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Klima-Aktivistin zu Baerbock Luisa Neubauer: "Die Grünen sind jetzt gefragt, den Leuten die Ausreden zu nehmen"

Kanzlerkandidatin Baerbock (r.) sagt: "Ich trete für Erneuerung an." – Klimaaktivistin Neubauer (l.) findet: "Baerbock muss jetzt beweisen, dass sie Worten Taten folgen lässt."
Kanzlerkandidatin Baerbock (r.) sagt: "Ich trete für Erneuerung an." – Klimaaktivistin Neubauer (l.) findet: "Baerbock muss jetzt beweisen, dass sie Worten Taten folgen lässt."
© Privat / Andreas Gora / Getty
Für Fridays-for-Future-Aktivistin Luisa Neubauer muss sich Annalena Baerbock als Kanzlerkandidatin erst noch beweisen. Wie die Grünen in der Klimakrise dennoch Vorbilder sein können und warum sie selbst Parteimitglied geworden ist, verrät die stern-Stimme im Gespräch.

Annalena Baerbock ist die erste Kanzlerkandidatin in der Geschichte von Bündnis 90/Die Grünen. War sie auch Ihre Favoritin, Frau Neubauer? 

Ich finde, der Wahlprozess der Grünen war gut und einer, der der Ernsthaftigkeit der politischen Lage im Land viel eher entspricht, als das was die CDU veranstaltet. Das zeigt zumindest, wer gerade die Erwachsenen im Raum sind. Letztendlich spielen aber Personalentscheidungen eine viel kleinere Rolle als die inhaltlichen Fragen – und die sind nach wie vor offen. Zum Beispiel, wie die Grünen auf einen klimagerechten 1,5-Grad-Pfad kommen wollen. Baerbock erzählt in ihrer Rede von dem Moment, als das Pariser Klimaabkommen unterschrieben wurde. Die Frage ist, ob sie jetzt auch beweisen kann, dass sie die Zusagen in dem Abkommen auf dem Weg in die Koalitionsverhandlungen nicht vergisst.

In ihrer Nominierungsrede sagte Baerbock auch: "Ich trete für Erneuerung an". Welche Erneuerungen erwarten Fridays for Future (FFF) von der Kanzlerkandidatin? 

Baerbock muss jetzt beweisen, dass sie Worten Taten folgen lässt. Bis zur Bundestagswahl ist es die Aufgabe jeder demokratischen Partei auf einen belastbaren 1,5-Grad-Pfad zu kommen. Nur dann ist es möglich, zu Beginn der nächsten Legislatur über die besten Klimaschutzmaßnahmen zu streiten und nicht um die Bereitschaft, Klimaschutz an sich umzusetzen. Jede andere Partei wird sich bis zum Ende aller Tage hinter den Grünen verstecken, wenn die Partei, die von Anfang an auf Ökologie gesetzt hat, es nicht packt, die 1,5-Grad-Kurve zu kriegen.

Bisher haben wir noch nicht erlebt, dass die Grünen in einer Koalition als Beschützer und Treiber von Klimagerechtigkeit hervorgetreten sind – und sich damit durchsetzen konnten. Das gibt es bisher schlicht nicht, auch nicht im Ausland. Diesen Präzedenzfall müssten die Grünen mit Baerbock an der Spitze setzen.

Trauen Sie es den Grünen zu, diesen Präzedenzfall zu schaffen?

Was ein sehr gutes Zeichen ist, dass wahnsinnig viele Klimaaktivist:innen in den letzte Wochen auf Listen gewählt wurden. Man merkt, dass sich personell etwas tut und dass sich auch die Kräfte, die Klimaschutz vorantreiben wollen, verstärken. Deswegen: Junge Grüne Klimaaktivist:innen – it's your turn now!

Aber man muss immer im Hinterkopf behalten: Klimapolitik sprengt die Grammatik von dem, was normalerweise in Koalitionsverhandlungen geschieht – wo man an zwei verschiedenen Positionen anfängt und sich in der Mitte trifft. Für die Grünen wird es eine ganz zentrale Herausforderung sein, eine gerechte Klimapolitik zu fahren und im gleichen Atemzug klarzustellen, dass das 1,5-Grad-Ziel nicht zu Debatte steht, weil es selbst schon die Antwort auf eine Debatte ist. 

In ihrem Wahlprogramm setzen die Grünen den Schwerpunkt auf einen sozial-ökologischen Umbau der Gesellschaft. Sie wollen den Klimaschutz vorantreiben, aber so, dass alle davon profitieren. Geht das denn überhaupt? 

Na klar! Die Klimakrise ist eine tief ungerechte Krise, dadurch, dass sie diejenigen, die ohnehin schlechter da stehen, noch mehr belastet. Daher ist es entscheidend, dass Klimapolitik als Gerechtigkeitspolitik verstanden wird. Global werden dafür reiche Staaten – wie Deutschland – mehr zu beitragen müssen als ärmere. Und auch innerhalb einer Gesellschaft werden einige, die mehr haben, ebenfalls mehr dazu beitragen. Im besten Fall beenden wir eine ungerechte Klimakrise und kommen zu einem Klimaschutz, der sozial gerecht und nachhaltig ist. 

Sehen Sie im Video: "Für den Status quo stehen andere" – Annalena Baerbock im Interview zur ihrer Kanzlerkandidatur. 

Viele FFF-Forderungen finden sich im Grünen-Programm wieder. Paris-Abkommen, Kohleausstieg bis 2030, höherer CO2-Preis…Gehen Ihnen die Inhalte weit genug?

Das ist der Haken! Bisher ist das Grünen-Programm noch nicht mit dem 1,5-Grad-Pfad vereinbar – und das muss sich ändern. Die entscheidende Frage ist aber nicht, was für Fridays for Future reicht, sondern was wissenschaftlich ausreichend ist. Die Partei muss sich daher nicht nur verpflichten das CO2-Budget einzuhalten, sondern die eigenen Versprechen müssen auch in Mechanismen verankert sein, die zur Einhaltung verpflichten.

Trotzdem ist es wichtig bei den Parteiprogrammen auf die Proportionen zu achten. Keine Partei wird beim Klimaschutz weiter gehen als die Grünen und jede Partei wird die Grünen als Ausrede nutzen, warum dieses und jenes anscheinend nicht umsetzbar ist. Das heißt, die Grünen sind jetzt gefragt, den Leuten die Ausreden zu nehmen.

Am 26. September wird's ernst. Welche Koalition wäre für das Klima am besten? 

Das hängt nicht von den Parteifarben, sondern von den Parteiprogrammen ab. Jede Koalition kann Klimapolitik machen – und im besten Falle wird es dann eben auch eine gerechte Klimapolitik.

Sie selbst sind auch Parteimitglied der Grünen. Ist das mit dem überparteilichen Anspruch von FFF vereinbar?  

Ich bin Teil von Fridays for Future, aber ich bin auch eine Privatperson. Ich bin 2017 bei den Grünen eingetreten, weil ich mir damals die Frage gestellt habe, welchen Beitrag ich zur Demokratie leisten möchte. Als Bewegung sind wir pluralistisch und überparteilich und ich kritisiere jede Partei – auch die Grünen. 

Stichwort Pluralismus: Baerbock beschwört in ihrer Rede, dass es viele Rentner:innen in Deutschland nicht kalt lässt, in was für einer Zukunft die Nachbarskinder leben. Sind sich die Jüngeren und die Älteren da wirklich so einig?

Zwischen der Großeltern- und der Enkelkinder-Generation zeichnet sich eine große Allianz ab. Ältere Menschen, wie meine Großmutter, sind ja auch gesundheitlich schnell betroffen, zum Beispiel von Hitzewellen. Zudem schaffen es die Älteren deutlich gelassener auf die Frage der CO2-Verantwortung zu blicken – im Gegensatz zur Generation von Söder und Laschet.

Für diese 'Boomer-Generation' ist das scheinbar viel schneller eine Identitätsfrage. Viele fühlen sich schnell angegriffen und verwechseln Gewohnheiten, wie Fleisch essen und Fliegen, mit Rechten und Freiheiten. Für die Großeltern ist es nach meiner Erfahrung einfacher mit einer ehrlicheren und offeneren Perspektive ranzugehen, entsprechend erleben wir auch als Bewegung einen unglaublichen Zuspruch aus dieser Generation.

Die ersten Klimaaktivist:innen kandidieren jetzt für den Bundestag. Wann treten Sie selbst als Abgeordnete an?

(lacht) Nicht im September. Aber lassen Sie uns gerne vor den nächsten Wahlen nochmal sprechen.

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