Es hätte ein Tag sein können, an dem die Ampel-Koalition Harmonie und Einigkeit ausstrahlt. Durch eine Reihe von Beschlüssen, die geräuschlos und geeint vom Kabinett durchgewunken werden. Ohne öffentlichen Streit, gegenseitige Blockaden oder sonstige Rauflust – all das wollten die Regierenden hinter sich lassen.
So gesehen ist der erhoffte Neuanfang grandios missglückt (den Kommentar dazu lesen Sie hier). Die Ampel meldet sich allmählich aus der Sommerpause zurück und setzt nahtlos da an, wo sie aufgehört hat: Es herrscht wieder Krach statt Konsens in der Koalition, aller Selbstbeschwörung zum Trotz. Ist die Erzählung von der Fortschrittskoalition nur noch ein Märchen?
Eine "kon-struk-tive" Zusammenarbeit
Mittwochmittag, Bundespressekonferenz. Es ist 12.33 Uhr und Zeit für eine "langfristige Wende in der deutschen Drogenpolitik". Eigentlich. Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) stellt der Hauptstadtpresse das Cannabisgesetz vor, das eben das Kabinett passiert hat und die Teillegalisierung von Marihuana und Haschisch vorsieht. Kiffen nach Vorschrift. Der Beschluss leitet tatsächlich einen Paradigmenwechsel im Umgang mit Rauschmitteln ein. Aber Begeisterung klingt anders.
Das Vorhaben ist umstritten (mehr zu dem Beschluss und der Kritik lesen Sie hier), daran lässt selbst Lauterbach keinen Zweifel. Der Minister referiert ausführlich über die Risiken des regelmäßigen Cannabisgenuss‘, insbesondere für Jugendliche und Kinder, den stetig steigenden Zahlen bei Konsum und Kriminalität. Und genau damit sei von nun an Schluss. Eine Reihe von Regeln und Auflagen sollen dafür sorgen, dass es weniger Süchtige, weniger Straftäter und weniger Arbeit für Behörden gibt. Und nach einer groß angelegten Social-Media-Kampagne würde sowieso "jeder junge Mensch wissen", dass regelmäßiger Konsum keine gute Idee sei.
Nach Lauterbachs Vortrag hat man beinahe den Eindruck, die bisherigen Regeln sollen nicht gelockert, sondern verschärft werden.
Dabei galt die Liberalisierung der Drogenpolitik zu Beginn der Legislaturperiode noch als ein Gewinnerthema der Ampel. Nach allerhand rechtlichen Bedenken – auch vonseiten der Europäischen Union – und wachsender Skepsis in der Bevölkerung, ist davon nicht mehr viel übrig. Die Teillegalisierung wurde mit einem engen Vorschriften-Korsett versehen. Von Lauterbachs Auftritt geht weniger das Signal eines Aufbruchs aus, es wirkt eher wie eine Flucht nach vorne.
Immerhin sei die Arbeit am Gesetz – ganz acht Ressorts waren beteiligt – wirklich "gut" gewesen, so richtig "kon-struk-tiv", betont Lauterbach jede Silbe, damit daran auch ja keine Zweifel aufkommen. Kurzum: "Eine gute Zusammenarbeit, die ich mir auch in anderen Bereichen der Ampel vorstellen könnte", sagt er.
Man ahnt, auf welche "Bereiche" er damit abzielen könnte.
Krach in der Ampel-Koalition – oder alles halb so wild?
Um 11.28 Uhr, wenige Minuten vor Lauterbachs Zeitenwende in der Drogenpolitik, läuft über die Nachrichtenagenturen eine Schlagzeile, die den Rest des Tages bestimmen wird.
Die grüne Bundesfamilienministerin Lisa Paus hat kurz vor knapp ihr Veto beim sogenannten Wachstumschancengesetz eingelegt, ausgerechnet beim Lieblingsprojekt ihres Kabinettskollegen Christian Lindner (FDP) also. Ein Beschluss in der Kabinettssitzung am Mittwochmorgen war somit nicht möglich. Berichten zufolge soll Paus ihre Zustimmung an höhere Mittel für die von ihr vorgeschlagene Kindergrundsicherung geknüpft haben.
Ergebnisse statt Blockaden? Fehlanzeige.
Darauf angesprochen, beschwichtigt Kabinettskollege Lauterbach: Es handle sich beim Wachstumschancengesetz nun mal um ein "wichtiges und komplexes" Vorhaben. Mit anderen Worten: Gut Ding will Weile haben, alles halb so wild?
Normal ist an diesem Tag jedenfalls nichts. Direkt im Anschluss an Lauterbachs Pressekonferenz sollte eigentlich Finanzminister Lindner seinen großen Auftritt haben, um, nun ja, sein Wachstumschancengesetz vorzustellen. Der Termin wurde kurzfristig abgesagt, die Regierungspressekonferenz vorverlegt. Statt Lindner nehmen um 14.00 Uhr also die Vize-Regierungssprecherin sowie die Sprecherinnen und Sprecher der einzelnen Ministerien vor der blauen Wand der Bundespressekonferenz Platz.
Für Christiane Hoffmann dürften die Umstände gleich doppelt unangenehm sein. Die Vize-Regierungssprecherin hat viel zu erklären und ausgerechnet an diesem Chaos-Tag mit ihrer Stimme zu kämpfen. Hoffmann muss sich immer wieder räuspern, während sie – wie nach Kabinettssitzungen üblich – zunächst die Beschlüsse en détail vorstellt. Es dauert fast 40 Minuten, bis der Elefant im Raum zur Sprache kommt: das Wachstumschancengesetz, das nicht beschlossen wurde.
Die Sprecher sind sichtlich bemüht, den neuerlichen Streit in der Ampel-Koalition herunterzuspielen. Auch Vize-Regierungssprecherin Hoffmann lobt den "sehr sachlichen Ton in der Auseinandersetzung". Da hatte FDP-Vizechef Wolfgang Kubicki sich schon längst zur Aussage hinreißen lassen, dass die Blockade von Familienministerin Paus "einfach nur dumm" sei.
Hoffmann versucht pflichtschuldig, die Dissonanzen zur gemeinsamen Linie umzudeuten. So habe sich die Bundesregierung "gemeinsam" verständigt, "so wichtige" Vorhaben auf der Kabinettsklausur auf Schloss Meseberg Ende August zu beschließen. Dort wolle die Ampel einen wirtschaftspolitischen Schwerpunkt setzen. Die Kindergrundsicherung? Klar, auch darum werde angesichts der "knappen Haushaltslage" gerungen – das sei doch eine "Selbstverständlichkeit". Einstweilen möge man sich doch auf die "Fülle" an Vorhaben konzentrieren, die das Kabinett bereits beschlossen habe. "Fast rekordverdächtig" sei das, sagt Hoffmann. Den "Durchstart" der Ampel sieht sie durch die Querelen auch nicht verhindert. Diese Regierung habe bewiesen, dass sie ihre Arbeit vorantreiben wolle.
Daran kann man nach diesem Tag zweifeln. Um 15.13 Uhr hat Hoffmann es geschafft, die Regierungspressekonferenz ist beendet. Für die Ampel-Koalition geht es jetzt erst richtig los.