Der Haarschnitt ist am Ende ziemlich bieder geraten, aber ich war ja nicht wegen der Frisur nach Schwarzenberg im Erzgebirge gekommen. Sondern wegen der Friseurin: Mandy S., mutmaßliche NSU-Unterstützerin und Leiterin des Friseursalons in Bahnhofsnähe. Ein einziges Interview hatte Mandy S. den Kollegen der "Welt" gegeben, nachdem im Novemer 2011 die Bundesanwaltschaft Ermittlungen gegen sie aufgenommen hatte. Seitdem verweigerte sie sich Journalisten.
Beate Zschäpe hatte Mandy S. Identität im Untergrund verwendet, im Brandschutt des Zwickauer Terrornests wurden fingierte Ausweispapiere mit ihrem Namen und Adressen gefunden. Bei der Polizei hatte Mandy S. bereits zugegeben, den drei flüchtigen Jenaern Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt und Beate Zschäpe 1998 in Chemnitz Unterschlupf gewährt zu haben. Außerdem hatte Mandy S. in Nürnberg gewohnt und mit Neonazis der Fränkischen Aktionsfront verkehrt. Mandy S. konnte das entscheidende Bindeglied nach Franken sein. Wochenlang wehrte sie bereits meine Interviewfragen ab, ließ sich am Telefon verleugnen. Schließlich machte ich also einen Termin zum Haareschneiden.
Der Haarschnitt diente als Vorwand
Schwarzenberg ist ein Nest, man kennt sich, und ich sah wohl nicht aus wie die typische Touristin, jedenfalls schaute Mandy S. skeptisch zu mir herüber, während ich auf den Termin um 12 Uhr in dem kleinen Salon wartete. Mandy S., zierlich, enge Jeans, hohe schwarze Lederstiefel, pechschwarz gefärbte Haare, mit strengem Pony und einem dünnen Haarreif hatte ein verhärmtes Gesicht, die Augen ein bisschen verkniffen, sie wirkte angespannt.
Vielleicht projizierte sich auch meine eigene Anspannung auf diese Frau, von der ich wusste, dass sie nicht mit mir sprechen wollte. Im schlimmsten Fall würde sie mich mit halbgeschnittenen Haaren rauswerfen, wenn ich mich als Journalistin zu erkennen gebe, sagte ich mir. Es war klar, dass ich den Vorwand eines Haarschnitts nur als Möglichkeit nutzen wollte, überhaupt an sie heran zu kommen. Dann wollte ich meine Tarnung schnell auflösen.
S. war plötzlich Beschuldigte im NSU-Verfahren
Irgendwann saß ich zwischen Spiegel und der mutmaßlichen Terrorhelferin auf einem schwarzen Friseurstuhl. Während sie mir den Nacken ausrasierte, plauschten wir über Kindergärten (ich wusste, dass sie alleinerziehend ist), und Schwarzenberg. Ihre Kollegin verabschiedete sich in die Mittagspause. Wir waren allein. "Warum bist du hier", fragte mich Mandy S. "Wegen Dir", sagte ich und schaute ihr im Spiegel in die Augen. Sie ließ die Hände fallen. "Das habe ich mir schon gedacht." Dann setzte sie die Schere wieder an. Und erzählte.
"Wenn ich hier im Ort nicht so einen starken Rückhalt gehabt hätte, hätte ich das alles nicht ausgehalten", klagte sie. Journalisten würden Jagd auf sie machen, das neue Leben, der berufliche Erfolg als Leiterin des Salons, alles schien ihr plötzlich zwischen den Fingern zu zerrinnen. Eigentlich hatte sie mit all dem doch schon abgeschlossen, sagte sie mir. "Und selbst wenn ich das alles gemacht habe, wäre es eh schon verjährt", sagte sie, fast als wollte sie sich selbst vergewissern. Sie sei ausgestiegen aus der Szene, spätestens als ihre Tochter 2007 geboren wurde. Jetzt wurde gegen sie wegen Unterstützung einer terroristischen Vereinigung ermittelt. Mandy S. war plötzlich Beschuldigte im NSU-Verfahren.
1998 sollte Mandy drei Leute unterbringen
Im Frühjahr 1998 hatte es an ihrer Tür geklingelt, ein Freund, einer von den 88ern aus Chemnitz, einer Neonazi-Kameradschaft aus dem Umfeld Blood & Honour. Ob sie drei Leute unterbringen könnte, die "Scheiße gebaut haben"? In ihrer Wohnung war kein Platz, also fragte sie ihren Freund Max-Florian B., der solange zu ihr zog. Die drei Leute waren Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt und Beate Zschäpe.
Mehrere Wochen bleiben sie in der Wohnung von B. in Chemnitz, Mandy S. besuchte sie dort mehrmals, schnitt Beate Zschäpe die Haare. Zschäpe unterstützte sie im Streit mit B. – Mandy hatte einen anderen bei einer Party geküsst, B. trennte sich von ihr. Die drei Flüchtigen bastelten an ihrem menschenverachtenden Spiel "Pogromly".
Mandy S. wirkte in dem Gespräch verzweifelt, wie eine Getriebene. Irgendwann hatte ich den Eindruck, dass sie mir alles erzählen wollte, ich sollte Verständnis für ihre Situation entwickeln. Sie versicherte mir, die Drei auf keinen Fall vorher gekannt zu haben, obwohl es ein Foto von der Demonstration gegen die Wehrmachtsausstellung aus Januar 1998 gibt, auf dem sie eine Fahne trägt, zusammen mit Zschäpe. "Muss jemand anders sein", sagt sie. Sie habe sich ja nicht mal an deren Namen erinnert. Bloß, dass ihr einer unsympathisch war, der habe immer böse geschaut. Und dass die beiden Männer immer lieb mit Zschäpe umgegangen seien, die hätten sich richtig um sie gekümmert.
S.' Unterschrift ist auf Ausweis-Abholformularen
Die Ermittler konfrontierten Mandy S. im Dezember 2011 mit zwei Ausweisen, die sie für Böhnhardt und Mundlos 1998 organisiert haben muss. Ihr Freund B. und ein anderer Bekannter hatten ihre Daten hergegeben, S. Unterschrift ist auf den Abholformularen.
Als sie fertig war mit dem Haarschnitt, gingen wir im Hinterhof noch eine Zigarette rauchen. Mandy S. rauchte zwei schnell hintereinander, zog hastig daran. Sie habe nicht mal geahnt, was die drei vorhatten, sagte Mandy S. Sie habe keinen Kontakt mehr mit ihnen gehabt, es habe geheißen, dass die nach Südafrika gegangen seien. Wie die drei immer wieder an ihre Adressen gekommen waren, könne sie sich nicht erklären. "Mandy aktuell" – einen Zettel mit ihrer aktuellen Handynummer und verschiedenen Adressen hatten die Ermittler im Brandschutt der Zwickauer Wohnung gefunden.
Vielleicht über André E.? Den Mitangeklagten im NSU-Prozess hatte Mandy S. in Chemnitz mit dem Trio bekannt gemacht, sie war mit ihm zur Schule gegangen. Bis zum Auffliegen des NSU in 2011 hatte André E. die drei daraufhin unterstützt, das Ehepaar E. war eng mit Zschäpe und den beiden Männern befreundet. Hatte er sie mit Updates über Mandy S. versorgt? Mandy S. wich meinen Fragen zu anderen Bekannten aus, es war klar, dass sie niemanden belasten wollte. Auch mit Mathias D. war sie befreundet, ebenfalls ein Helfer des Trios, auf dessen Namen der NSU Wohnungen angemietet hatte.
Sie stellt sich als "naives Anhängsel" dar
Ich versuchte, in dem Gespräch mehr über ihre Verbindungen nach Nürnberg herauszubekommen. Alles deutete darauf hin, dass Mandy S. das Bindeglied nach Franken war, wo der NSU drei seiner zehn Morde begangen hat. Mandy S. hatte dort zwischen 1993 bis 1996 ihre Lehre gemacht. Und hatte von 2002 bis 2003 wieder in der Nähe von Nürnberg gewohnt, mit engen Kontakten in die Neonazi-Kameradschaft "Fränkische Aktionsfront". Sie kannte Matthias F., den führenden Kopf. Der Tennisclub, von dem die fingierten Ausweise mit Mandy S.' Daten stammten, war nur wenige Kilometer von seinem Wohnhaus entfernt. Hatte Mandy S. Matthias F. und das Trio vorgestellt?
Mandy S. hatte in Franken auch an Schulungen teilgenommen, hatte nach ihrer Rückkehr nach Sachsen die "Sächsische Aktionsfront" gegründet. Doch ihre eigenen Aktivitäten versuchte sie vehement herunter zu spielen. Sie stellte sich als "naives Anhängsel" dar, als eine, die zwar immer mit führenden Neonazis Beziehungen führte, aber selbst von nichts eine Ahnung hatte. "Ich bin immer einfach nur mitgegangen", sagte sie mir. Sie habe sich einfach bei den starken Männern beschützt gefühlt. "Die Kameraden waren meine Familie". Irgendwann habe sie festgestellt, dass dieses Beschützen auch Kontrolle ist. "Ich wurde doof angemacht, als ich mir mal einen Döner holen wollte." Sie sei zu Dingen gedrängt worden, die sie nicht machen wollte. Ich fragte sie, was das gewesen sei. Mandy S. schwieg und schaute weg.
Ich holte die Kopie eines Artikels aus meiner Tasche: "Die Einheit der Rechten, eine Illusion?" aus dem Blood & Honour Fanzine "Landser". Ob sie den kenne? Mandy S.' Hände zitterten, als sie nach dem Zettel griff. "Wir kämpfen für ein freies Deutschland, das nur durch Zusammenhalt erreicht werden kann" steht darin und dass der "Nationale Widerstand" alle umfassen soll, "die reinen Blutes sind." Die Autoren: Richard L. und Mandy S. aus Chemnitz. Ja, den habe sie geschrieben, sagte sie. Aber das sei doch alles so lange her.