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Ernüchternder Lagebericht Klimarat lässt Ampel-Pläne durchfallen – kein "schlüssiges" Gesamtkonzept

Robert Habeck (l., Bündnis 90/Die Grünen), Bundesminister für Wirtschaft und Klimaschutz, und Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD)
Robert Habeck (l., Bündnis 90/Die Grünen), Bundesminister für Wirtschaft und Klimaschutz, und Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD)
© Bernd von Jutrczenka / DPA
Es ist eine Warnung von den eigenen Experten: Mit ihrem Maßnahmenpaket werde die Bundesregierung die Klimaziele für 2030 verfehlen, urteilt der Expertenrat für Klimafragen in seinem Lagebericht. Die ernüchternden Erkenntnisse im Überblick.

Inhaltsverzeichnis

Geht der Plan auf – oder bleibt die Bundesregierung hinter ihren selbst gesteckten Zielen zurück? Nach Einschätzung des unabhängigen Expertenrats für Klimafragen (ERK): definitiv Letzteres.

Demnach seien durch das "Klimaschutzprogramm 2023" zwar deutliche Emissionseinsparungen möglich, allerdings werde das Maßnahmenpaket in dieser Form nicht ausreichen, um die Treibhausgasemissionen bis 2030 um mindestens 65 Prozent zu reduzieren. Außerdem fehle ein "zusammenhängendes, in sich schlüssiges und konsistentes Gesamtkonzept", urteilt das unabhängige Wissenschaftler-Gremium.

Das von Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) vorgelegte Klimaschutzprogramm war im Juni im Kabinett beraten worden. Es soll auf Grundlage der Stellungnahme des Expertenrats überarbeitet und dann beschlossen werden.

Habeck hatte selbst eingeräumt, dass die in dem Programm enthaltenen Maßnahmen nicht ausreichen, um die deutschen Klimaziele für 2030 zu erreichen – das hat der Expertenrat nun bestätigt. Ein Grund dafür sind die massiven Rückstände bei der Emissionssenkung im Gebäude- und Verkehrsbereich, die der Klimarat nochmal gesondert geprüft hat. Auch hier fällt die Experteneinschätzung ernüchternd aus.

Beide Berichte werden am heutigen Dienstag (ab 10 Uhr) vorgestellt und liegen dem stern in vorläufiger Version vor. Die wichtigsten Erkenntnisse des Expertenrats im Überblick. 

Wie bewertet der Expertenrat das Klimaschutzprogramm? 

Mit dem Klimaschutzprogramm rücke das deutsche Klimaziel für 2030 erstmals in Reichweite, kündigte die Bundesregierung im Juni vollmundig an. "Trotzdem verbleibt eine substanzielle Zielerreichungslücke", hält das Gremium in seiner Stellungnahme fest.

Selbst bei konsequenter Umsetzung des Programms bleibe es bei einer Verfehlung von "deutlich mehr" als 200 Megatonnen CO2-Äquivalent bis 2030. Die Regierung verfolge zwar einen hohen Minderungsanspruch, gemessen am Klimaschutzgesetz sei dieser aber "unzureichend". "Die Bundesregierung legt dabei nicht dar, wie die verbleibende Differenz (…) geschlossen werden soll", kritisiert der Klimarat.

Pikant: Das Gremium beklagt, von der Bundesregierung zwar eine umfängliche, "insgesamt aber unzureichende" Datengrundlage erhalten zu haben. Eine zuverlässige Aussage über die Gesamtwirkung der Maßnahmen sei "methodisch nicht möglich". Die von der Regierung erhofften Einsparungen könne man daher "nicht bestätigen".

Dennoch gehen die Experten nach einer "Plausibilisierung" der Daten davon aus, dass selbst nach vollständiger Umsetzung des Klimaschutzprogramms "eine größere Lücke als die von der Bundesregierung ausgewiesene verbleibt". Die Gesamtminderung werde "vermutlich überschätzt". Beispielsweise sei die Umsetzung etlicher Maßnahmen mit erheblichen Unsicherheiten behaftet, zudem bleibe das Paket wegen der "fehlenden Abschätzung" von ökonomischen, sozialen und weiteren ökologischen Folgewirkungen hinter dem gesetzlichen Anspruch zurück.

Was macht der Expertenrat für Klimafragen eigentlich?

Das fünfköpfige Wissenschaftler-Gremium wurde im September 2020 unter der damaligen Großen Koalition benannt und klopft die Klimaschutzmaßnahmen der Bundesregierung auf ihre Durchschlagskraft ab. Aufgabe des unabhängigen Expertenrats ist es beispielsweise, einen Bericht zur Emissionsbilanz des Bundes vorzulegen und – wie nun geschehen – vor dem Beschluss eines Klimaschutzprogramms eine Stellungnahme abzugeben.

Und was sagt das Gremium zum Gebäude- und Verkehrssektor? 

Auch die Maßnahmen im Gebäude- und Verkehrsbereich, die bei ihren Einsparzielen massiv hinterherhinken, können die selbstgesteckten Klimaziele demnach nicht erfüllen. Der Gebäudebereich überschreite sein Budget bis 2030 um 35 Megatonnen CO2-Äquivalent, der Verkehrssektor sogar um 117 bis zu 191 Megatonnen – eine "Zielerreichungslücke, die im Vergleich zu den anderen Sektoren besonders hoch ausfällt", heißt es. Auch hier verweisen die Experten auf eine "inkonsistente Datenlage", die eine klare Abschätzung erschwere. In beiden Sektoren gehen die Experten von zu hohen Erwartungen an die Maßnahmen aus.

So dürfte im Gebäudesektor beispielsweise die GEG-Novelle, besser bekannt als das Heizungsgesetz, weit "weniger wirkmächtig" ausfallen. Der Grund, grob gesagt: Der aktuelle und mehrmals abgeschwächte Gesetzentwurf – der noch im Bundestag verabschiedet werden muss – falle mittlerweile hinter die kalkulierten Einsparungen der Bundesregierung zurück. 

Im Verkehrssektor werden die Experten deutlich: Die Maßnahmen reichten nicht aus, um auf den Zielpfad des Klimaschutzgesetzes zu gelangen. Zwar könnten Maßnahmen wie die Lkw-Maut oder das Deutschlandticket einen Beitrag zur Emissionsminderung leisten, jedoch seien viele Annahmen der Bundesregierung "optimistisch" und "möglicherweise überschätzt". Die Experten merken an, dass rund zwei Drittel der Treibhausgasemissionen im Personenverkehr entstünden, vor allem im motorisierten Individualverkehr (also auf der Straße). Die meisten Maßnahmen mit der größten Minderungswirkung zielten jedoch "fast ausschließlich" auf eine Dekarbonisierung des Güterverkehrs ab, "was als kritisch eingestuft wird". Der Klimarat spricht eine Empfehlung aus, indirekt adressiert an Verkehrsminister Volker Wissing und Finanzminister Christian Lindner (beide FDP): Ein konsequenter Ausbau und die Stärkung der ÖPNV- und Schieneninfrastruktur sei "relevant" und bedürfe einer Sicherstellung der Finanzminister. 

Wie lauten die Empfehlungen?

Der Expertenrat sieht Handlungsbedarf, etwa bei der Verbesserung der Datenlage und – wie zu erwarten – beim Erreichen der Einsparziele. Zwar lobt das Gremium "wichtige Innovationen", welche das bisherige Klimaschutz-Instrumentarium nennenswert erweitern würden, darunter auch das Heizungsgesetz in Verbindung mit der Wärmeplanung. Allerdings fehle ein "schlüssiges Gesamtkonzept".

So seien viele der geplante Maßnahmen nicht nur "noch sehr unkonkret", auch fehle ein Kontroll-Mechanismus, um die tatsächliche Realisierung der Vorhaben nachzuhalten. Der Expertenrat macht hier sogar einen "besonderen Handlungsbedarf" aus, da die Bundesregierung die einzelnen Sektorziele praktisch aufgegeben hat (s. Stichpunkt Klimaschutzgesetz). Soll wohl heißen: Der Rat plädiert (wieder) für mehr Eigenverantwortung in den einzelnen Ressorts. Die Experten gehen davon aus, dass die verbleibende Lücke zu den Klimazielen 2030 mit einer reinen Vielzahl an verschieden Maßnahmen kaum geschlossen werden kann. Vielmehr brauche es einen "übergreifenden" Rahmen.

Was wird im Klimaschutzgesetz und Klimaschutzprogramm geregelt?

Das Klimaschutzgesetz sieht eine Reduzierung der deutschen Treibhausgasemissionen von mindestens 65 Prozent bis zum Jahr 2030 (im Vergleich zu 1990) vor. Ungeachtet des Protests von Umweltverbänden hatte die Bundesregierung im Juni grundlegende Änderungen am Gesetz beschlossen:

  • Künftig soll nicht mehr jedes einzelne Ministerium für die Einhaltung der Klimaziele geradestehen müssen. Stattdessen wird das CO2-Einsparziel auf alle Bereiche gemeinsam gerechnet. Werden also in der Landwirtschaft zu viele Treibhausgase ausgestoßen, kann das durch Einsparungen im Industriesektor ausgeglichen werden.
  • Die Bundesregierung als Ganzes soll künftig entscheiden, in welchem Sektor und mit welchen Maßnahmen die zulässige CO2-Gesamtmenge bis 2030 erreicht werden soll – allerdings erst, wenn es zwei Jahre in Folge zu einer Zielverfehlung kommt.
  • Ebenso entfällt die Pflicht für betroffene Ministerien, bei Zielverfehlungen Sofortprogramme für mehr Klimaschutz vorzulegen.

Verknüpft mit dem Klimaschutzgesetz, listet das Klimaschutzprogramm rund 130 beschlossene oder geplante Maßnahmen zur Emissionsminderung auf. Diese reichen allerdings nicht aus, um das selbstgesteckte Ziel bis 2030 zu erreichen. "Wir schließen die Klimaschutzlücke, die die Vorgängerregierung uns hinterlassen hat, um bis zu 80 Prozent", räumte Wirtschaftsminister Habeck ein. Der Expertenrat hat Habecks Annahme nun bestätigt – wenngleich das Gremium von einer größeren Lücke ausgeht.  

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