Merkels Nahost-Reise Das darf es nicht gewesen sein

Ein Essay von Stefan Braun
Kanzlerin Merkel reiste in Friedensmission nach Jordanien, Israel und Libanon. Nun wollen Israel und einige arabische Staaten eine Konferenz ausrichten. Doch das kann nur ein Anfang sein. Joschka Fischer muss ran.

Es sieht wieder schön aus. Es ist wieder sehr gut gemeint. Angela Merkel beim jordanischen König, Angela Merkel beim israelischen Regierungschef, Angela Merkel beim palästinensischen Präsidenten. Merkel, die deutsche Kanzlerin auf Nahostmission, die EU-Ratspräsidentin macht, was sie kann für den Frieden zwischen Israel und den Palästinensern. Es geht um Vertrauensbildung, um Annäherung, um erste Schritte. Wie seit Jahren. Wie seit Jahrzehnten. Und der Ertrag? Nicht schlecht fürs erste. Ein bisschen was ist in Bewegung geraten. Dass Israel und einige moderate arabische Staaten eine Konferenz vorschlagen - das hat es lange nicht gegeben. Das darf nicht alles bleiben. Es muss der Anfang sein für eine echte Initiative. Wie die aussehen sollte?

Ein Blick zurück weist die Richtung. Ein Dezemberabend in Israel. Joschka Fischer zu Gast. Joschka Fischer am Rednerpult. Joschka Fischer mit dem Vorschlag aller Vorschläge. Der Visionär - ganz groß. Sein alles überragender Satz: "Jetzt bedarf es des Mutes, das scheinbar Unmögliche zu denken - und anzupacken."

Bislang nicht mehr als Aufrufe

Große Worte. Dreieinhalb Jahre ist das her. Große Worte, die keiner erfüllt hat. Nicht in den Jahrzehnten davor. Nicht in den Jahren danach. Die Palästinenser nicht. Die Israelis nicht. Und die große weite Welt der Vermittler erst recht nicht. Kein Europäer, kein Russe, kein Amerikaner und auch kein Vertreter der Vereinten Nationen hat je gewagt, mehr zu tun als die "Konfliktparteien" zur Vernunft zu rufen. Das Ergebnis, trotz mancher Zwischenerfolge wie dem Osloprozess oder dem Frieden mit Jordanien: der Kernkonflikt zwischen Israelis und Palästinensern ist einer Lösung nicht näher gekommen. In der wohlwollendsten Interpretation ist es die Geschichte der tausend vertanen Chancen. Ein Schritt vor und zwei zurück - das kennen beide Seiten. Das kennen alle.

Die Alternative heißt: Sich der Worte Fischers erinnern. Und sie ernst nehmen. Nicht die Israelis und Palästinenser alleine, sondern die Vermittler müssen mit "scheinbar unmöglichem" aufwarten, um vermeintlich "Unmögliches" endlich zu schaffen: einen umfassenden und dauerhaften Frieden. Europäer, Russen, Amerikaner, dazu gesprächsbereite arabische Staaten - sie müssen eine Konferenz organisieren. Sie müssen einen Rahmen für einen Friedensschluss formulieren.

Das Volk muss entscheiden

Und dazu müssen sie ein großes Angebot unterbreiten. Ein Angebot wirtschaftlicher Anbindung der beiden künftigen Staaten an die EU; ein Angebot militärischer Sicherheit durch glasklare Garantien aller Großmächte; ein Angebot rechtlicher Sicherheit durch Verträge und Schirmherrschaften, die alle großen internationalen Akteure - die USA, Russland, die EU und die Vereinten Nationen - an den Frieden binden. Wenn dieses Paket geschnürt ist, kommt der entscheidende Schritt: die Abstimmung. Nicht als Votum der israelischen und der palästinensischen Regierungen, nicht als Beschluss ihrer Parlamente. Über das ganze Paket müssen und werden die Völker entscheiden. In Volksabstimmungen. Und dann wird es egal sein, wer gerade in Israel regiert und wer bei den Palästinensern. Beide Völker werden nicht über diese Grenzziehung oder jenes Hilfsangebot entscheiden. Sie werden sich für oder gegen das ganze Paket, eben für oder gegen einen umfassenden Frieden, für oder gegen eine wirkliche Zukunft, für oder gegen eine ganz große Chance entscheiden müssen. Es wird auf beiden Seiten überwältigende Mehrheiten für einen Friedensschluss geben.

Drei Punkte für den Frieden

Ist das wirklich möglich? Gibt es nicht viel zu viele Streitpunkte, die ungelöst sind? Wahrscheinlich nicht. In Wahrheit wissen alle, die sich damit beschäftigen, wie ein Friedensschluss, so man ihn wirklich möchte, aussehen müsste. Thema 1: die palästinensischen Flüchtlinge. Auch die Palästinenser wissen, dass sie nicht in ein künftiges Israel zurückkehren können. Sie wollen dafür aber eine Entschädigung haben. Thema 2: die jüdischen Siedlungen und die Grenzen. Jeder weiß, dass sich die Israelis nicht überall hinter die Grenzen vor dem Sechs-Tage-Krieg 1967 zurück ziehen werden. Aber auch die Israelis wissen, dass sie gut 90 Prozent der Gebiete räumen müssen. Das bedeutet für die Siedlungen: die großen an der Grenze zu Israel werden israelisch; viele kleine, versprengte, tief im Westjordanland liegende werden dagegen geräumt werden müssen. Thema 3: Jerusalem. Natürlich ist das ein großes Problem. Trotzdem ahnt jeder, dass es einen israelischen und einen palästinensischen Teil geben wird. Und einen bilateral oder international geschützten Heiligen Bezirk. Wenn es im Zuge eines Gesamtpakets um alles geht, wird es daran nicht scheitern.

Wer hat Zeit? Fischer natürlich

Was jetzt noch fehlt, ist jemand, der an diesen Plan glauben möchte. Der was riskiert. Der Unmögliches denken und anpacken könnte. So jemanden gibt es nicht? Von wegen. Es gibt eine Expertin. Wer hätte, außer ihr selbst, im Jahre 2000 geglaubt, dass Angela Merkel Bundeskanzlerin werden könnte? Wer hätte geglaubt, dass sie sich international so schnell ein solch gutes Renommee erarbeiten würde? Und wer hätte gedacht, dass deutsche Soldaten die Küstengewässer vor dem Libanon überwachen? Eben! Na also! Bleibt die Frage, ob die Bedingungen für ein solches Engagement gegeben sind. Sie sind es. Die Bush-Regierung sehnt sich nach einem Erfolg wenigstens zum Ende der Amtszeit. Sie dürfte bereit sein.

Russlands Präsident Wladimir Putin poltert zwar manchmal außenpolitisch, könnte aber sehr empfänglich sein für einen solchen Plan, wenn er dabei wirklich wie ein Partner behandelt würde. Und die EU? Sie muss beweisen, dass sie ein echter globaler Akteur sein will. Am besten im Einsatz für den Frieden. Nichts eignet sich dafür besser, als der ewige Krisenherd, dieser Dauerkonflikt, diese Tragödie im Nahen Osten. Ach ja, einen Vorsitzenden für die Konferenz gibt es auch schon: Joschka Fischer. Der ist frei, der hat Zeit. Und der würde seinen Worten von einst sicher gerne endlich Konkretes folgen lassen.