Liberale in Not Auf Wiedersehen, FDP

  • von Hans Peter Schütz
Die FDP kann sich nicht dazu durchringen, in NRW in eine Ampelkoalition zu gehen. Das Problem: Guido Westerwelle. Er führt die Partei so realitätsfern, das sich selbst die eigenen Leute abwenden.

So wie FDP-Chef Guido Westerwelle und sein Stellvertreter Andreas Pinkwart daherreden, passt es zur Lage ihrer Partei wie Akne zur Kosmetik-Verkäuferin. Ihre einzige Chance in Nordrhein-Westfalen nach der Schlappe bei der Landtagswahl noch im politischen Geschäft aktiv zu bleiben, wäre die Ampel-Koalition. Doch mal sagen sie Ja, wir reden darüber. Dann Nein, kommt nicht in Frage. Und dann wieder Jein, mal sehen, ob das geht. Diagnose: Diese FDP leidet an schwerem Realitätsverlust.

Es war einmal eine Partei mit dem Namen FDP. Politisch zu Hause zwischen den beiden Volksparteien CDU und SPD. Und wenn ein Bundesbürger sich über Schwarz oder Rot politisch ärgerte, konnte er über die Wahl von Gelb seine Wut rauslassen. Die FDP als Ventilpartei, über die man Dampf ablassen konnte, die neue Positionen bot. Das machte einst die sozialliberale Koalition möglich, ebenso die Ära Kohl; in vielen Bundesländern lief der Frustabbau ebenso - zuletzt spektakulär in Bayern gegen die CSU.

Das war einmal. Westerwelle verniedlicht, was in NRW tatsächlich geschehen ist. Einen "Warnschuss" räumt er noch ein. Er könnte zutreffender auch von einem Blattschuss sprechen. Gegen eine FDP, die sich selbst in den letzten Jahren zur Ein-Mann-Partei reduziert hat und zur Ein-Thema-Partei ausgeblutet ist. Steuersenkung und sonst nichts.

Viele akzeptable politische Ziele im Programm

Doch daran glauben nicht einmal mehr die eigenen Mitglieder. Im Parteiprogramm stehen natürlich auch viele akzeptable politische Ziele: von den Bürgerrechten über die Bildungsförderung bis zum Bürgergeld. Selbst sozialpolitische Ziele sind dort verankert. Aber ernsthafte Versuche der politischen Umsetzung über die schwarz-gelbe Koalition in Berlin finden nicht statt.

Inzwischen sind die Grünen zur Fluchtpartei der bisherigen FDP-Wählerschaft geworden. In NRW wählten 16 Prozent Selbstständige die Grünen, nur zwölf Prozent votierten noch für die Liberalen. Rund 30.000 Stimmen wechselten insgesamt von Gelb zu Grün. Es ist absurd, wenn die FDP-Spitze jetzt beharrlich darauf hinweist, dass bei der jüngsten Landtagswahl immerhin noch ein geringfügig besseres Ergebnis erreicht worden sei als vor fünf Jahren.

Halbierung der Stimmen in wenigen Jahren

Den tatsächlichen Absturz muss man an den Zahlen messen, mit denen die FDP in Nordrhein-Westfalen noch vor der letzten Bundestagswahl bedient worden ist: rund 14 Prozent. Die Halbierung wiegt umso schwerer, weil das größte Bundesland zum ersten Mal mit dem neu eingeführten Zweitstimmen-Wahlrecht politisch entscheiden konnte. Das im Normalfall für die FDP positive Stimmensplitting, das etwa in Baden-Württemberg noch funktioniert, fand an Rhein und Ruhr nicht statt.

Zumindest in den Großstädten lebt inzwischen eine bürgerliche Klientel, die sich den Grünen dauerhaft verbunden fühlt. Vor allem bei den jüngeren Wählern - womit feststeht, dass sich dieser Prozess von Generation zu Generation verstärken dürfte. Lange Zeit, so wurde im bürgerlichen Lager gerne gespottet, hätten nur die Zahnarzt-Gattinnen bei Wahlen die Grünen angekreuzt. Doch immer mehr Wähler im bürgerlichen Lager denken längst: Bei den Grünen sind wir doch viel besser aufgehoben.

Verantwortlich für diese Entwicklung ist eindeutig der Kurs des Parteivorsitzenden. Zu Recht läuft daher jetzt in der Partei die Debatte darüber, dass Schluss sein müsse mit der Ära Westerwelle. Dass es höchste Zeit sei, der Verengung auf ein Thema durch offensive Pflege anderer politischer Ziele, etwa Bürgerrechte oder Umweltschutz, wieder zu entrinnen.

Collage mit Porträts von Merz, Klingbeil, Söder und Reiche

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Nun muss die Partei für Westerwelles Kurs büßen

Man kann den FDP-Chef sogar direkt dafür verantwortlich machen, dass es jetzt nicht mehr die geringste Chance für die von ihm so gepredigten Steuersenkungen gibt: Er hat das Thema völlig vorbei an der Realität der Finanzkrise und der leeren Staatskassen propagiert und muss jetzt dafür büßen, dass es für sein zentrales Wahlversprechen endgültig keine Chance mehr gibt - im Bundesrat ist dank der Mehrheitsverhältnisse ab sofort Sperrung garantiert.

Die FDP muss neuen Gedanken und Köpfen neben Westerwelle endlich wieder eine Chance geben - etwa einem Christian Lindner und einem Philipp Rösler. Sie sind in der Lage, die FDP aus dem Gefängnis ihrer Steuersenkungshysterie zu befreien. Ohne neue Optionen, und sei es die Ampel-Koalition, geht die FDP unter.