Haushaltsdebatte Auch Rente ist auf Kante genäht

Wolfgang Zöller, neuer Sozialexperte der Union sieht schwarz: "Den Sozialkassen droht der finanzielle Offenbarungseid", sagte er im Bundestag. Richtig widersprechen wollte ihm die Regierung nicht.

"Auf Kante genäht" wird langsam zur geflügelten Phrase der Bundesregierung. Nicht nur Finanzminister Hans Eichel benutzt den Ausdruck gerne und oft, wenn er seinen stets knapp bemessenen Haushalt charakterisiert. Seit Donnerstag ist auch die Rentenkasse "auf Kante genäht", wie Sozial-Staatssekretärin Marion Caspers-Merk während der aktuellen Haushaltsdebatte im Bundestag gesagt hat.

Damit räumt die Bundesregierung eine ernste Finanzkrise der Sozialsysteme ein. In der Pflegeversicherung gäbe es ohne die Beitragserhöhung für Kinderlose ab 2005 "ernste Schwierigkeiten". Es gebe keinen Spielraum, die Gesundheitsreform sozial abzumildern. Die rot-grüne Koalition wies jedoch die Kritik der Opposition zurück, selbst schuld an der Misere zu sein.

Konjunkturentwicklung unterschiedlich beurteilt

Zu heftigem Streit kam es auch bei der Beurteilung des Wirtschaftsstandorts Deutschland. Regierung und Opposition machten sich jeweils für die schleppende Konjunkturerholung verantwortlich und bescheinigten einander Ideenmangel, um für mehr Wachstum und Jobs zu sorgen sowie die Sozialsysteme finanziell abzusichern. Die Koalition verwarf das Gesundheitsmodell der Union als unbezahlbares, "bürokratisches Monstrum", die Opposition lehnte die von Rot-Grün geforderte Bürgerversicherung ab.

Nach dem mageren Wachstum im dritten Quartal (plus 0,1 Prozent) und des Einbruchs beim Ifo-Stimmungsindex für November zeigte sich Wirtschaftsminister Wolfgang Clement demonstrativ optimistisch. "Die Stagnation ist vorbei. Es geht aufwärts, und es wird weiter aufwärts gehen", sagte der SPD-Politiker. Viele Zeichen zeigten nach oben. Die Bundesrepublik bleibe Exportweltmeister, der Ruf ihrer Unternehmen sei "nie besser gewesen als heute".

Nach Bundeskanzler Gerhard Schröder warf auch Clement der Opposition permanente Schwarzmalerei vor. Er rief sie auf: "Stehen Sie nicht immer ’rum und nörgeln! Das hat keinen Zweck. Sondern sehen Sie zu, dass wir vorankommen." Die Inlandsnachfrage sei weiter die Schwachstelle der Konjunktur. Problem Deutschlands sei seine "Verwundbarkeit" durch externe Schocks wie die Ölpreissteigerung oder den Kursanstieg des Euro.

Union und FDP halten die Konjunkturerholung für beendet. Sie warfen der Regierung Schönfärberei und eine widersprüchliche Argumentation vor. Sie spreche von einem Aufschwung, erkläre aber gleichzeitig die Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts, um die Neuverschuldung auf Rekordhöhe ausweiten zu dürfen. Dies grenze fast an Schizophrenie, sagte der stellvertretende FDP-Vorsitzende Rainer Brüderle. Statt zu handeln, schmeiße Clement mit "tollen Schlagwörtern" wie Masterplan und Offensive um sich.

"Finanzieller Offenbarungseid der Sozialkassen"

Die Opposition beschuldigte die Regierung, die Sozialsysteme gegen die Wand zu fahren. Der designierte CDU/CSU-Vizefraktionschef Wolfgang Zöller sagte: "Es droht der finanzielle Offenbarungseid in den Sozialkassen." Grund seien fehlende Einnahmen wegen der Arbeitslosigkeit. Das Ziel, die Lohnnebenkosten zu senken, sei klar verfehlt worden.

AP
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