Haushaltsdebatte Merkels neuer PR-Slogan

Es war kein guter Tag für Angela Merkel. Fahrig und diffus wirkte die Bundestags-Rede der kürzlich zur mächtigsten Frau der Welt gekürten Bundeskanzlerin. Nur das neue PR-Motto der Regierung sorgte für eine Überraschung.

Überraschung: Die Umfragewerte der Union sind im Keller, die Stimmung mies. Und deshalb haben die PR-Berater der Kanzlerin ein neues Leitmotiv für die Regierung erfunden: "Wir dürfen unsere Zukunft nicht verbrauchen" heißt es - und Angela Merkel sollte es der Öffentlichkeit am Mittwoch bei ihrer Bundestags-Rede zum Haushalt 2007 wohl effektiv einhämmern. Dreimal. Viermal. Fünfmal zitierte sie das Motto. Zukunft! Nicht verbrauchen! Gestalten! Verstanden? Es war Guido Westerwelle, der FDP-Mann und Ober-Oppositionelle, der Merkel später süffisant entgegenhielt: "Sie haben uns binnen eines Jahres drei Überschriften gegeben: Mehr Freiheit wagen. Deutschland ist ein Sanierungsfall. Wir dürfen unsere Zukunft nicht verbrauchen." Die Regierung hinterlasse den Eindruck, sie wisse eigentlich nicht so genau, was sie wolle, so Westerwelle.

Müde, fahrig, kaum überzeugend

Es ist erstaunlich, wie die scheinbar erstarkte Kanzlerin in diesem Spätsommer aus dem Tritt geraten ist, wie sie an diesem trüben Berliner Morgen ihre Rolle sucht. Eigentlich ist die Generaldebatte zum Haushalt für die Regierenden immer eine wunderbare Gelegenheit zum verbalen Schlagabtausch, für kleine Gefechte und Spitzen. Merkel vergab diese Chance. Ihre Rede wirkte müde, fahrig, kaum überzeugend. Sie ist zwar laut Forbes-Magazin derzeit die mächtigste Frau der Welt. Aber die Kanzlerin führte an diesem Morgen drastisch vor, dass es ihr trotzdem nicht gelungen ist, die alpine Sommerfrische des Urlaubs nach Berlin hinüberzuretten, dass sie nicht weiß, was sie der zermürbenden Kritik an der Koalition entgegenhalten soll. Sie sagte wenig Neues, und verkaufte das Alte reichlich uninspiriert.

"Es geht um Sicherheit und Freiheit"

Deutlich wurde das an der Eröffnungssequenz der Merkelschen Rede. Die Kanzlerin lobte darin die Einigung auf die Anti-Terror-Datei, erteilte deutscher "Kleinstaaterei" in Sachen Sicherheit eine Absage, um dann zu einer seltsam anmutenden grundsätzlichen Einschätzung zu gelangen. Es gehe im 21. Jahrhundert nicht um Sicherheit oder Freiheit, sondern um "Sicherheit und Freiheit", sagte die Kanzlerin, als ob das, zumindest in den liberalen Gesellschaften des 20. Jahrhunderts nicht immer das Ziel gewesen sei. Ähnlich obskur-wolkig ging es weiter, als Merkel zur außenpolitischen Situation nach den Anschlägen des 11. September 2001 gelangte. "Manche haben gesagt: Nach dem 11. September ist nichts mehr so wie es war", sagte sie. "Ich halte das für falsch, weil sich das Motiv unseres außen- und sicherheitspolitischen Handelns nicht verändert hat."

Die außenpolitischen Motive Deutschlands

Bei der Erklärung dessen, was sich nicht verändert habe, driftete die Kanzlerin, sonst gerne präzise, ins Grau-Nebulöse. "Dass deutsche und europäische Geschichte seit 1945 anders gestaltet wird, gehört zu den großen Ereignissen, die von den Vorgängern der politisch Aktiven geleistet wurden", schwurbelte sie. Die Vorgänger seien zu der Erkenntnis gelangt, dass man nicht am besten dastehe, wenn man nur an sich denke, sondern dann, wenn man auch an die Interesse anderer denke. "Man hat erkannt, was dem anderen dient, ist auch gut und richtig für mich", sagte Merkel. Diesem Motiv fühle sich die Bundesregierung weiter verpflichtet, wenn man auch sehen müsse, dass sich die Herausforderungen seit dem Ende des Kalten Krieges verändert hätten. "Wir stehen heute vor neuen Aufgaben", sagte Merkel, bevor sie die Einsätze der Bundeswehr auf dem Balkan, in Afghanistan und im Kongo rechtfertigte. Überzeugend eindeutig wirkten vor allem die grundsätzlichen Ausführungen nicht.

Kein Bundeswehr-Einsatz in Darfur

Zum geplanten Bundeswehr-Einsatzes im Libanon sagte Merkel, aus historischen Gründen müsse vermieden werden, dass deutsche Soldaten auf Israel schössen. Deshalb lehne sie den Einsatz deutscher Bodentruppen ab. Andererseits speise sich die Rechtfertigung des Einsatzes der Marine aus der gleichen Geschichtsauffassung. Es sei Teil der "Staatsräson" der Bundesrepublik Deutschlands, das Existenzrecht Israels zu sichern. Deshalb müsse man sich an dem friedenssichernden Uno-Einsatz in der Region beteiligen, allerdings nur unter der Voraussetzungen eines klaren Mandats. "Es kommt darauf an, dass dieses Mandat auch gewollt ist." Der Libanon hatte am Dienstag grünes Licht für einen Einsatz von Uno-Kräften auf See gegeben. Allerdings sind hinsichtlich der genauen Ausgestaltung des Auftrags noch Fragen offen. Einem Einsatz der Bundeswehr in der afrikanischen Krisenregion Darfur erteilte Merkel eine Absage.

"Es geht nicht, dass jeder alles für sich behält"

In Sachen Fleischskandal stellte sich die Kanzlerin hinter Verbraucherschutzminister Horst Seehofer. Sie forderte die Länder auf, sich auf bundesweit einheitliche Standards bei Lebensmittel-Kontrollen zu einigen. "Das heißt nicht, dass die Bundesregierung die Kontrolle übernimmt, aber das hieße schon, dass sich die Länder bereit erklären, auf einer gemeinsamen Informationsplattform miteinander die Informationen auszutauschen", sagte sie. Es scheint, als fordere die Kanzlerin nach der AntiTerror-Datei nun die Pro-Lebensmittel-Datei. "Es geht nicht, dass jeder alles für sich behält und das anschließend Verfehlungen auftreten." Sie fordere die Länder auf, das Verbraucherinformationsgesetz zu verabschieden. Zudem verteidigte sie - Motto: "Wir dürfen die Zukunft nicht verbrauchen" - den Sparkurs der Regierung, der im Polit-Deutsch "Konsolidierungskurs" heißt, ebenso wie die Eckpunkte der Gesundheitsreform und Neuerungen wie das Elterngeld. Man dürfe nicht von der Substanz leben, sonder müsse die Zukunft gestalten, sagte sie.

"Sie regieren nach dem Pippi-Langstrumpf-Prinzip"

Ein kleines Scharmützel lieferte sich Merkel am Ende dann doch noch mit der Opposition, die sie überraschend scharf attackierte. Die Opposition rede das Land in einer Art und Weise schlecht, wie sie es nicht für verantwortbar halte, hielt Merkel FDP, Grünen und Linkspartei entgegen. In seiner Replik schoss Grünen-Fraktionschef Fritz Kuhn postwendend zurück, dass es ja wohl ein Witz sei, dass ausgerechnet Merkel jetzt anderen vorwerfe, Deutschland schlecht zu reden: "Sie haben hier vom Sanierungsfall Deutschland gesprochen", ätzte Kuhn. "Jetzt werfen sie uns vor, das Land schlecht zu reden". FDP-Mann Rainer Brüderle hatte Merkel schon vor dessen Rede eine angebliche Beliebigkeit angekreidet. "Sie regieren das Land mittlerweile nach dem Pippi-Langstrumpf-Prinzip", sagte er. "Ich mach' mir die Welt, wie sie mir gefällt."

Collage mit Porträts von Merz, Klingbeil, Söder und Reiche

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Oskar Lafontaine, der Fraktionschef der Linkspartei, warf Merkel vor, mit ihrer Außenpolitik die Terrorgefahr in Deutschland zu erhöhen und nicht für wirtschaftliches Wachstum zu sorgen. Der Grüne Kuhn schoss sich vor allem auf die Erhöhung der Mehrwertsteuer ein. Dieses Vorhaben, sagte er, gefährde die wirtschaftliche Erholung. Er schlug vor, die Erhöhung um drei Prozentpunkte auf insgesamt drei Jahre zu verteilen. Erst Westerwelle war es, der seine Kritik an dem einzigen festmachte, was die Kanzlerin an diesem Tag wirklich neu zu bieten hatte: Den Slogan von der Zukunft, die man nicht verbrauchen dürfe.