Die Erde unter Lützerath beheimatet viele Geschichten. Die eine ist schon lange bekannt: Unter der Siedlung ist Braunkohle zu finden, weshalb sie schon bald gänzlich abgebaggert werden soll. Eine andere, noch nicht so alte Erzählung, kommt am Montagmittag um 12.48 Uhr hinzu, als zwei Männer wieder ins Tageslicht blicken. Sie werden hier "Pinky" und "Brain" genannt. Die beiden Vermummten haben tagelang in einem Tunnel im Erdreich von Lützerath ausgeharrt – auf engem Raum und mit dem Ziel, die Räumung des Weilers zu verhindern. An diesem Tag aber verlassen sie den Schacht, für manche Beobachter durchaus unerwartet. Mit tiefen Ringen unter den Augen, einer Einkaufstasche in der Hand, schleppen sie sich noch zu einer Schar Journalisten. Mit der Presse sprechen wollen sie allerdings zunächst nicht. Wie geht es ihnen? Wohin gehen sie? Und war das nicht wahnsinnig gefährlich? All diese Fragen bleiben zunächst unbeantwortet.
Lützerath vollständig geräumt
Eine Antwort, wie das Ganze einzuordnen ist, gibt Minuten später dann der Energiekonzern RWE. Die letzten Aktivisten hätten damit die ehemalige Siedlung verlassen, teilt er mit. Die Räumung sei beendet. Und der "Rückbau" von Lützerath werde "in den kommenden Tagen" abgeschlossen. Es scheint, dass bald alle Lützerath-Geschichten an ihr Ende gelangen werden. Rückblende: Mitte der vergangenen Woche hatte die Räumung des kleinen Dorfes begonnen, das am Rande des Braunkohletagebaus Garzweiler in Nordrhein-Westfalen liegt. RWE soll so ermöglicht werden, die darunter liegende Braunkohle abzubaggern. Das wurde politisch so entschieden. Klimaaktivistinnen und Klimaaktivisten hielten das Dorf allerdings besetzt und wollten es verteidigen. Hunderte wurden in den folgenden Tagen von der Polizei weggebracht oder gingen freiwillig.
Protest im Schlamm: Tausende demonstrieren bei strömendem Regen in Lützerath – die Bilder

"Pinky" und "Brain" im Tunnel
Die Ausnahme: Die beiden Männer im Tunnel. Am Donnerstag, als die Räumung schon weit fortgeschritten waren, tauchte plötzlich ein Video auf Youtube auf. Zwei Vermummte, sie nennen sich "Pinky" und "Brain", gaben darin an, dass sie sich in einen Tunnel unter Lützerath zurückgezogen hätten. "Pinky" und "Brain" – das sind auch die Namen von zwei weißen Mäusen aus einer Zeichentrickserie. Die Cartoon-Nager versuchen regelmäßig, die Weltherrschaft an sich zu reißen – mit mauem Erfolg. Ihre Namensvetter in Lützerath hatten ein anderes Ziel: Die Räumung möglichst hinauszögern. Irgendwann waren sie nach RWE-Angaben wirklich die letzten verbliebenen Aktivisten im Dorf.
Tunnel-Konstruktion "lebensbedrohliche Situation"
Einsatzkräfte schätzten die Situation als durchaus kritisch ein. Der Aachener Polizeipräsident Dirk Weinspach schaute sich selbst den Schacht an und sagte danach, sein Eindruck sei, dass die Konstruktion nicht sicher sei. Am Montag aber, so erzählt es RWE, verlassen die beiden den Unterschlupf freiwillig. Man sei "erleichtert", dass die "lebensbedrohliche Situation" auf diese Weise habe beendet werden können. Experten seien hinzugezogen worden, um die beiden davon zu überzeugen. "Eine Rettung aus dem Tunnel gegen den angekündigten Widerstand der Personen wäre mit hohen Risiken verbunden gewesen, auch für die Rettungskräfte."

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Fortsetzung folgt?
Auch eine Sprecherin der Akitivisten-Initiative "Lützerath Lebt" sagt, dass die beiden freiwillig gegangen seien. Es habe auch Gespräche der beiden mit parlamentarischen Beobachtern der Grünen gegeben. Als bedrohlich skizziert sie die Situation unter der Erde allerdings nicht: Es sei den beiden "gut" gegangen, die Sauerstoff-Werte seien "entsprechend" gewesen. "Sie haben diesen Tunnel sicher gebaut und sich sehr, sehr gut vorbereitet auf diese Situation", sagt sie. Was das bedeute? Nun, die Räumung sei zu Ende. Die Aktivisten hätten nun "vielleicht verloren" – zugleich sei aus ihrer Sicht aber auch viel gewonnen worden. Nämlich in der Debatte um Kohle und Klima. "Lützerath – alle Leute in Deutschland haben davon gehört", sagt sie. Für sie ist diese Geschichte erkennbar noch nicht zu Ende. Womöglich folgt eine Fortsetzung.
Kohleausstieg 2030
Der nordrhein-westfälische Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) warb unterdessen vor der Synode der Evangelischen Kirche im Rheinland um Unterstützung für den Kohle-Kompromiss, der aktuell zur Verstromung größerer Mengen Kohle führt, aber auch einen auf das Jahr 2030 vorgezogenen Ausstieg aus der Kohleverstromung in NRW beinhaltet. Niemand habe es sich damit leicht gemacht. Nach dem vollständigen Abriss von Lützerath will der Energiekonzern RWE die darunter liegende Kohle abbaggern. Bereits im März oder April könnten die Schaufelradbagger das frühere Dorf erreichen, sagte ein Firmensprecher.