Irak-Geiseln "Eingepfercht in Erdlöcher und Sandkuhlen"

Nach 99 Tagen Geiselhaft befinden sich René Bräunlich und Thomas Nitzschke wieder bei ihren Familien. In einem Interview widersprechen sie nun Gerüchten, sie seien verkauft worden und berichten von ihren Entführer.

Die beiden freigelassenen Irak-Geiseln René Bräunlich, 32, und Thomas Nitzschke, 28, sind seit Freitagabend wieder zu Hause bei ihren Familien. Das sagte Bräunlichs Lebensgefährtin Sindy Brost der dpa. "Ich bin so froh, dass jetzt alles vorbei ist", sagte Brost. "Wir wollen jetzt einfach nur unsere Ruhe." Die beiden Techniker wurden vom Bundeskriminalamt (BKA) wieder in ihre Heimatstadt gebracht.

Die Befragungen der beiden durch das BKA würden aber erst in der kommenden Woche abgeschlossen, sagte die Prokuristin ihres Arbeitgebers Cryotec, Karin Berndt, nach einem weiteren Gespräch mit René Bräunlich. "Danach wollen sie erstmal in den Urlaub fahren, um sich richtig zu erholen", sagte Berndt.

Erlebnisse nur mit engsten Mitmenschen teilen

Thomas Nitzschke selbst sagte der "Leipziger Volkszeitung": "Wir wollen so rasch wie möglich wieder in unser ganz normales Leben zurückkehren, ohne mit dem Druck einer andauernden Beobachtung durch die Öffentlichkeit zu leben." Die Erlebnisse während der Geiselnahme würden die Freigelassenen "unseren engsten Mitmenschen erzählen, aber nicht in einer Fernseh-Talkshow".

Beim am Montag in der Leipziger Nikolaikirche geplanten Dankgottesdienst wollen die beiden nicht dabei sein. "Ich kann mir nicht vorstellen, jetzt gegen eine Wand von Fotografen, Kameraleuten anzurennen", sagte Bräunlich der Zeitung. Die Mütter der beiden würden aber eine Erklärung verlesen.

Überwältig von der Solidarität

Von den Solidaritätsbekundungen insbesondere in Leipzig seien sie "fast umgehauen" worden, sagte Nitzschke. "Als wir in Gefangenschaft waren, hatte ich die Befürchtung, dass wir sehr stark kritisiert werden in der Öffentlichkeit. Vor allen Dingen nach dem Fall Susanne Osthoff", sagte Nitzschke. "Der Abstand zwischen ihrer Freilassung und unserer Entführung war so kurz", ergänzte Bräunlich. "Wir haben angenommen, die Öffentlichkeit würde uns zerreißen, unsere Familien ständig kritisieren, dass wegen uns jetzt schon wieder so ein Entführungsfall da ist."

Collage mit Porträts von Merz, Klingbeil, Söder und Reiche

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Nicht misshandelt worden

Während ihrer Gefangenschaft seien sie nicht misshandelt und nicht getrennt worden. Allerdings haben ihre Entführer sie tagelang in Erdlöchern und Sandkuhlen eingepfercht - in immer fast dunkler Umgebung - was sie als "eine Art Folter" empfunden hätten. Mit Ausnahme von zwei, drei der Bewachern, die ein paar Brocken Englisch gesprochen hätten, hätten die beiden keinerlei Gesprächsmöglichkeit gehabt.

Die gesamten 99 Tage ihrer Gefangenschaft seien sie in der Hand ein- und derselben Entführergruppe gewesen. "Es stimmt nicht, dass wir ’verkauft’ wurden" erklärte Nitzschke. Bräunlich schilderte in dem Interview die Entführer als Muslime "mit großem Engagement". Sie hätten fünf Mal am Tag gebetet, immer ihre religiösen Pflichten erfüllt. "Und sie haben uns, so weit es ging, über das Gute im Islam erzählt, sie haben oft im Koran gelesen. Aber fanatisch waren die nicht. Die haben signalisiert: Wir akzeptieren auch andere."

USA bot militärische Befreiung an

Die US-Armee hat nach Medien-Informationen zu Beginn des Geiseldramas um die beiden inzwischen freigelassenen Irak- Geiseln eine militärische Befreiungsaktion angeboten. Der Krisenstab des Auswärtigen Amts habe eine Kommandoaktion jedoch wegen des zu großen Risikos für René Bräunlich und Thomas Nitzschke abgelehnt, berichten übereinstimmend die Nachrichtenmagazine "Focus" und "Der Spiegel". Das Auswärtige Amt (AA) wollte diese Meldungen am Samstag unter Hinweis auf die Vertraulichkeit der Arbeit des Krisenstabes nicht kommentieren.

Zur "Spiegel"-Information, das Lösegeld für Bräunlich und Nitzschke habe deutlich über fünf Millionen Euro gelegen, nahm der AA-Sprecher ebenfalls nicht Stellung. Er verwies auf die Haltung der Bundesregierung: "Die Bundesregierung ist nicht erpressbar. Die Bundesregierung zahlt kein Lösegeld", hatte Regierungssprecher Thomas Steg am Freitag betont.

Nur knapp dem Tode entkommen

Laut "Spiegel" sind die beiden verschleppten Leipziger während ihrer Geiselhaft im Irak womöglich nur knapp dem Tod entkommen. Ein irakischer Vermittler, der im Auftrag der Bundesregierung mit den Entführern verhandelte, berichtete demnach dem Krisenstab, die Geiselnehmer seien in zwei Fraktionen gespalten. Während der gemäßigte Teil schon früh einen Abmachung mit der Bundesregierung angestrebt habe, hätten die Hardliner mehrfach eine Freilassung verhindert. Um den Druck zu erhöhen, hätten sie dabei auch mit dem Tod eines der beiden Ingenieure gedroht. Die Geiseln sollen die ganze Zeit in der Region um den Entführungsort Baidschi festgehalten worden sein.

AP · DPA · Reuters
DPA/AP/Reuters

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