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Hilfe für Analphabeten SPD kämpft für Wahlzettel mit Fotos

7,5 Millionen Menschen in Deutschland sind funktionale Analphabeten, können keine zusammenhängenden Texte lesen. Die SPD will daher die Wahlzettel verändern. Widerstand regt sich bei FDP und Union.
Von Hans Peter Schütz

Ein entsprechender Antrag ist von der SPD im Innenausschuss eingebracht worden, wo ihn die Abgeordneten Ulla Schmidt, ehemals Bundesgesundheitsministerin, und Gabriele Fograscher begründeten. Sie erklärten gegenüber stern.de: "Es ist nicht verständlich, dass versucht wird, zu verhindern, dass wir Menschen mit einem Handicap Erleichterungen beim Wahlrecht verschaffen wollen."

Die SPD fordert, dass bei der Bundestagswahl im Herbst auf den Stimmzetteln neben dem Parteinamen die Parteisymbole aufgedruckt werden und Fotos der Kandidaten. Dieser Wunsch trifft bei FDP und CDU auf massiven Widerstand. Der CDU-Bundestagsabgeordnete Reinhard Grindel wetterte dagegen mit dem Argument, die Bundestagswahl sei doch kein Schönheitswettbewerb. Der FDP-Spitzenkandidat Rainer Brüderle schimpfte, mit dieser Bildersprache stelle sich die Bundesrepublik dar, als sei sie "ein Staat aus der vierten Welt". Wichtiger als die SPD-Aktion sei es doch, nicht vor der Aufgabe zu versagen, dass "alle Bürger ein Recht darauf haben, lesen und schreiben zu können."

7,5 Millionen funktionale Analphabeten

Das Recht haben sie natürlich, aber sie können es trotzdem nicht. Aus dem SPD-Antrag ist zu entnehmen, dass die Lese- und Schreibeschwäche in der Bundesrepublik sehr viel weiter verbreitet ist, als man glaubt. Laut eine wissenschaftlichen Studie sind 2,3 Millionen Menschen in Deutschland Analphabeten im engeren Sinne: Dies sind 4,5 Prozent der Erwachsenen zwischen 18 und 64 Jahren. Hierunter fallen auch 300.000 Menschen, die noch nicht einmal ihren Namen schreiben können. Zwei Millionen Menschen können zwar einzeln Worte lesen und schreiben, aber keine ganzen Sätze. Selbst gebräuchliche Wörter müssen diese Menschen Buchstabe für Buchstabe zusammensetzen. 7,5 Millionen Menschen gelten als funktionale Analphabeten, die keine zusammenhängenden Texte lesen können. Das sind über 14 Prozent der Bevölkerung.

Untersuchungen des Deutschen Volkshochschul-Verbandes haben bewiesen, dass Analphabeten auf dem Stimmzettel zum ersten Mal mit dem komplett ausgeschriebenen Namen der Parteien konfrontiert werden. Ohne weitere Bebilderung sei es daher unmöglich für sie, einen manchmal sehr langen Wahlzettel in kurzer Zeit zu verstehen. Dadurch würden rund 750.000 wahlberechtigte Bundesbürger faktisch von der Wahl ausgeschlossen, da ihnen das Lesen der Wahlschein nicht möglich ist. Daher müssten die Wahlzettel tatsächlich mit Parteisymbolen und Fotos der Kandidaten versehen werden. Dazu solle spätestens bis Mitte 2013 ein Gesetzentwurf zur Änderung des Bundeswahlgesetzes vorgelegt werden, fordern der SPD-Fraktionsvorsitzende Frank-Walter Steinmeier und die SPD-Fraktion.

Regierung wirf SPD Ergebniskosmetik vor

Das Wahlrecht sei auch für Menschen mit Behinderung ein wichtiges politisches Grundrecht, sagt die SPD. Nur Menschen, die zur Besorgung aller ihrer Angelegenheiten einen Betreuer benötigen oder Menschen, die eine Straftat im Zustand der Schuldunfähigkeit begangen haben und deswegen in einem psychiatrischen Krankenhaus untergebracht sind, würden bei der Ausübung des Wahlrechts behindert werden. In Frankreich, Portugal und Großbritannien wird die Stimmabgabe für Menschen mit Lese- und Schreibschwäche bereits erleichtert.

FDP und die CDU/CSU unterstellen in ihrem Widerstand gegen den SPD-Antrag, dass die Genossen glauben, dass besonders viele Analphabeten in ihrem Wählerpotential zuhause sind und die SPD hoffe, mit der Aktion ihr Wahlergebnis verbessern zu können. Dieses Argument weist die SPD strikt zurück. Sie betont, es sei natürlich am besten, "überparteilich" alle Kraft darauf zu legen, möglichst allen Erwachsenen auch nachträglich noch lesen und schreiben beizubringen. Die Abgeordnete Fogratscher weist ebenfalls wahltaktische Überlegungen gegenüber stern.de strikt zurück: "Wir wollen, dass alle Bürger selbstständig wählen können. Die Bild und Wortbildmarken auf dem Wahlzettel würden nicht nur Menschen mit Lese- und Schreibschwäche helfen, sondern auch vielen älteren Menschen."

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