Dass von der atomaren Katastrophe in Japan für die Bürger hier "keine Gefährdung" ausgehe, davon zeigte sich der baden-württembergische Ministerpräsident Stefan Mappus (CDU) am Sonntag auf einer Wahlkampfveranstaltung überzeugt. Für seine politische Karriere gilt das allerdings nicht: Bei der Landtagswahl am 27. März muss Mappus befürchten, dass die Wähler ihm die Quittung für seinen entschiedenen Einsatz für eine Laufzeitverlängerung der Atommeiler im Land präsentieren. In aller Eile setzt der Regierungschef nun auf eine Über-alles-Reden-Strategie, mit der er bei der Schlichtung im Streit um das Bahnprojekt "Stuttgart 21" bereits Erfolg hatte.
Schon vor der Atomkatastrophe in Japan zeichnete sich in den Umfragen ein Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen der bislang regierenden schwarz-gelben Landesregierung und Rot-Grün ab. Nun könnte Mappus' strikte atomfreundliche Politik den Christdemokraten weitere wichtige Stimmen kosten. Im Streit um den Ausstieg aus dem Atomausstieg hatte Mappus seinem Parteifreund und Bundesumweltminister Norbert Röttgen sogar den Rücktritt nahegelegt, nur weil Röttgen für ein nur wenige Jahre dauernde Laufzeitverlängerung plädierte.
Mappus' Gründe für den Kampf um den Atomstrom sind aus seiner Sicht nachvollziehbar: Nirgends ist die Abhängigkeit vom Atomstrom so groß wie in Baden-Württemberg. Die insgesamt vier Atommeiler in Neckarwestheim und Philippsburg produzieren fast die Hälfte des landesweiten Strombedarfs, nur 14 Prozent kommen aus erneuerbaren Energien. Zudem müssen bislang 17 Prozent von außerhalb zugekauft werden.
Mappus, der im Mai vergangenen Jahres noch für eine Laufzeitverlängerung von "15 Jahren plus X" auch für die Atommeiler im Südwesten plädiert hatte, wechselte am Sonntag die Spur und startete eine Aufklärungskampagne, wie das die Bürger seit der Schlichtung zu "Stuttgart 21" kennen: In Fragen der Laufzeitverlängerung stehe er "zu allen Diskussionen, was möglich ist, bereit", sagte Mappus auf der Wahlkampfveranstaltung in Oberschwaben.
Zudem soll der Stuttgarter Landtag am Dienstag auf Antrag der CDU über "Konsequenzen aus dem Atomunfällen in Japan für die Energieproduktion in Baden-Württemberg" debattieren. Und eine hochrangig besetzte Expertenkommission mit dem ehemaligen Vorsitzenden der Reaktorsicherheitskommission, Klaus-Dieter Bandholz, und dem atomkritischen Experten Michael Sailer vom Öko-Institut Darmstadt soll "mögliche Konsequenzen" aus dem Katastrophe in Japan prüfen, deren Umsetzung er dann wiederum prüfen wolle.
Schließlich lässt Landesummweltministerin Tanja Gönner (CDU) seit Montag die Notstromversorgung der Atommeiler im Land überprüfen. Das geschehe "ergebnisoffen": Wenn in einem Kraftwerk keine Sicherheit gewährleistet sei, werde auch abgeschaltet, kündigte Gönner im Deutschlandfunk an.
Atomkraftgegner bezweifeln allerdings, dass diese Kehrtwende bis zum Wahltermin in knapp zwei Wochen konkrete Ergebnisse bringen wird. Sie werfen der schwarz-gelben Landesregierung zudem vor, Nachrüstungen für den Weiterbetrieb der beiden Uraltmeiler Philippsburg 1 und Neckarwestheim 1 nicht vorangebracht zu haben. Die Umweltschutzorganisation Greenpeace zeigte Gönner sogar an, weil sie angeblich Unterlagen über die Sicherheit von Philippsburg 1 trotz richterlicher Aufforderung zurückhält.
Der SPD-Spitzenkandidat Nils Schmid und Grünen-Herausforderer Winfried Kretschmann sehen sich dagegen in ihrer Haltung bestätigt und würden nach einem Wahlsieg zumindest Philippsburg 1 und Neckarwestheim 1 abschalten. "Ich werde in Baden-Württemberg alles in Bewegung setzen, die beiden ältesten Meiler in unserem Land bis Jahresende stillzulegen", sagte Schmid der "Rheinischen Post" vom Montag. Die Risiken der Atomkraft seien "nicht beherrschbar". So sehen das in Baden-Württemberg inzwischen viele: Rund 60.000 Bürger beteiligten sich am Samstag nach Angaben der Veranstalter an einer Menschenkette vom Akw Neckarwestheim nach Stuttgart.