DIE LAGE: Die Große Koalition wollte sparen, um ab 2011 keine neuen Schulden mehr machen zu müssen; sie wollte die Lohnnebenkosten unter 40 Prozent drücken, mehr Geld in Bildung stecken und die Rentner finanziell an den Reformen beteiligen. Jetzt muss Finanzminister Steinbrück ausgabefreudigen Ministern mit Zwangskürzungen drohen, und die Regierung erhöht den Rentnern außerplanmäßige ihre Bezüge.
DIE FRAGE: Ein ausgeglichener Haushalt, niedrige Lohnnebenkosten, Generationengerechtigkeit – all diese Ziele scheinen für Sie nicht mehr ganz so wichtig zu sein, Frau Bundeskanzlerin.
DIE ANTWORT: Wie kommen Sie darauf? Auf allen genannten Feldern haben wir in den letzten zwei Jahren eine deutliche Trendumkehr erreicht.
WAS SIE WIRKLICH SAGEN MÜSSTE: Erwarten Sie darauf wirklich eine ehrliche Antwort? Na gut: Natürlich denke ich weiter an die Zukunft, vor allem auch an meine. Eine Kanzlerin hat schließlich auch noch andere Ziele im Leben als ausgeglichene Haushalte: wiedergewählt werden zum Beispiel. Nächstes Jahr sind Wahlen. Da brauche ich vor allem die Stimmen der Rentner. Das lass ich mir dann auch was kosten. Sparen können wir danach wieder.
DIE LAGE: Die Rentner haben über die außerplanmäßige Erhöhung nicht wie erwartet gejubelt. Vor allem junge Politiker kritisierten sie dagegen schwer wegen der Belastungen im Haushalt. Im CDU-Vorstand soll Angela Merkel daraufhin dem zuständigen Arbeitsminister Olaf Scholz vorgeworfen haben, er habe ein "kommunikatives Desaster" angerichtet.
DIE FRAGE: Sie haben den sozialdemokratischen Arbeitsminister Scholz kritisiert, er habe die Rentenerhöhung nicht als Erfolg verkauft.
DIE ANTWORT: Sie berufen sich auf Berichte aus internen Beratungen, die ich nicht kommentiere. Tatsache ist: Unsere Entscheidung zur Rentenerhöhung kann überzeugend dargestellt und erklärt werden. Das hat Minister Scholz im Übrigen am Donnerstag im Bundestag getan.

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WAS SIE WIRKLICH SAGEN MÜSSTE: Natürlich stimmt das, den habe ich mal so richtig rangenommen. Hatte er auch verdient, der Depp. Was glauben Sie, wofür wir den Rentnern die ganze Kohle hinterherwerfen? Um danach noch angestänkert zu werden? Aber besser Scholz kriegt den Ärger ab und nicht ich. Und wenn ich etwas dazu tun kann, dann mache ich das. Außerdem haben Sie ja gesehen: Jetzt spurt er!
DER INTERVIEW-VERSTEHER
Es gibt Politiker, deren Interviews sind klar in der Sache, deutlich in der Sprache, leicht zu verstehen. Ihre Rede ist Ja, Ja oder Nein, Nein – und nichts ist von Übel. Sie helfen den Lesern weiter. Im besten Fall erleichtern sie ihnen die Wahl. Das Problem ist: Es handelt sich bei dieser Art Politiker um eine verschwindende Minderheit. In der Regel verfolgen deutsche Politiker in Interviews andere Ziele: Sie beantworten Fragen absichtlich nicht, verschleiern Sachverhalte, floskeln sich einen ab und, na ja, flunkern wie gedruckt. Sie lassen den Leser ratlos und hilflos zurück. Das muss nicht so sein. Andreas Hoidn-Borchers enthüllt künftig auf stern.de in loser Folge, was Politiker nicht zu sagen wagen, und präsentiert die wahren Antworten.
DIE LAGE: Zu den vier Ministern, die mehr Geld ausgeben wollen als der Finanzminister vorgesehen hat, gehört auch Michael Glos. Der Wirtschaftsminister ist Mitglied der CSU. Und die CSU kämpft schwer darum, im Herbst in Bayern ihre absolute Mehrheit zu verteidigen.
DIE FRAGE: Der bayerische Finanzminister und CSU-Vorsitzende Erwin Huber nennt Steinbrücks Vorgehen schädlich und unprofessionell.
DIE ANTWORT: Ich wiederhole, dass ich das Ziel eines ausgeglichenen Haushalts 2011 voll und ganz unterstütze. Mit Ruhe und Konzentration auf das Wesentliche werden in den Haushaltsberatungen jetzt auch die verschiedenen Wünsche und Interessen erörtert und am Ende gute Lösungen gefunden.
WAS SIE WIRKLICH SAGEN MÜSSTE: Wenn zwei sich streiten, freut sich die Dritte. Und das bin ich. Ich halt mich da erst mal raus und gebe später beiden ein bisschen recht. Was glauben Sie, wieso ich so populär bin bei den Leuten. Außerdem schadet es nicht, wenn die CSU ein wenig bibbern muss. Und auch nicht, dass der Steinbrück mal Kontra kriegt. Das hilft am Ende nur mir, jedenfalls bei der Wahl nächstes Jahr.
DIE LAGE: Die Bankenkrise in den USA hat unabsehbare Folgen. In den Vereinigten Staaten droht eine Rezession. Noch ist nicht klar, wie groß das Ausmaß sein wird – und wie stark Deutschland betroffen sein wird. Der Internationale Währungsfonds beziffert die finanziellen Risiken auf fast eine Billion Dollar weltweit.
DIE FRAGE: Wie gefährlich ist diese Krise für die deutsche Wirtschaft?
DIE ANTWORT: An der Krise der Finanzmärkte sehen wir, was die Globalisierung auch an Risiken mit sich bringen kann. Die Finanzmärkte sind derart international vernetzt, dass nationale Regelungen alleine nicht mehr ausreichen.
WAS SIE WIRKLICH SAGEN MÜSSTE: So saugefährlich, dass Sie sich überhaupt keine Vorstellung davon machen können. Wenn diese Krise auf uns übergreift, dann gute Nacht. Ich bete jeden Morgen und jeden Abend, dass wir verschont bleiben. Und bevor Sie fragen, was wir dann machen könnten, sage ich es lieber gleich: Ich habe keine Ahnung. Also beten Sie lieber mit.