Koalition Riss in der Beziehungskiste

Gerhard Schröders Rücktritt als SPD-Vorsitzender hat den Groß-Grünen Joschka Fischer kalt erwischt. Das vergisst er dem Kanzler nie. Ein neuer Tiefpunkt in der von Macht und Rivalität beherrschten Männerfreundschaft.

Kein Zweifel, die Show ist immer noch gut. Berlin, Deutscher Bundestag, ein Freitag im Februar. Rot-Grün regiert. Gerhard Schröder steht im Saal, er hat eine Hand lässig auf die Regierungsbank gelegt und plaudert mit Otto Schily. Plötzlich taucht Joschka Fischer auf, grau gescheitelt, in dunklem Tuch. Man reckt sich, man streckt sich, Brust raus, die Hände in den Hosentaschen. Der Kanzler und sein Vize lassen sich in ihre Sessel fallen.

Dahinter haben Ulla Schmidt und Peter Struck ihre Plätze. Aber das ist nur die zweite Reihe, und die zweite Reihe ist schon ziemlich weit weg. Fischer hebt den Zeigefinger und erklärt dem Kanzler etwas. Schröder macht Witze. Nur Otto Schily darf ein bisschen mitscherzen, sonst wagt sich keiner so richtig ran. Wer es dennoch versucht, wie Guido Westerwelle, der wird wieder weggeschickt.

Die Männerherrschaft von Gerd und Joschka

Es ist Demokratie. Aber es ist auch Herrschaft, die Männerherrschaft von Gerd und Joschka. Es ist der Pakt, der immer gehalten hat. Der Pakt, der die rot-grüne Macht im Innersten zusammenhält.

Hinter den Kulissen freilich geschehen Dinge, die zu diesem Bild nicht passen, seit Wochen schon. In Wörlitz hockt Joschka Fischer vor seinen grünen Fraktionskollegen und sagt, die Sache mit den Elite-Unis, ausgebrütet von der SPD, sei Quatsch. Allein schon das Wort "Elite", wie man darauf kommen könne, das sei "ja wohl kein sozialdemokratischer Begriff". Die SPD müsse jetzt "das Gerechtigkeitsthema zurückerobern".

Im Kanzleramt können Schröder und Fischer gerade noch an sich halten, bis Italiens Berlusconi ordnungsgemäß verabschiedet ist. Dann kommt es zu lautem Streit über den Export der Hanauer Atomfabrik nach China. Fischer ist sauer, weil der Kanzler das heikle Geschäft vor laufender Kamera praktisch schon genehmigt hat. Schröder wirft Fischer vor, dass er seine Grünen nicht im Griff hat.

Dann schmeißt Schröder seinen Parteivorsitz hin. Er plant das seit Monaten, bespricht sich mit Doris und Franz Müntefering, aber nicht mit Joschka. Der wird von ihm am Telefon in Kenntnis gesetzt - zwei Stunden vor der Pressekonferenz. Als Oskar Lafontaine zurücktrat, musste Fischer noch in Jogginghose direkt vom abendlichen Dauerlauf ins Kanzleramt traben - so dringend gefragt war damals sein Rat.

Collage mit Porträts von Merz, Klingbeil, Söder und Reiche

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Szenen einer Entfremdung

Es sind Szenen einer Entfremdung, und sie häufen sich. Etwas hat sich geändert, Fischer weiß noch nicht genau, was. Macht abgeben, so wie Schröder es jetzt getan hat - das verstößt jedenfalls gegen alle Grundregeln, die diesen Männerbund von jeher zusammenschweißen.

Direkt nach Schröders Abgang sprach Fischer im engsten Kreis von einem Fehler, den der Kanzler gemacht habe, von Schwächung, es sei "alles Scheiße". Dann bestellte er per Handy Journalisten ein, die von der Rücktrittspressekonferenz kamen, um sich deren Weltsicht erklären zu lassen. Das macht er immer, wenn er das Gefühl hat, dass er neu Witterung aufnehmen muss.

Es ist schwer herauszubekommen, was wirklich los ist zwischen diesen beiden Männern. Überall viel sagende Blicke und hochgezogene Augenbrauen. Je näher man kommt, desto ausweichender die Antworten. Man spürt: Wer sich dieser Beziehung nähert, der nähert sich dem pochenden Herz von Rot-Grün.

Eine merkwürdige Mischung aus Kalkül und Rivalität kettet die beiden zusammen. Grundiert wird die Beziehung von Neid (Schröder) und Herablassung (Fischer). Und an immer neuen Themen wird die uralte Frage durchgespielt, die beide schon vor Jahren in einem stern-Interview als eigentliche Frage für sich entdeckten: Wer ist Koch - und wer Kellner?

Ein Paartherapeut hätte gut zu tun. Wenn Fischer eine freundliche Presse bekommt, empfängt der Kanzler ihn im Kabinett mit dem Gruß: "Na, da kommt er ja, unser heimlicher Kanzler!" Wenn Schröder im Wahlkampf, von historischer Kenntnis unbelastet, über den "deutschen Weg" fabuliert, sitzt Fischer in seinem Büro, schlägt die Hände vors Gesicht und sagt: "Es ist so furchtbar!"

In der "Todeszone der Politik"

Eigentlich weigert sich Fischer, über Schröder zu reden. Er sagt immer: "Über meinen Chef sage ich nichts." Dann schweigt er lange. Und dann beugt er sich vor und guckt einem aus 30 Zentimetern in die Augen. Er redet von der "Todeszone der Politik", in der ein Bundeskanzler lebt. Die "Todeszone" ist für Fischer da, wo kaum noch Sauerstoff ist, wo nur die Besten und Stärksten überleben. Als er selber hochkletterte, sah er überall Politiker, die es nicht geschafft hatten, "die tot und festgefroren in ihren Seilen hingen".

Fischer, das Machttier, hat einen Höllenrespekt vor dem Amt des Bundeskanzlers. Aber das muss noch nicht heißen: vor Schröder. Vielleicht ist es so, dass Fischer Schröder immer nur als Bundeskanzler geachtet hat. Aber nie ganz einfach nur - als Schröder. Und vielleicht ist es so, dass Schröder das auch weiß.

Jahrelang regierte das spannungsgeladene Duo Deutschland fast allein. Wenn es Streit gab bei Rot-Grün, dann warfen sie sich kleine Zettelchen zu. Andere durften auch mal was sagen, aber wenn richtig Krach drohte, sagte Gerd: "Komm, Joschka, lass uns mal hochgehen." Oben regelten die beiden dann die Sache unter sich.

Die große Gerd-und-Joschka-Show

Manchmal hatten sie sogar vorher schon am Telefon die Einigung festgelegt. Das Fußvolk durfte dann unter ihrer Aufsicht noch ein wenig streiten - schließlich wurde der Kompromiss verkündet. Es war die große Gerd-und-Joschka-Show. Es war eine Art Doppelmonarchie. Es war für alle Beteiligten ziemlich einfach - aber auch ein bisschen würdelos.

Die waren eine gut geölte Machtmaschine - doch menschlich haben sie wohl nie so richtig zueinander gefunden. Während des Afghanistan-Krieges ließen sie sich zwar wieder und wieder im Berliner Kanzleramt vor abgedunkelten Kulissen ins Bild setzen: zwei Staatsmänner im vertraulichen Gespräch, vereint in der Einsamkeit der historischen Verantwortung.

Das Misstrauen des Machtmenschen

Aber hinter diesen Bildern steckte wohl immer mehr Inszenierungsbedürfnis als wirkliche Nähe. Schröder und Fischer sind Machtmenschen - und das Misstrauen des Machtmenschen schläft nie. Sie beobachten sich ständig. Sie umschleichen sich wie zwei Katzen.

Fischer kann im Bundestag mitreißende Reden über Gerechtigkeit halten. Die Reden sind so furios, dass es die SPD-Abgeordneten manchmal von den Sitzen reißt. Danach sagt Fischer: "Ich kann auch sozialdemokratische Reden halten." Das klingt für Schröder schon fast bedrohlich.

Er hat nicht vergessen, wie das war, als er mit seinem Joschka in der Nacht nach der letzten Bundestagswahl im Willy-Brandt-Haus auf die Bühne kletterte. "Joschka! Joschka!", riefen die Genossen. Es war Fischer, der dem halb toten rot-grünen "Projekt" im Wahlkampf noch mal Leben und Sinn eingehaucht hatte, das spürten die Genossen - und nicht Schröder, mit dem sie immer gefremdelt hatten. Mit jedem "Joschka! Joschka!" trafen sie Schröders wundesten Punkt.

Immer wieder die alte Frage nach Koch und Kellner, immer wieder Macht, Macht und nochmals Macht - aber nie Kumpanei oder sogar Wärme. Irgendwie fehlt es am Unterfutter der Beziehung. Sogar die Geschichten von gemeinsam durchlittener Opposition in den elend langen Kohl-Jahren, von bierseligen Nächten in der Bonner Polit-Kneipe "Provinz", taugen bei näherem Hinsehen nicht als Gründungsmythos einer langen Freundschaft.

"Irgendwie hat der nicht genug Substanz"

Das Kanzleramt lag gleich gegenüber, sie "wollten den Dicken wegkriegen", wie sie damals sagten. Kohls Ende - das war ihr Projekt. Ansonsten aber gab es wenig Verbindendes. "Der ist arrogant, der überschätzt sich", sagte Schröder über Fischer. Wenn Fischer zum großen Vortrag anhob, spottete der Niedersachse: "Leute, seid mal alle ruhig, jetzt hat er wieder was Wichtiges mitzuteilen." Fischer hingegen analysierte schon damals kühl: "Ich weiß nicht, ob der Gerd wirklich Format hat. Irgendwie hat der nicht genug Substanz."

Beide kommen aus kleinen Verhältnissen. Aber Fischers Vater war immerhin Metzgermeister - Schröders Vater fiel im Krieg, und seine Mutter war Putzfrau. Fischer wuchs in einer Dreizimmerwohnung auf, Schröder in einer Baracke. Der Kanzler musste sich über den zweiten Bildungsweg durch die Gesellschaft richtiggehend nach oben fräsen - Fischer ging aufs Gymnasium. Der Grüne bringt eine bürgerliche Grundausstattung mit, die Schröder fehlt, und der Vorsprung ist uneinholbar. Daran wird Schröder immer wieder erinnert, wenn Fischer im Kanzleramt zu seinen klugen Vorträgen ansetzt.

Lange Zeit hielt Fischer nicht viel von Schröder, aber umso mehr von Oskar Lafontaine. Lafontaine las Bücher, er verstand was vom Essen, er hatte Kultur - vielleicht sogar mehr als Fischer selbst. Irgendwann erinnerte Jürgen Trittin Fischer an das gemeinsame Projekt: "Joschka, wir müssen es mit Gerd machen, der Oskar sammelt die politische Mitte nicht ein."

Das sah Fischer auch so. Aber er konnte Lafontaine nie vergessen - sogar als Schröder schon längst Kanzler war. Als Oskar Partei- und Ministeramt hinschmiss, war Fischer völlig fassungslos. Er versuchte noch tagelang, Oskar ans Telefon zu bekommen. Lafontaine ist Joschka Fischers große verschmähte politische Liebe. Schröder ist seine Zweckbeziehung zur Wahrung des beiderseitigen Vorteils.

Wenn Schröder zu später Stunde im Koalitionskreis einen guten Rotwein hervorholt, hält sich der Wassertrinker Fischer meist im Hintergrund. Der Kanzler unterhält seine Runde gern mit Testfragen aus der Welt des Fußballs, er will dann wissen: "Wer war 1970 in Mexiko der dritte Torwart im deutschen Aufgebot?" Sein Vize redet lieber vom "Grand Design" der deutschen Außenpolitik. Ab und zu gibt Fischer auch Lektüreempfehlungen.

Grundgefühle von Neid und Herablassung

Natürlich reden die beiden heute nicht mehr so direkt übereinander wie damals in der "Provinz". Sie sind Kanzler und Vizekanzler, dadurch wird die Beziehungskiste sozusagen protokollarisch veredelt. Aber die alten Grundgefühle von Neid und Herablassung - sie sind immer noch da. Sie suchen sich nur neue Themen.

Das Schlimme ist: Seit Schröder mit der "Agenda 2010" die Grundsanierung des Landes in Angriff genommen hat, häufen sich die Themen - und die politische Zugewinngemeinschaft, die Fischer und Schröder so lange miteinander verbunden hat, gerät in Schieflage.

Der Kanzler muss sich durch Rentenkürzung und Praxisgebühr, Ausbildungsabgabe und Subventionsabbau ackern. Er schuftet richtig im Kohlenkeller der Politik. Für Schröder ist das eine geradezu zynische Konstellation. Das Kind aus der Barackensiedlung muss auch noch als Kanzler dahin, wo man sich dreckig macht. Der Bürgerzögling Fischer aber ist fein raus - er glänzt durch Friedensmissionen im Nahen Osten.

Praxisgebühr gegen "Grand Design" - es ist ein ungleicher Kampf. Einsam thront der Außenminister auf Platz eins der Beliebtheitsskala, während der Kanzler nach hinten durchgereicht wird. Und immer öfter hört man in der SPD: "Joschka macht sich 'nen schlanken Fuß."

Unfassbar: Sie geben Macht ab

Jetzt aber passiert das Unfassbare: Sie geben Macht ab. Die beiden lassen los, zum ersten Mal. Schröder lässt die SPD los, aber auch Fischers Griff um die Grünen lockert sich. Offen reden seine Parteifreunde über Koalitionen mit der CDU - früher ein Ding der Unmöglichkeit. Und immer öfter redet der alte Patriarch von der "jüngeren Generation".

Andere dringen in die Räume vor, die jetzt frei werden. Es ist ein faszinierender Vorgang, und er ist nicht ohne Ironie. An ihren Parteien vorbei, oft sogar in offener Verhöhnung derselben haben Schröder und Fischer Karriere gemacht. Sie waren zwei bindungslose Solitäre, mehr Kinder der Medien- als der Gremiendemokratie. Als sie ganz oben angekommen waren, wirkte es manchmal so, als gäbe es Rote und Grüne gar nicht mehr - nur noch Schröder und Fischer.

Jetzt weichen sie zurück - und die lange Zeit so alt aussehenden Partei- und Fraktionsapparate holen sich ihre Macht zurück - die Münteferings, Bütikofers und Göring-Eckardts.

Abenddämmerung über dem Männerbund

Schröder und Fischer aber, die beiden ewigen Außenseiter, treiben wie zwei losgerissene Fesselballons über die politische Landschaft. Schon kann sich die vornehme "Zeit" Fischer als "rüstigen Ehrenvorsitzenden" der Grünen vorstellen. Es herrscht Abenddämmerung über dem Männerbund, der die politischen Fantasien und Leidenschaften dieser Republik so lange für sich eingenommen hatte.

Doch noch im Abgang überschneiden sich die Wege. Wenn Schröder sagt, er wolle künftig mehr Zeit für "internationale Verpflichtungen" haben, muss das für den Chefdiplomaten wie eine Drohung klingen. Wie alle alternden Kanzler findet auch Schröder mehr und mehr Gefallen an der Außenpolitik. Die Beziehungen zu Frankreich, Russland und China sind schon jetzt "Chefsache". Mit der Abgabe des Parteivorsitzes klettert Schröder aus dem Kohlenkeller der Politik in die lichten Höhen des "Grand Design". Dahin, wo Fischer seit Jahren schon breitbeinig sitzt.

Vielleicht geht das gut. Sie haben es ja schon so lange miteinander ausgehalten. Aber die Politik kennt auch große Trennungsdramen. Und Joschka Fischer hat einmal gesagt: "Rache ist eine Speise, die kalt gegessen wird."

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Tilman Gerwien