Anzeige
Anzeige

"Maybrit Illner" Souveränitäts-Booster und ein neues "Wir schaffen das": Lauterbach nimmt trotz Omikron Fuß vom Panikpedal

Karl Lauterbach und Maybrit Illner im Gespräch
Gesundheitsminister Karl Lauterbach bei Maybrit Illner: Trotz Omikron - "wir schaffen das"
© Swea Pietschmann / ZDF
Karl Lauterbach in seinem zweiten Wohnzimmer: Auch als Gesundheitsminister lässt er nicht von Talkshows. Und zeigt deutlich, dass er es pandemiepolitisch besser machen will als sein Vorgänger. Statt Panik gab es Zuversicht, dass "wir das schaffen werden".
Von Sylvie-Sophie Schindler

Irgendwer überrascht? Kaum ist Karl Lauterbach im neuen Amt, sitzt er, der Sessel ist noch warm, in der nächsten Talkshow. Dabei hatte FDP-Mann Wolfgang Kubicki in Bezug auf den frisch ernannten Bundesgesundheitsminister süffisant orakelt: "Die deutsche Talkshowszene wird jetzt häufiger auf ihn verzichten müssen. So hat alles auch sein Gutes." Das sagte er in einem Gespräch mit der "Bild"-Zeitung.

"Omikron und Impfpflicht – neuer Minister, neue Sorgen?", fragt Maybrit Illner am Donnerstagabend. Sorgen? Lauterbach nimmt den Fuß vom Panikpedal. Es scheint, als hätte er mit dem Ministeramt einen Souveränitäts-"Booster" bekommen. Die Folge: mehr Besonnenheit, weniger Apokalypse. Der SPD-Politiker macht deutlich, dass man keine Zeit verlieren werde im "Kampf gegen die Pandemie". Er scheint es unbedingt besser machen zu wollen als sein Vorgänger. Und seine Zuversicht tut not: "Ich glaube, dass wir das schaffen werden und ich werde alles dafür tun." In diese Unerschütterlichkeit grätscht Journalistin Tina Hildebrandt hinein: "Auch ein Karl Lauterbach kann das Virus nicht ausschalten."

Es diskutierten:

Tobias Hans (CDU), Ministerpräsident Saarland
Tina Hildebrandt, Journalistin
Karl Lauterbach (SPD), Bundesgesundheitsminister
Viola Priesemann, Physikerin und Modelliererin
Marie-Agnes Strack-Zimmermann (FDP), Mitglied im Parteivorstand

Nach Angaben des Robert-Koch-Institus (RKI) werden in Deutschland derzeit beinahe alle Corona-Infektionen durch die Delta-Variante verursacht. Bedeutet: Noch hat die neue Virusvariante Omikron hierzulande auf das aktuelle Infektionsgeschehen keine nennenswerten Auswirkungen. Doch das kann sich rasant ändern, denn die neue Mutation soll zwar mildere Verläufe auslösen, aber, und das ist die Krux, sie scheint hochansteckend zu sein. Daher gilt, so Lauterbach: "Wir müssen unbedingt vor die Welle kommen – wenn sie denn kommt." Man dürfe nicht wieder hinterherhinken. Eine dritte Impfung sei unvermeidlich: "Nur durch Boostern sind wir vor Omikron geschützt." 

Heißt: Boostern, was das Zeug hält. Deutschland hielte ohnehin einen Rekord: "Niemand in Europa boostert so schnell wie wir." Am Vortag habe es beispielsweise 1,1 Millionen Impfungen gegeben: 90 Prozent Booster- , 10 Prozent Erstimpfungen. Gemäß Bundeskanzler Olaf Scholz sollen, wie er vor Tagen ankündigte, "bis Weihnachten bis zu 30 Millionen Impfdosen in die Oberarme". Ist das zu schaffen, Herr Lauterbach? "Es kann sein, dass wir die 30 Millionen nicht kriegen", räumt er ein. Allerdings würde das dann an der Verimpfung liegen und nicht am Vorrat: "Wir haben genug Impfstoff bis zum Jahresende."

Lauterbach: Impfstoff-Inventur, Reserve aufbauen

Bloß nicht zu spät dran sein. Dazu gehöre auch, so Lauterbach weiter, rechtzeitig vorzusorgen, er stehe mit "den Herstellern im direkten Kontakt." Eine Inventur starte am morgigen Freitag. Unter anderem würden Verträge und vorgesehene Lieferungen geprüft. Auch für genug Reserve solle gesorgt sein. Deutschland gut, alles gut? Wie in zig Talkshows bleibt auch bei Illner unerwähnt: Die Pandemie – das sagt ja das Wort – ist eine weltweite Angelegenheit. Und kann nur bewältigt werden, wenn sie auch weltweit unter Kontrolle gebracht wird.

Daher warnt die WHO seit Wochen, es dürfe keinen Impfstoffnationalismus geben; zig Länder seien unterversorgt. Pluspunkt daher für Lauterbach, dass er, wenn auch nur in einem Nebensatz, auf die internationale Impfstoffplattform Covax verweist. Dorthin wolle man spenden, wenn feststehe, "dass wir Impfstoffe nicht brauchen". Deutschland hat sich dahingehend auch bisher sehr engagiert: Das Auswärtige Amt meldete für 2021, es seien bereits über 100 Millionen Dosen Impfstoff abgegeben oder vertraglich zugesichert.

Von Viertimpfung ist die Rede – keine Ende in Sicht?

Geimpft ist allerdings nicht gleich geimpft. "Der Geimpfte von morgen ist der drei Mal Geimpfte", sagt Maybrit Illner. Doch was kommt dann? Schließlich ist bereits von Viertimpfungen die Rede – und kein Ende scheint in Sicht. Das berichtet auch Tina Hildebrandt. Sie begrüße, dass von der ersten Bund-Länder-Runde unter Kanzler Scholz ein klares Signal für die Impfpflicht gesetzt wurde. Und dass man außerdem deutlich gemacht habe, dass "es nicht aufhören wird": "Wir werden noch sehr lange in einem Stand-by-Zustand sein." Sie sagt das so, als müsse man das einfach hinnehmen. Einspruch: Journalisten müssen da mehr aufbieten.

Illner weist auf einen "löchrigen Impfschutz" hin. Wann sei denn mit einem an Omikron angepasstem Impfstoff zu rechnen und dann käme ja auch die Impfpflicht und überhaupt. "Wenn die Impflicht im März, April kommt, also ausgerechnet dann, wenn wir noch nicht mal sicherstellen, in welcher Anzahl der angepasste Impfstoff bei uns ist ...", setzt die Moderatorin an. Lauterbach erklärt, Biontech-Gründer und Chef Uğur Şahin "braucht 90 Tage", um einen Impfstoff gegen die neue Variante herzustellen. Zugleich solle man "den alten Impfstoff nicht unterschätzen".

Omikron: Genesen oder Geimpft schützt kaum vor Ansteckung

Und was ist mit den Genesenen? Keine guten Nachrichten. Auch wenn die Studienlage noch nicht abgeschlossen sei, so Lauterbach weiter, helfe der Genesenenstatus "nicht viel bei Omikron". Gerade sie würden sich "besonders schnell" infizieren, auch mehrfach Genesene. Menschen, die bisher keinen Impfschutz haben, seien außerdem noch gefährdeter. Da die doppelt Geimpften "nicht geschützt sind, was die Ansteckung betrifft", könnte es sein, dass eine mögliche Welle "schnell in die Ungeimpften reinläuft, weil die doppelt Geimpften sie übertragen." In "kürzester Zeit" seien dann "alle Ungeimpften infiziert". Lauterbach kippt zeitweise in den Panik-Lauterbach.

Für Worst-Case-Szenarios ist auch Viola Priesemann zuständig. Ihr gefalle es zwar nicht "Überbringer der schlechten Nachrichten zu sein", aber es sei wichtig, vorbereitet zu sein. Um handlungsfähig zu sein "im schlimmsten Fall". Sie macht deutlich, dass man "kurz und hart durchgreifen müsse, wenn es nötig sei". Ihre Position ist bekannt: Statt schleichenden "Lockdown light" wäre es besser, alles für eine kurze Zeit komplett runterzufahren. Denn: "Schnell sein erspart langfristigen Ärger."

FDP-Frau Strack-Zimmermann: "Lockdown nicht mehr möglich"

Marie-Agnes Strack-Zimmermann erinnert an daran: "Ein kompletter Lockdown ist nicht mehr möglich."  Mit dem Auslaufen der "epidemischen Lage von nationaler Tragweite" haben die Bundesländer weitreichende rechtliche Befugnisse verloren. Illner verweist darauf, dass es aber nicht immer hilfreich sei, um jeden Preis alles offen zu halten. Viele Restaurants hätten mit einem "schleichenden Tod" zu kämpfen. "Nein, das ist nicht so", behauptet die FDP-Frau. "Doch", setzt Tobias Hans dagegen. "Restaurants haben erhebliche Umsatzeinbußen, das wirkt sich auch auf den Handel aus." 

Einig sind sich die beiden dagegen in Sachen Impfpflicht. Denn: "Die Lage hat sich geändert." Wer dem nicht nachkomme, werde, siehe Masernpflicht, mit Bußgeldern belegt. Zudem sei die einrichtungsbezogene Covid-Impfpflicht bereits auf den Weg gebracht, sie soll an diesem Freitag den Bundestag passieren. In Bezug auf den vielfachen Wortbruch der Politiker – "Es wird keine Impfpflicht geben" – bleibt Hans allerdings nur zuzugeben, was auch für manch andere, nicht immer nachvollziehbare Entscheidung in der Pandemie gilt: "Wir haben Vertrauen verloren auf dem Weg."

Mehr zum Thema

Newsticker

VG-Wort Pixel