Die angespannte Haushaltslage macht die sozialpolitischen Forderungen der Grünen nicht wahrscheinlicher. Finanzminister Lindner forderte kürzlich sogar ein "Sozial-Moratorium", und meint damit, in den nächsten drei Jahren keine neuen Sozialleistungen einzuführen.
Bleibt die Frage: Wenn die Forderungen aus den Papieren in dieser Ampel wohl nicht Realität werden können, was bezwecken die Grünen dann damit? Es dürften eher Botschaften sein für die anstehenden Wahlkämpfe. Leuchtstäbe, die sie in die Höhe recken: Schaut, was wir eigentlich wollen! Eine Beruhigung des grünen Gewissens.