Die Stimmung in den schwarz-gelben Koalitionsverhandlungen ist gereizt. Es geht immerhin am heutigen Sonntag um die Steuer- und Haushaltspolitik der kommenden vier Jahre. Dieser Bereich ist inzwischen das Hauptstreitthema zwischen den drei Parteichefs Angela Merkel (CDU), Horst Seehofer (CSU) und Guido Westerwelle (FDP). Von der Klärung dieser Frage hängen die meisten anderen noch ungelösten Konfliktpunkte der geplanten Koalition ab.
FDP-Generalsekretär Dirk Niebel äußerte sich am Sonntag in einer Verhandlungspause zuversichtlich. "Heute können alle drei Parteien und die Bürger zu echten Wahlsiegern werden", sagte er. Der CSU-Vorsitzende Horst Seehofer sagte: "Ich sehe das Gipfelkreuz und sehe den Weg bis dahin."
Am Samstag - in der großen Verhandlungsrunde mit 27 Teilnehmern - hatte der niedersächsische Regierungschef Christian Wulff (CDU) für einen Eklat gesorgt. Er griff die Steuersenkungspläne der FDP heftig an und verlangte eine solide Gegenfinanzierung. Er könne als Ministerpräsident Steuerentlastungen nur zustimmen, wenn die fehlenden Einnahmen ausgeglichen werden. Als "inakzeptabel" oder "steuerpolitischen Blindflug" kritisierte Wulff die liberalen Pläne. Als Ministerpräsident könne er im Bundesrat so etwas nicht mittragen. FDP-Chef Guido Westerwelle verwies nach Angaben von Teilnehmern auf die Vorschläge der Liberalen zur Gegenfinanzierung. Für die FDP seien Steuerentlastungen und eine Steuerreform Bedingungen für eine Koalition. Strittig ist der Umfang von Entlastungen. Die Union hat ein Volumen von 20 Milliarden Euro angeboten, die FDP strebt 35 Milliarden Euro an.
Merkel muss moderieren
Kurze Zeit nach dem Streit, als ein Großteil der künftigen Koalitionäre den Tagungsort verließ, ging Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Jürgen Rüttgers auffallend deutlich auf die Steuerpolitik ein. Der CDU-Vize sprach von seriöser Finanzierung und nicht beantworteten Fragen. "Wir wollen ja auch keine Steuersenkungen, die nicht gedeckt sind." Es war nicht das erste Mal, dass es in der Union Warnungen gibt vor überzogenen Steuerplänen.
Die FDP-Forderung nach Entlastungen und großer Steuerreform liegt seit langem auf dem Tisch. Der Warnschuss des CDU-Vizes Wulff sei eigentlich an die Adresse von Kanzlerin Angela Merkel gerichtet gewesen, in den anstehenden Runden mit dem CSU-Vorsitzenden Horst Seehofer und Westerwelle nicht zu nachgiebig zu sein, mutmaßten manche aus der Runde. Merkel löste den unerwarteten Konflikt auf ihre Art: Sie habe Stellvertreter im Parteivorsitz, die sich offenbar in Partei- und Ministerpräsidenten-Amt spalteten. Dass es Steuerentlastungen geben müsse, sei nicht strittig, gaben Teilnehmer wieder.
Teilnehmer verbreiten Optimismus
Dass die Nerven der schwarz-gelben Unterhändler nach den stundenlangen Verhandlungen in vielen kleineren und größeren Runden inzwischen blank liegen, zeigte sich an diesem Klausurwochenende auch an anderer Stelle. Selbst der sonst eher friedlich wirkende FDP-Unterhändler Philipp Rösler, der mit der Union über den Gesundheitsfonds stritt, verlor die Geduld. Im Autoradio hörte er, dass Verhandlungspartnerin Ursula von der Leyen (CDU) verkündet habe, der Gesundheitsfonds bleibe. In Berlin angekommen, stellte der hannoversche Vize-Ministerpräsident die Noch-Familienministerin lautstark zur Rede. Von der Leyen ruderte zurück: Was längerfristig aus dem Gesundheitsfonds werde, sei noch nicht sicher. Die erklärte Bereitschaft der "Wunschpartner", bald eine Koalition zu bilden, steht aber nicht in Frage.
FDP-Generalsekretär Dirk Niebel ist sicher, dass die - wie er es formulierte - "Mund-zu-Mund-Beatmung" in den Chefgesprächen an diesem Wochenende letztlich zum Erfolg führe. Der Fahrplan dafür steht. Möglichst bis kurz vor den geplanten Parteitagen von CDU, CSU und FDP in rund einer Woche sollen die letzten Streitpunkte noch offen bleiben, damit die Ergebnisse öffentlich nicht zerredet werden. Die neue Koalition - so der Plan der Parteistrategen - soll von Anfang an Handlungsfähigkeit demonstrieren. Die Rempeleien würden nur Episode bleiben - die neuen Koalitionäre seien schließlich Profis, wurde am Wochenende allenthalben versichert.