In Bergheim im Rhein-Erft-Kreis gibt es nicht viel. 63000 Einwohner, eine etwas triste Fußgängerzone mit vielen italienischen Eis-Dielen, ein neues Konzerthaus. Das war’s. Nur Braunkohle, die haben sie hier in rauen Mengen, der Energieversorger RWE ist der größte Arbeitgeber. An sich ist Bergheim SPD-Land und dennoch kommen heute Abend die anderen – fast die gesammelte FDP-Prominenz des Landes.
Bergheim wartet auf Westerwelle
Es ist halb elf. Das "Riva", ein Pavillon mit Restaurant und Eisdiele, ist hell erleuchtet. Drumherum haben sie gelbe Flecken postiert, Wahlplakate der FDP, viele kleine, auf denen köhlersche Slogans stehen, wie "Arbeit hat Vorfahrt", und "Wechsel sichern", und ein großes, das den hiesigen Landtagsabgeordneten Horst Engel zeigt. Drinnen, im "Riva", stehen an diesem lauen Abend achtzig, vielleicht auch hundert Leute - ein gediegenes aber entspanntes Publikum, größtenteils Parteigänger, etwas weniger als erhofft, aber immerhin. Sie warten auf Guido Westerwelle, den Parteichef. Unermüdlich tourt Westerwelle in diesem Wahlkampf durch das Land, drei, vier Veranstaltungen am Tag. Es riecht nach Wechsel in Düsseldorf. Und da will er die Partei hinter sich wissen, und er will, dass die Partei merkt, dass er sie stützen kann, sie beflügeln kann, mindestens so wie Jürgen Möllemann, der tote Superstar. Dafür legt er sich ins Zeug. Dafür hat er sogar versprochen, nach Bergheim zu kommen. Bald. Heute Abend.
Bürger bemerken Möllemanns Fehlen
"An den Infoständen merke ich das schon", sagt einer der zwei FDP-Vertreter im Bergheimer Stadtrat. "Die Leute sprechen mich auf Möllemann an und sagen: Mensch, schade, dass der nicht mehr da ist. Der hat wenigstens noch gesagt, was er will – auch wenn er danach Ärger bekommen hat. Für mich ist es schwer, den Leuten zu erklären, dass man so heute keine Politik mehr machen kann". Grandiose 9,8 Prozent hatte Möllemann 2000 mit einem furiosen Wahlkampf für die FDP herausgeholt. 2003 kam er bei einem Fallschirm-Unfall ums Leben. Jetzt liegen die Liberalen in den Umfragen bei rund sieben oder acht Prozent. Das reicht, um in den Landtag einzuziehen, das reicht, um gegebenenfalls mit der CDU die Regierung zu bilden - aber es ist weniger als das letzte Mal. Das nagt.
Florida-Wolf und der Personalprobleme der FDP
Seit Möllemanns Tod hat die FDP in NRW ein Personalproblem. Andreas Pinkwart, der Landeschef, ist vielleicht noch bundesweit bekannt, aber schon bei Ingo Wolf, dem Spitzenkandidaten in diesem Wahlkampf, hört es auf. Wolf, der für eine schwarz-gelbe Landesregierung als Innenminister gehandelt, fiel im April erstmals wirklich auf, als der "Spiegel" herausfand, dass der ehemalige Richter und Oberkreisdirektor pro Jahr dank eines Sammelsuriums von öffentlichen Bezügen und Pensionen mehr als 200.000 Euro verdient, mehr als sogar der Bundespräsident. "Florida-Wolf" wurde er dafür getauft. Aus der Not haben sie hier versucht, eine Tugend zu machen, vor allem mit einer radikalen Verjüngungs-Kur. Symbol dieser Kur ist Christian Lindner aus Wermelskirchen. 26 ist der erst alt, seit 2000 jüngster Abgeordneter im Düsseldorfer Landtag, seit November 2004 Generalsekretär - derjenige, der den Wahlkampf der Partei in diesem wichtigen Land steuert.
Der junge Generalsekretär erinnert an Friedrich Merz
Auch Lindner ist da, an diesem Abend im Bergheimer "Riva". Er ist großgewachsen, ein schlaksiger Typ mit kurzem, blondem Haar und hellgrauem Anzug. Er lacht viel, scherzt hier, scherzt da. Sie mögen ihn hier. Er ist einer der Jüngsten, hat den Benjamin-Bonus, ist aber auch einer, der den Älteren nutzen kann. Das wissen alle. Lindners Mimik erinnert dabei ein wenig an Friedrich Merz, den exilierten CDU-Finanzexperten. Wenn dieser mit kürzer gewachsenen Menschen sprechen muss, was häufig geschieht, senkt er das Kinn auf die Brust. Gleichzeitig aber zieht er, wie zum Ausgleich, die Augenbrauen nach oben. Lindner macht das auch so. Und auch seine Rhetorik, die klare Aussprache und die Redemelodie, ähnelt dem Merzschen Vorbild.
<zwit>336 Euro für Rot-Grün Den Wahlkampf hat Linder eher konventionell gestaltet, die Zeiten der Spaßpartei sind vorbei. Das ist schon allein an den Plakaten erkennbar. Sie sind bieder-konventionell, schnörkellos. Nur einen Gag hat Lindner sich erlaubt. Bei Ebay hat er die Landesregierung meistbietend versteigert. Am Freitagabend gab er den Erlös bekannt: 336 € sei Rot-Grün noch wert, sagte Lindner. Immerhin. Das Geld werde er spenden. Die sonstigen Themen kann er im Schlaf herunterbeten - schnellstmögliches Ende der Steinkohle-Subventionen, Bürokratie-Abbau, Bildungsreform. Dass er sich eingearbeitet hat in die Themen, merkt man. Jedem Eindruck, er sei ein politisches Leichtgewicht, will er vorbeugen. Wenn er über die Rettung der siechen Zonen im Ruhrgebiet spricht, darüber, wie man Investoren dorthin lockt, wagt er sich auch in die Verästelungen des Steuerrechts, schreckt auch vor Worten wie "Gemeindesteuerhebesatz" nicht zurück.
Lindner dringt auf schnelle Maßnahmen
Was aus ihm werden soll, wenn die FDP in Düsseldorf Regierungspartei wird, verrät Lindner nicht. In der Fraktionsspitze wird der auf jeden Fall vertreten sein, die Fraktion vielleicht sogar führen - eine Art Praktikum für höhere Aufgaben wäre das. Im Bund. Aber das sagt Lindner nicht. Was er jedoch sagt ist, dass die Leute schnell sehen sollen, dass die FDP, wenn sie erst einmal an der Macht ist, etwas bewegt. Das mit den Kürzungen der Kohle-Suventionen will er rasch durchdrücken, und das mit dem Bürokratie-Abbau auch. "Wir wollen dafür sorgen, dass wir im Bundestagswahlkampf 2006 sagen können: Wir können das."
Westerwelle hofft auf Signal für Berlin
NRW als Vorbild für einen Wechsel im Bund. Auch Guido Westerwelle, Lindners Parteichef predigt das. Um zehn vor elf kommt er endlich an im "Riva". Es ist seine dritte Veranstaltung an diesem Tag. "Sie sehen einen gelösten, aber erschöpften Wahlkämpfer", sagt er. Er ist so gelöst, dass er sich sogar erlaubt, vor Publikum einen Zigarillo zu rauchen. Es ist keine Kamera da, die das filmen könnte. Der Moderator eines lokalen Radiosenders stellt Lindner und Westerwelle Fragen, die beiden werfen sich die Bälle zu, "Midnight Talk" haben sie das hier geschickt getauft. Aber auch hier kommt Westerwelle nicht aus der Deckung, verkündet keinen Sieg, der noch keiner ist. Bis zum Sonntag müsse weitergekämpft werden, sagt er. Vorher stehe noch nichts fest. Dennoch, die FDP-Mantra wiederholt er: Ein schwarz-gelber Sieg in NRW, sagt Westerwelle, werde Auswirkungen auf Berlin haben. "Ich hoffe, dass Rot-Grün vor dem Herbst 2006 ins Rutschen kommt". Er setzt auf vorzeitige Neuwahlen im Bund. Lange bleibt Westerwelle nicht im Bergheimer Pavillon, er muss weiter. Zu den Jungen. "In Köln feiern die Jungliberalen", sagt er. "Da muss ich unbedingt hin, mich für ihr Engagement bedanken." Das Nordrhein-Wesfalen nach Möllemann erscheint wie Westerwelles Jungbrunnen.
Um Mitternacht kommt Wolf
Kaum ist der Parteichef weg, kommt Horst Engel, der lokale Abgeordnete, in Nöte. Viele Leute wollen schon gehen, als Ingo Wolf, der Spitzenkandidat, auf dem Handy anruft. Auch Wolf komme noch in das "Riva", verkündet Engel jenen, die ausharren. Als Wolf dann zwanzig Minuten später tatsächlich auftaucht, sind fast mehr Mandatsträger in dem Pavillon als Publikum. Es ist kurz vor Mitternacht. Der Moderator, der eigentlich schon nach Hause gehen wollte, stellt noch ein paar Fragen, Wolf gibt noch ein paar launige Antworten. Dann ist die nordrhein-westfälische Parteispitze fast unter sich, hier in Bergheim. Aber egal. Für Martin Schüller, den Bergheimer Parteichef, ist der Abend ein voller Erfolg. Zwei Tage vor der Wahl hat er es geschafft, fast die gesamte Parteispitze im "Riva" zu versammeln. Man merkt Schüller seinen Stolz an. Irgendwie passt es ins Bild, dass auch er erst 24 Jahre alt ist.