Durchsuchungen bei Letzte Generation Von "maßlos überzogen" bis "staatliche Pflicht": So sieht die Presse die Razzia gegen die Klima-Aktivisten

Razzia gegen die Letzte Generation: Polizisten sichern nach einer Hausdurchsuchung in Berlin-Kreuzberg Beweismaterial.
Razzia gegen die Letzte Generation: Polizisten sichern nach einer Hausdurchsuchung in Berlin-Kreuzberg Beweismaterial.
© Christoph Soeder / DPA
Weil die Letzte Generation eine kriminelle Vereinigung sein soll, hat die Generalstaatsanwaltschaft München Wohnungen der Klima-Aktivisten durchsuchen lassen. Die Presse ist über das Vorgehen geteilter Meinung.

Mit einer Großrazzia in sieben Bundesländern sind Polizei und Staatsanwaltschaft am Mittwoch gegen die Klimaschutzgruppe Letzte Generation vorgegangen. Rund 170 Beamte durchsuchten ab dem frühen Morgen 15 Wohnungen und Geschäftsräume. Der Tatvorwurf lautet auf Bildung beziehungsweise Unterstützung einer kriminellen Vereinigung. Festnahmen gab es zunächst nicht.

Ermittelt wird nach Angaben der Generalstaatsanwaltschaft München und des bayerischen Landeskriminalamtes gegen sieben Beschuldigte. Zwei von ihnen stünden im Verdacht, im April 2022 versucht zu haben, die Öl-Pipeline Triest-Ingolstadt zu sabotieren, die Bayern versorgt. Zentraler Vorwurf der Polizei und Staatsanwaltschaft ist, dass die sieben Beschuldigten eine Spendenkampagne zur Finanzierung weiterer Straftaten organisiert haben sollen. So seien mindestens 1,4 Millionen Euro eingesammelt worden. Woher das Geld stamme, sei Gegenstand der Ermittlungen. Wie viel beschlagnahmt wurde, sagte die Polizei nicht. Gesucht wurde demnach auch nach "Beweismitteln zur Mitgliederstruktur".

So kommentiert die Presse die Razzia gegen die Letzte Generation:

"Leipziger Volkszeitung": "Was die Letzte Generation macht, ist Erpressung. Diese kleine Gruppierung nimmt eine breite Masse in Mithaftung für politische Versäumnisse, anstatt sie mitzunehmen, um gegen politisches Versagen anzukämpfen. Sie ignoriert, dass viele Menschen weder Zeit noch Geld noch den Willen haben, so wie sie Forderungen zu stellen oder sich auf die Straße zu kleben. Und es stimmt nicht, dass die Klimaschutzbewegung Fridays for Future (FFF) mit ihrem friedlichen Protest erfolglos ist und deshalb Methoden verschärft werden müssten. Die hat das Bewusstsein der Menschen längst verändert."

"Weser-Kurier" (Bremen): "Ja, sie nerven. Und ja, sie begehen auch Straftaten. Trotzdem sind die von der bayerischen Polizei bundesweit organisierten Razzien gegen Anhänger der Letzten Generation maßlos überzogen. Die Beschuldigten sind namentlich bekannt, die ihnen vorgeworfenen Delikte ebenso. Bei den Ermittlungen hätte man also ohne Risiko auch drei Gänge runterfahren und auf spektakuläre Aktionen verzichten können. So aber drängt sich der Verdacht auf, die Klimaaktivisten – und nicht etwa die Klimakrise selbst – sollen als eine der größten Gefahren für diesen Staat hochstilisiert werden."

"Neue Osnabrücker Zeitung": "Gesetze brechen für die vermeintlich gute Sache? Da haben die Täter schnell den Spruch 'Der Zweck heiligt die Mittel' zur Hand und glauben, ihre moralisch gefühlt höheren Werte rechtfertigten ihre Regelverstöße. Doch der Spruch stammt nicht etwa von Greta Thunberg, sondern vom italienischen Philosophen Niccolò Machiavelli, und der war bekanntlich alles andere als ein Verfechter höherer moralischer Werte, wenn auch gern mal missverstanden."

"Badische Zeitung" (Freiburg): "Kriminelle Vereinigung – das ist ein hartes Wort für eine Gruppe zumeist jüngerer Menschen, die glauben, sie gehörten der letzten Generation an, die die Welt vor dem Klima-Kollaps noch bewahren könne. Jener fraglos hehre Zweck heiligt für ihre Mitglieder nicht alle Mittel. Aber doch: Sachbeschädigung, Nötigung, Hausfriedensbruch, womöglich auch Sabotage an Pipelines. Die Schikane von Autofahrern unter Inkaufnahme blockierter Rettungsfahrzeuge kommt noch hinzu, ebenso das Missachten der Demokratie. Deshalb braucht sich die Gruppe nicht zu wundern, wenn eine Staatsanwaltschaft nach Strafanzeigen mit Ermittlungen und Untersuchungen reagiert. Die Empörung darüber ist entweder naiv oder geheuchelt. (...) Zu prüfen, ob hier eine professionell agierende Gruppe clever Millionenbeträge einsammelt, die dann organisierten Gesetzesbruch finanzieren, ist geradezu eine staatliche Pflichtaufgabe. So wie die rechtliche Bewertung des Geschehens dann eines Tages Sache der Justiz sein wird."

"Rhein-Neckar-Zeitung" (Heidelberg): "Der Vorwurf, hier agiere eine kriminelle Vereinigung, beruht vor allem auf dem dick gefüllten Spendenkonto, das es den Blockierern ermöglicht, immer wieder finanziell sorgenfrei aus den illegalen Aktionen hervorzugehen. Das ist kritikwürdig – und das Konto möglicherweise zurecht beschlagnahmt worden. Dennoch wirkt die konzertierte Justiz- und Polizeiaktion wenige Monate vor der bayerischen Landtagswahl wie eine hysterische Übertreibung. Höchste Zeit deshalb, dass Gerichte klären, wie weit Protest gehen darf – und wie viel eine Gesellschaft einfach ertragen muss."

"Darmstädter Echo": "Nein, die Polizeiaktion war ein massives Warnsignal an die vielen Unterstützer und wohl auch der Versuch, die Organisation finanziell auszutrocknen. Dass die Initiative hierfür aus Bayern kam, wo schon bald gewählt wird, gehört zum Gesamtbild. Unbestritten ist: In ihrer selbstherrlichen Art setzt die Letzte Generation auf massenhaften Rechtsbruch als Mittel zum Zweck. Dagegen muss sich der Rechtsstaat wehren, und er tut das auch, wie die vielen Gerichtsverfahren zeigen. Doch ist es angezeigt, voll auf Eskalation zu setzen und die verzweifelten Klimaretter zu kriminalisieren? Hier sind erhebliche Zweifel angebracht. Auch weil das Ganze eine massive Solidarisierung mit der Letzten Generation auslösen und damit nach hinten losgehen könnte."

Collage mit Porträts von Merz, Klingbeil, Söder und Reiche

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"Wie der Staat jetzt auf die Klimakleber losgeht, ist völlig unangemessen"

"Lausitzer Rundschau": "Ja, sie nerven. Allein die Anmaßung, sich als letzte Generation zu bezeichnen! Drohen die vermeintlichen Märtyrer mit dem eigenen Aussterben? Bilder beschmieren, Klebeaktionen auf Straßen und vor allem dieser Fanatismus, das alles ist erstens nicht sehr sympathisch, und zweitens schadet es dem Anliegen, die Menschen dafür zu begeistern, die Erderwärmung zu stoppen. Dass das Anliegen legitim ist, wird kaum bestritten und dass die gewählten Protest-Mittel die Grenzen des zivilen Ungehorsams überschreiten, ebenfalls nicht. Wenn es dabei um Straftaten geht, dann müssen die geahndet werden. Aber wie der Staat jetzt auf die sogenannten Klimakleber losgeht, ist völlig unangemessen. Weder wollen die missionarischen Klimaschützer die Demokratie abschaffen noch sich bereichern."

"Augsburger Allgemeine": "Das Hauptproblem dabei ist, dass die extreme Gruppe dem guten und völlig richtigen Anliegen des Klimaschutzes mit ihren immer weiter überzogenen Aktionen gar keinen guten Dienst erweist. In Zeiten, da alle etablierten Parteien die Notwendigkeit anerkennen, viel mehr für unser Klima tun zu müssen, wird es immer weniger notwendig, mit strafbaren Aktionen auf das Thema aufmerksam zu machen. Wenn wirklich Aktivisten der Letzten Generation versucht haben, eine Öl-Pipeline zu sabotieren, wäre das schlichtweg kriminell. Zudem liegt immer stärker der Verdacht nahe, dass es ihnen mehr um Showeffekte geht als um konstruktives Arbeiten am Klimaschutz. Doch auch Justiz und Politik sollten sich ein feines Gespür dafür bewahren, wann sie wie hart gegen die Letzte Generation vorgehen. Wenn es um Sabotage an kritischer Infrastruktur geht, ist Konsequenz angesagt. Wenn sich Leute in ideologischem Eifer auf Straßen oder an Kunstwerke kleben, ist das noch keine kriminelle Vereinigung."

"Stuttgarter Zeitung": "Wenn sich notorische Klimadesperados von Strafen nicht abschrecken lassen, demonstrativ als Wiederholungstäter in Erscheinung treten und Gleichgesinnte mit Spenden ihre Geldstrafen finanzieren, verhöhnen sie damit Recht und Gesetz. Man muss den Aktionismus der Letzten Generation nicht für 'bekloppt' halten wie der Kanzler, um seiner Innenministerin beizupflichten: Der Rechtsstaat darf sich auch von Leuten, die in guter Absicht gesetzwidrig handeln, nicht auf der Nase herumtanzen lassen. Die bundesweiten Razzien an diesem Mittwoch treffen die Letzte Generation hart: Ohne die beschlagnahmte Kriegskasse werden die Heroen von der Klebefront künftig selbst für die Kosten ihres gelegentlich ziemlich unzivilisierten Ungehorsams aufkommen müssen. Das ist nur recht und billig."

"Nordbayerischer Kurier" (Bayreuth): "Die Letzte Generation geht gewaltfrei vor. Die Gruppe hat konkrete, klimapolitische Forderungen, die man nicht teilen muss. Aber sie fordert keinen Systemwechsel, sie gefährdet nicht die Demokratie. Das geht in der öffentlichen Debatte oft unter. Es steht außer Frage, dass die Taten der Letzten Generation bestraft werden müssen. Das gehört in einem Rechtsstaat dazu. Doch ob man dazu Wohnungen stürmen, eine Website sperren und Konten beschlagnahmen muss, ist mehr als fraglich."

"Rheinpfalz" (Ludwigshafen): "Gut wäre es, wenn die Einschätzung der bayerischen Staatsanwaltschaft überprüft würde und höhere Instanzen die Frage klären würden, ob die Klimaschützer tatsächlich kriminell sind. Der Rechtsstaat dürfe sich nicht auf der Nase herumtanzen lassen, verteidigte Bundesinnenministerin Nancy Faeser die Maßnahmen. Das klingt energisch. Doch Rechtsstaat bedeutet auch, dass die staatliche Gewalt maßvoll und kontrolliert agiert."

"Frankfurter Allgemeine Zeitung": "(…) Alle kommunikativen Wege und Verfahrensmöglichkeiten standen und stehen [der Letzten Generation] offen – doch sie wählten den Weg des Unrechts. (…) Wer allen Ernstes behauptet, nur so sei Fortschritt möglich, möge das einmal zu Ende denken. Wer für jedermann eine Pflicht zum zivilen Ungehorsam in einem funktionierenden Rechtsstaat konstruiert, ruft im Grunde die Anarchie aus. (…) Hinzu kommt: Anders als bei den umfangreichen, auch von Gewalt begleiteten früheren Protesten gegen Atomlager oder Kasernen nötigen die Klimakleber wahllos Tausende von Mitbürgern. So ernten sie aber kein Verständnis, sondern Kopfschütteln, Ausübung des Notwehrrechts bis hin zu Gewalt, die allerdings ebenso inakzeptabel ist. Die gebotene Strafverfolgung, die nun eine neue Schwelle erreicht hat, sollte alle zur Einkehr bewegen. (…)"

"Warum mit Kanonen auf Spatzen schießen?"

"Junge Welt" (Berlin): "Ein Merkmal krimineller Gruppen, Bereicherungsabsicht, lässt sich den 'Klimaklebern' kaum unterstellen. Bleibt fortgesetzte Nötigung – von Autofahrern, Museumswächtern und Hausmeistern deutscher Parteizentralen, die sich mit Klebstoff- und Farbattacken herumärgern müssen. Was will die Letzte Generation? Tempolimits auf Autobahnen und ein Neun-Euro-Ticket für den Nahverkehr. Dass die zu diesem Zweck Genötigten nicht über Mittel und Möglichkeiten verfügen, ihre Forderungen zu realisieren – diese Kritik muss sich die Gruppe gefallen lassen. Dass wir es – wohl erstmals in der Geschichte überhaupt – mit einer 'kriminellen Vereinigung' zu tun haben, die aus Sorge um die Zukunft des Planeten und der Menschheit gewaltlos Druck auf Adressaten ausübt, die man im eigentlichen Sinne gar nicht nötigen kann, Neun-Euro-Tickets oder Tempolimits einzuführen: Diese Errungenschaft gebührt Bayern."

"Reutlinger General-Anzeiger": "Die juristischen Hürden für die Einstufung der Letzten Generation als kriminelle oder terroristische Vereinigung sind sehr hoch, solange sie nur Straßenblockaden begeht. Für die Einziehung von Geldern, mit denen Menschen dafür bezahlt werden, Ordnungswidrigkeiten und Straftaten zu begehen, muss aber nicht der Terrorismusverdacht bemüht werden. Es könnte möglicherweise auch der Nachweis der Sittenwidrigkeit genügen. Warum also mit Kanonen auf Spatzen schießen?"

"Frankfurter Neue Presse": "Die Klimademonstranten mögen selbst von 'zivilem Ungehorsam' sprechen, doch wenn Straftaten dahinterstecken, kann der Staat das nicht tolerieren. Zwar ist die Frustration über mangelnde Fortschritte im Klimaschutz verständlich. Haben sich doch viele Erwartungen an die Ampel-Koalition nicht erfüllt. Doch in einer Demokratie müssen Mehrheiten akzeptiert werden. Und was die Frustration betrifft: Auch viele Wohnungssuchende oder pflegende Angehörige hätten Grund genug zur Verzweiflung, um sich auf die Straße zu kleben und auf Missstände aufmerksam zu machen. Dann gäbe es gar kein Vorankommen mehr."

"Münchner Merkur": "Seit über einem Jahr schon spielt die Letzte Generation Katz und Maus mit unserem Rechtsstaat. Klima-Radikale, die am Vormittag rechtskräftig verurteilt wurden, kleben sich manchmal schon am Nachmittag desselben Tages auf der nächsten Straße fest. Das bleibt für sie, auch wenn sie sich gern zu Märtyrern aufspielen, meist folgenlos, weil die Täter über ein dubioses Spendennetzwerk mit reichen Geldgebern aus den USA von Strafen freigekauft werden. Das ist nicht nur 'bekloppt', wie der Kanzler etwas verniedlichend findet. Nein: Dieses System trägt klar Züge der Bildung beziehungsweise Unterstützung einer kriminellen Vereinigung. Auch wenn sich die links-grüne Blase jetzt wieder ganz fürchterlich über Bayern aufregt: Man muss der Münchner Generalstaatsanwaltschaft sehr dankbar sein, dass sie als erste Strafverfolgungsbehörde in Deutschland den Mut aufbringt, das Recht vor dem Faustrecht selbst ernannter Klimaretter zu schützen."

"Straubinger Tagblatt/Landshuter Zeitung": "(...) Der Rechtsstaat darf kein Auge zudrücken, wenn der Verdacht auf Gesetzesübertretungen besteht, selbst wenn sie aus edlen Motiven geschehen mögen. Die Mehrheit der Bürger erwartet, dass er seine Arbeit macht. Es geht nicht darum, Klimaschützer einzuschüchtern. Es geht darum, die Regeln durchzusetzen, auf die die Gesellschaft sich in der repräsentativen Demokratie geeinigt hat, um die öffentliche Ordnung und das friedliche Zusammenleben zu gewährleisten."

DPA
mad