Ok, wo stehen wir? Die Debatte um eine Absenkung des Wahlalters ist nicht neu, aktuell fordern sie die Grünen und die SPD. Also jene Parteien, die mit guten Gründen davon ausgehen können, dass sie bei der Bundestagswahl 2021 von so einer Absenkung profitieren würden. Nebenbei bestätigt eine Studie (erneut), dass 16- und 17-Jährige tatsächlich in der Lage sind, selbstständig und im Zweifel auch informiert zu wählen.
Weder der Vorstoß der Progressiven, noch die Verkündung der empirischen Haltlosigkeit einer weiteren Grundannahme über "die Jungen", die der Stabilisierung des Selbstwertes der Alten dient, hat Breaking-News-Charakter. (Wegen dieser Rechnung darf man übrigens auch zu jungen Menschen sagen, dass sie etwas "für ihr Alter" gut machen, aber Alten nicht erklären, dass sie etwas "für ihr Alter" ziemlich schlecht machen. Age rules.) Nun wird fleißig über das Für und Wider einer Absenkung des Wahlalters diskutiert. Doch im Kern geht es bei einem Wahlrecht für 16-Jährige nicht um eine Pro-Contra Frage. Sondern um eine Formalie. Die Machtverschiebung hat längst stattgefunden - und sie ist bezeichnend für eine Zeit, in der Alter an Wert verliert – und Alte an Macht.
Die U18-Frage ist keine pädagogische, sondern eine machtkulturelle Frage
Eine Beobachtung zum Anfang: Es ist durchaus unangenehm, wie viel weniger die aktuelle U18-Wahldebatte über die Reife der 16-Jährigen aussagt, als über die Ängste und Verkrampftheit der 60-Jährigen (plus minus), die gefragt wären, diese Wahlrechtsreform umzusetzen. Sinnbildlich dafür steht die nun von CSU-Generalsekretär Blume hilflos angeführte Erklärung, dass die Klimabewegung doch gezeigt habe, dass politische Teilhabe in vielfältiger Weise möglich sei, ohne dass dafür das Wahlrecht verändert werden müsse.
Es gibt sehr wenige Parteien, die noch öfter als die CSU unsere demokratische Integrität in Frage gestellt haben. Dabei scheint diese Partei es zu einer ihrer Aufgabe gemacht zu haben, zu verhindern, dass auch nur annähernd das umgesetzt wird, was von besagter Bewegung gefordert wird. (Zur Erinnerung: Fridays For Future fordert die Einhaltung von Paris, einem völkerrechtlich bindenden Abkommen, das 2016 unter Angela Merkel einstimmig im durchaus reichhaltig mit Konservativen bestückten Bundestag verabschiedet wurde). Nun denn.
Die Jungen sind nicht mehr zu ignorieren
Inhaltlich irritierend ist dies an dem Punkt, an dem die strategische Aversion gegenüber wählenden 16-Jährigen die selbstständige Erkenntnis voraussetzt, dass eine durchschnittliche 16-Jährige (berechtigterweise) nicht das Gefühl hat, in der Unionsprogrammatik ernsthaft stattzufinden. Statt dies zu ändern, setzt man sich dafür ein, dass weiterhin diejenigen über die Zukunft entscheiden, die von dieser Zukunft deutlich weniger erleben werden als diejenigen, die ihr volle Kanne ausgesetzt sein werden - jedoch so lange nicht wählen dürfen, bis sie mit 18 in einem Alter sind, in dem die CDU ihnen anscheinend zumutet, konservativ zu wählen. Es geht um Macht und Verantwortung für junge Generationen, von der man sich weder lösen möchte, noch ihr gerecht werden will. Politik zwischen Trotz und Selbstüberschätzung.
All das sitzt tief, verständlicherweise. Denn ganz unabhängig von der CDU würde ein Wahlrecht ab 16 bedeuten, dass die, die heute von und für sich selbst Politik machen, sich spürbar selbst entmachten würden. Konkret geht es um die Macht, entscheiden zu können, wie wichtig und ernst man alte Minderjährige nehmen möchte, und welche Priorität ihnen politisch zugeordnet wird. Und dieser Kontrollverlust würde nicht irgendwann eintreten, sondern heute, in einer Zeit, in der volksparteiliche Kontinuitäten bröseln, Gewerkschaften schlingern, Kirchen leerer und Mittelständler selbstständiger werden, sprich verlässliche Stimmen aus verlässlichen Ecken parteipolitisch spürbar unverlässlicher werden. In dieser Zeit eine unkontrollierbare Rezo-Kohorte über die eigenen Prozente entscheiden lassen? Danke bestens.
Doch die Macht über politische Relevanz dieser noch nicht wählenden Kohorten entscheiden zu können, erodiert längst. Noch nie war es aufwändiger die Forderungen von Kindern und Jugendlichen zu ignorieren. In einem von jungen Klimaakitvst*innen bewegten Jahr 2019 beschäftigten sich doppelt so viele Talkshowsendungen mit Klima und Umweltthemen, wie noch 2018. Auf Hauptversammlungen sprechen regelmäßig Minderjährige, Agenda-Setting aus dem Kinderzimmer. Noch nie waren Wahlunberechtigte so weitreichend organisiert und politisch präsent. Sondersitzungen zu den Belangen der "jungen Menschen” sind mittlerweile keine Ausnahme mehr, heute auch durchaus über die Klimafrage hinaus. Nicht zuletzt fiel die Europawahl 2019 in die Hände immer mächtiger werdender Junger, die bewegt von Youtube, Artikel 13 und dem Klima die Prozente drehten.

Ein eigenes politisches Korrektiv
Daher geht es bei einer Wahlreform keineswegs um die nackte Zahl ermächtigter Wählerinnen und Wähler, sondern um die politische Idee, die informelle Rollen- und Machtverschiebung zu formalisieren. Das ist sowohl schön als auch traurig, manifestiert es die Absage an genau diese Jungen, dass sie auf politische Verantwortungsübernahme zählen können.
Doch schließlich: Was für ein demokratisches Potential! Berlin würde sich ein eigenes politisches Korrektiv schaffen. Eine politische Instanz, die die zeitliche Entkopplung zwischen dem politischen Handeln und dem Wirken – insbesondere in der Überforderungsangelegenheit Klima, aber auch in jeder anderen Generationenfrage – entgegenwirken könnte. Der Anfang vom Ende der politischen Gegenwartssucht. Es ist eine Drohung, eine Ansage, an diejenigen, die viel zu lange, viel zu wenig Gründe hatten, sich um die Welt zu kümmern, in der die heute 16-Jährigen ihren 60. Geburtstag feiern werden. Eine überparteiliche Mehrheit für diese Frage im Parlament ist nicht unmöglich. Es wäre dringend notwendig, sie zu organisieren.