Manchmal mahlen die bürokratischen Mühlen am Werderschen Markt zu Berlin langsam. Verdammt langsam. Zeitlupenhaft. Praktisch nicht mehr wahrnehmbar. Seit bald vier Monaten grübeln und beraten die Beamten im Außenministerium nun bereits darüber, wie sie eine Voranfrage des Münchner Siemens-Konzerns bescheiden sollen, seine stillgelegte Hanauer Brennelementefabrik an China verkaufen zu dürfen. 50 Millionen Euro würde das umstrittene Atomgeschäft Siemens bringen. Die rot-grüne Regierung brächte es vermutlich ans Ende.
Joschka Fischers langsame Brüter prüfen deshalb mit deutscher Gründlichkeit. Und mit der klaren Order, sich bloß nicht zu beeilen. Niemand hetzt sie, schon gar nicht ihr sonst so ungeduldiger Chef. Oder dessen Chef, der Kanzler. "Der Außenminister braucht Zeit zur Prüfung der Rechtsfragen", sagt Gerhard Schröder - und fügt generös hinzu: "Die Zeit wird er bekommen."
Anfang Dezember noch mächtig aufs Tempo gedrückt
Dabei hatte er noch Anfang Dezember während einer Chinareise mächtig aufs Tempo gedrückt. Bis Weihnachten, ließ er durchblicken, werde die Sache endgültig entschieden. Und zwar positiv. "Es ist keine waffenfähige Anlage", dekretierte der Kanzler. "Das Unternehmen, dem die Fabrik gehört, will liefern. Nach geltendem Recht darf sie liefern. Ob das dem einen oder anderen gefällt, ist nicht wichtig."
Ist es doch. Und das Projekt ist deshalb mausetot. Am Aschermittwoch war alles vorbei. Da trafen sich der Kanzler und sein Vize zum Vieraugengespräch, der ersten Aussprache, seit sie sich wegen des Atomexports so schwer wie noch nie in ihrer Regierungszeit verkracht hatten.
Sie beschlossen, sich wieder lieb zu haben
Bei ihrem Téte-a-téte am Ende der jecken Zeit beschlossen sie nicht nur, sich wieder lieb zu haben. Sondern vereinbarten auch den Ausstieg aus dem Atomgeschäft. Und zwar durch Aussitzen. Die Regierung erledigt den Exportwunsch ganz einfach per Nichterledigen. Die Voranfrage von Siemens wird totgeprüft.
Das Kuriose daran ist: Eigentlich hatte das Außenministerium bereits sein Okay erteilt für den Export. Staatssekretär Jürgen Chrobog schrieb am 15. Oktober mit bedauerndem Unterton ans Umweltressort: "Da keine ? Versagungsgründe erkennbar sind, werde ich nicht umhin können, die Zustimmung des Auswärtigen Amtes zur Ausfuhr in die Volksrepublik China zu geben." Auch Fischer fügte sich ins scheinbar Unvermeidliche: "Ich bin gegen diesen Atomexport. Aber ich kann nur streng nach Recht und Gesetz handeln", barmte er um Verständnis.

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Schröder unterschätzte den Widerstand
Allerdings unterschätzte er den Widerstand gegen das Geschäft grandios. Klüger geworden, malte er dem Kanzler die Konsequenzen einer Ausfuhrgenehmigung drastisch aus: "Dann fliegt mir meine Partei um die Ohren." An Fischers Basis läuft längst die Aktion "Wenn Hanau geht, geht Schröder mit". Dürfte Siemens liefern, sei "die grüne Schmerzgrenze eindeutig erreicht". Ein Sonderparteitag würde dann das Aus für den Deal verlangen. Es wäre auch das Aus für Rot-Grün. Schröder hatte kaum eine Wahl, er musste einlenken.
Seither läuft eine politische Schmierenkomödie ersten Ranges. Titel: Die Leiche lebt. Unbeirrt beten alle die Mär von der gründlichen Prüfung herunter. Offiziell mag keiner den Totenschein ausstellen, damit die Beteiligten ihr Gesicht wahren können, allen voran der Wird-geliefert-Kanzler. Das Kalkül ist klar: Irgendwann fragt keiner mehr, was aus dem Projekt geworden ist.
"In aller Ruhe"
Eine Klage von Siemens muss Rot-Grün nicht fürchten. Konzernchef Heinrich von Pierer ist Dauergesprächspartner von Schröder, im Inland braucht Siemens Staatsaufträge, im Ausland den Kanzler als Türöffner. Das alles soll auch so bleiben. Deshalb sagt ein Sprecher zur Hinhaltetaktik auch nur: "Es gibt nichts zu sagen." Deutlicher wurde das Unternehmen in einem Brief an Greenpeace: Natürlich akzeptiere Siemens "den Primat der Politik", also jede (Nicht-)Entscheidung. Auch die chinesische Regierung ist gewarnt, dass sie wohl auf die Anlage verzichten muss. Dem Sondergesandten von Ministerpräsident Wen Jiabao machte Schröder kürzlich klar, dass die Voranfrage weiter geprüft werde - "in aller Ruhe".