Landtagswahl in Sachsen Gewonnen haben nur die Nichtwähler

Verstehe einer die Sachsen! Forsa-Chef Manfred Güllner über das Abschneiden der AfD, die Bindekraft der CDU und die extrem niedrige Wahlbeteiligung.

Herr Güllner, wer sind die Gewinner der Sachsen-Wahl?
Gewinner gibt es nicht, wenn wir mal von den 51,5 Prozent Nichtwählern absehen. Die Parteien konnten ihr Potenzial nicht ausschöpfen - mit Ausnahme der Parteien am rechten Rand. Aber auch die haben ja nicht mehr Stimmen als bei der vergangenen Bundestags- oder Europawahl bekommen, sondern nur ihre Anhängerschaft mobilisieren können. Und die SPD, die im Vergleich zur Landtagswahl 2009 zwei Prozent hinzugewann, hat, im Vergleich zur Bundestagswahl im vergangenen Jahr, 138.000 Stimmen weniger bekommen.

Hat diese Landtagswahl tatsächlich die Koordinaten des politischen Systems in Deutschland verändert, wie es kommentiert wurde?


Das halte ich für weit übertrieben, denn wir haben auch schon bei früheren Wahlen hohe Stimmenanteile für Parteien am rechten Rand gehabt. In Sachsen hatte die NPD schon 2004 rund 190.000 Stimmen, und NPD und AfD schnitten auch bei der Bundestagswahl und bei der Europawahl ähnlich ab wie jetzt, ohne dass sich das auf das gesamte politische Spektrum in Deutschland ausgewirkt hätte. Das wird wahnsinnig überzeichnet, denn auch schon früher gab es rechtsradikale Parteien in Landtagen - ob das die Schönhuber-Republikaner waren, die 1992 mit fast zehn Prozent in den baden-württembergischen Landtag kamen, oder ob das in den 60er Jahren die NPD war, die damals in einigen Landtagen saß, oder die DVU, die 1987 zum ersten Mal in die Bremer Bürgerschaft einzog. Das alles hat nicht dazu geführt, dass das politische Koordinatensystem nachhaltig tangiert worden wäre.

Die AfD, heißt es, habe aus dem Stand fast zehn Prozent der Wähler gewinnen können.
Das hat mich schon am Wahlabend gewundert, als in einer öffentlich-rechtlichen Anstalt von einem "Paukenschlag" gesprochen wurde. Wenn man sich das Ergebnis auf der Basis der gültigen Stimmen anschaut, lag die AfD bei der Europawahl in diesem Jahr schon bei über zehn Prozent in Sachsen. Jetzt hat sie sogar vier Zehntel weniger bekommen - das als "Paukenschlag" zu bezeichnen, ist schon erstaunlich. Die absoluten Zahlen für die AfD in Sachsen waren im Übrigen auch bei der Bundestagswahl im vergangenen Jahr schon ähnlich hoch. Wer also nun von einem "Paukenschlag" bei einer exakt gleich niedrigen Wahlbeteiligung wie bei der Europawahl redet, hat einfach die Wahlhistorie ausgeblendet und sollte als Moderator besser abgelöst werden.

Woran lag es, dass über die Hälfte der sächsischen Wähler nicht zur Urne gegangen sind?


Sicherlich nicht am Wahltermin oder am schlechten Wetter, wie gemutmaßt wurde. Als wir in zwei großen Studien die Nichtwähler befragt haben, spielten solche Gründe so gut wie keine Rolle. Das ist eine nachlassende Bindekraft der demokratischen Parteien, die sich auch in Sachsen wieder gezeigt hat. Diese Bindekraft ist mit Personen durchaus noch zu erreichen, wie man bei der vergangenen Bundestagswahl gesehen hat - da hat Angela Merkel noch fast eine Million Wähler für die CDU mobilisiert, jetzt sind es 350.000 weniger. Auch die SPD ist nur von sechs von 100 Wahlberechtigten gewählt worden, weil sie keine Bindekraft entfalten konnte. Die Parteien sollten deshalb nicht nur am Wahlabend oder am Montag nach der Wahl darüber nachdenken, welchen Bedeutungsverlust sie haben und was man tun müsste, um die vielen Nichtwähler, die ja wählen möchten, wieder zur Urne zu bringen.

Läutet jetzt das Totenglöckchen für die FDP?
Die FDP war ja auch in der Vergangenheit schon in vielen Landtagen nicht vertreten. Das spielt eher keine Rolle für das bundesweite Überleben dieser Partei. Es wäre heute noch zu früh, das endgültige Aus der FDP vorherzusagen. Ihr Schicksal entscheidet sich bundesweit dadurch, ob sie dem klassischen Mittelstand, also ihrer eigentlichen Wählerklientel, klar machen kann, dass eine liberale Partei gebraucht wird. Wenn ihr das nicht gelingt, hat sie auch 2017 keine Chance, wieder in den Bundestag einzuziehen. Wenn ihr das aber gelingt - was angesichts der Politik dieser Großen Koalition für diese Klientel möglich sein müsste -, hat sie noch eine Chance.

Interview: Werner Mathes