Mehr als eineinhalb Stunden dauert die Verlesung der Aussage der mutmaßlichen Neonazi-Terroristin Beate Zschäpe im Münchner NSU-Prozess. Dies sind die wesentlichen Inhalte:
ENTSCHULDIGUNG:
Ganz am Ende ihrer Aussage bittet Zschäpe um Entschuldigung: Sie entschuldige sich bei den Opfern und den Angehörigen der Opfer der von Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt begangenen Taten. Und sie sagt: "Ich fühle mich moralisch schuldig, dass ich zehn Morde und zwei Bombenanschläge nicht verhindern konnte."
DIE MORDE:
Von allen zehn Morden - neun an türkischen Migranten, einer an einer deutschen Polizistin - will Zschäpe vorher jeweils nicht gewusst haben. Immer wieder fällt dieser Satz: Sie sei weder an der Vorbereitung noch an der Durchführung der Verbrechen beteiligt gewesen. Mundlos und Böhnhardt hätten ihr immer erst später davon berichtet - und sie sei stets fassungslos, geschockt und entsetzt gewesen. "Ich wusste von nichts. Ich hatte keinerlei Vorbereitungshandlungen mitbekommen", sagt Zschäpe beispielsweise über den ersten Mord im Jahr 2000 in Nürnberg. Später sei sie dann "enttäuscht" darüber gewesen, dass die beiden erneut gemordet hätten, heißt es an einer Stelle ihrer Aussage. Auch vom Mord an der Polizistin Michèle Kiesewetter habe sie erst danach erfahren. Dabei sei es Böhnhardt und Mundlos nur um die Pistolen der beiden Polizisten gegangen, auf die sie geschossen hatten. Ein Beamter überlebte schwer verletzt.
DIE SPRENGSTOFFANSCHLÄGE:
Auch vom Bombenanschlag auf ein iranisches Geschäft in der Kölner Probsteigasse und dem Nagelbombenanschlag in der Kölner Keupstraße will Zschäpe vorher jeweils nichts gewusst haben. Sie stellt aber klar, dass es Böhnhardt war, der die Bombe in dem Lebensmittelgeschäft deponierte. Auch von dem verheerenden Anschlag in der Keupstraße sei sie "einfach nur entsetzt" gewesen.
Hintergrund & Chronologie: NSU
Die Neonazis Uwe Böhnhardt, Uwe Mundlos und Beate Zschäpe tauchen nach einer Razzia der Polizei in ihrer Bombenwerkstatt in Jena ab. Im selben Jahr gründet das Trio eine Terrorgruppe. Zwischen 2000 und 2007 erschoss die Gruppe dann nach Erkenntnissen der Ermittler zehn Menschen, neun davon ausländischer Herkunft. Mit Sprengstoffanschlägen sollen sie Dutzende verletzt haben.
Spätestens von 2001 an nannten sie sich "Nationalsozialistischer Untergrund" (NSU). Nach dem Tod ihrer Kumpane im November 2011 stellte sich Zschäpe der Polizei. Seit Mai 2013 wird in München gegen sie und mutmaßliche Unterstützer verhandelt.
Uwe Mundlos (1973 - 2011): Mundlos wuchs als Kind eines Mathematikers und späteren Informatik-Professors sowie einer Supermarktkassiererin in Jena auf.
Uwe Böhnhardt (1977 - 2011): Böhnhardt verbringt seine Kindheit ebenfalls in Jena, die Mutter ist Lehrerin, der Vater Ingenieur.
Beate Zschäpe (geb. 1975): Die ersten Jahre ihres Lebens verbringt sie zu großen Teilen bei den Großeltern in Jena und dem Stiefvater, weil ihre Mutter in Rumänien Zahnmedizin studiert.
Die drei lernen sich nach der Wende in ihrer Heimatstadt kennen. Zschäpe ist erst mit Mundlos, später mit Böhnhardt zusammen. Das Trio bleibt trotzdem zusammen und driftet im Laufe der 1990er Jahre zunehmend in die radikale rechtsextremistische Szene ab. Ab 1998 tauchen sie unter. Böhnhardt und Mundlos werden 2011 nach einem Banküberfall tot in einem Wohnmobil gefunden, Zschäpe stellt sich nach tagelanger Flucht der Polizei.
- 9. September 2000: Erstes NSU-Opfer wird der türkischstämmige Blumenhändler Enver S. (38) in Nürnberg. 19. Januar 2001: Sprengstoffanschlag des NSU auf ein Lebensmittelgeschäft in Köln. Eine 19-jährige Deutsch-Iranerin wird schwer verletzt.
- 13. Juni 2001: In Nürnberg wird der Schneider Abdurrahim Ö. (49) mit der Ceska erschossen.
- 27. Juni 2001: Der Gemüsehändler Süleyman T. (31) stirbt in Hamburg.
- 29. August 2001: In München wird der Händler Habil K. (38) erschossen.
- 25. Februar 2004: Der Imbiss-Verkäufer Yunus T. (25) wird in Rostock ermordet.
- 9. Juni 2004: Bei einem Bombenanschlag in der überwiegend von Türken bewohnten Kölner Keupstraße werden 22 Menschen verletzt.
- 9. Juni 2005: Der Imbissbuden-Besitzer Ismail Y. (50) wird in Nürnberg das sechste Opfer des NSU.
- 15. Juni 2005: In München wird Theodoros B. (41) erschossen.
- 4. April 2006: Der Kioskbetreiber Mehmet K. (39) stirbt in Dortmund.
- 6. April 2006: Halit Y. (21) wird in seinem Internet-Café erschossen. Weiterhin sehen die Ermittler keine Rechtsextremen hinter der Mordserie.
- 25. April 2007: Der zehnte NSU-Mord - die Polizistin Michèle K. (22) wird auf einem Parkplatz in Heilbronn erschossen.
Mundlos und Böhnhardt werden am 4. November 2011 nach einem gescheiterten Sparkassen-Überfall in Eisenach erschossen in einem Wohnmobil gefunden. Dabei entdecken Beamte die Dienstwaffe der ermordeten Polizistin K. Am selben Tag steckt Zschäpe die Zwickauer Wohnung des Trios in Brand. Nach der Wohnungsexplosion flüchtet sie und fährt fünf Tage kreuz und quer durch Nord- und Ostdeutschland, verbringt die Nächte im Zug und besucht den Ort, an dem ihre mutmaßlichen Komplizen starben - eine Irrfahrt. Im Anschluss stellt sie sich der Polizei.
Mit Holger G. wird am 13. November 2011 der erste von insgesamt fünf Männern festgenommen, die dem NSU geholfen haben sollen. Vier kommen im Frühjahr 2012 wieder frei - neben G. sind dies Andre E., Matthias D. und Carsten S. Der am 29. November 2011 festgenommene Ex-NPD-Funktionär Ralf Wohlleben bleibt hingegen bis heute in U-Haft.
Im Zuge der polizeilichen Ermittlungen und parlamentarischen Aufarbeitung der Terrorserie werden Fehler, Pannen und Ungereimtheiten zu Tage gefördert, darunter:
- Ein Referatsleiter des Bundesverfassungsschutz (BVS) hatte im November 2011 Akten über thüringische Rechte schreddern lassen. Ein Eklat, der BVS-Chef Heinz Fromm das Amt kostet
- Bereits früh erkannte Hinweise auf einen rechtsextremen Hintergrund der Morde wurden von den Ermittlern lange vernachlässigt
Im August 2013 legt der NSU-Untersuchungsauschuss des Bundestags seinen Abschlussbericht vor. Darin werden den Ermittlungsbehörden schwere Versäumnisse vorgeworfen.
Im Mai 2013 beginnt der Prozess gegen Beate Zschäpe und vier weitere Angeklagte vor dem Oberlandesgericht München. Insgesamt umfasst die Anklageschrift 488 Seiten, es gibt 80 Nebenkläger und 606 Zeugen. Zschäpe schweigt vom Prozessauftakt an konsequent. Das Verhältnis zu ihren Pflichtverteidigern Anja Sturm, Wolfgang Heer und Wolfgang Stahl verschlechtert sich mit der Zeit zunehmend. Mandantin und Pflichtverteidiger versuchen mehrmals vergeblich einander loszuwerden. Im November 2015 kommt Mathias Grasel als vierter Pflichtverteidiger hinzu und bestimmt seit dem die Taktik der Verteidigung.
Scheinbar war es Grasel, der Zschäpe nach zweieinhalb Jahren Prozessdauer dazu brachte, am 9. Dezember 2015 ihr Schweigen zu brechen und auszusagen: Zschäpe entschuldigte sich "aufrichtig" bei den Opfern, die Schuld an den Verbrechen wies sie jedoch von sich. Zudem bestritt sie, Mitglied des NSU gewesen zu sein.
BANKÜBERFÄLLE:
Zschäpe räumt ein, von den regelmäßigen Banküberfällen der beiden habe sie gewusst, allerdings nicht im Detail. Sie habe die Überfälle aber akzeptiert und davon profitiert - mit dem Geld habe man das Leben im Untergrund finanziert.
DER TOD DER BEIDEN UWES:
Vom Tod ihrer beiden Freund will Zschäpe aus dem Radio erfahren haben. Bei der Meldung, dass ein Wohnmobil brenne und dass darin zwei Leichen gefunden worden seien, habe sie sofort gewusst, dass es sich um Mundlos und Böhnhardt handeln musste.
BRANDSTIFTUNG:
Zschäpe räumt ein, die letzte Fluchtwohnung des NSU in Zwickau in Brand gesteckt zu haben. Sie habe damit ein Versprechen eingelöst, das sie Mundlos und Böhnhardt gegeben habe. Zschäpe weist aber den Anklagevorwurf des versuchten Mordes zurück: Sie sei sich sicher gewesen, dass weder ihre Nachbarin noch zwei Handwerker im Haus gewesen seien.

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TERRORISTISCHE VEREINIGUNG:
Zschäpe argumentiert, es habe keine Terrorgruppe namens "Nationalsozialistischer Untergrund" (NSU) gegeben. Sie sei an keiner Gründung beteiligt und kein Mitglied gewesen. Sie habe sich weder damals noch heute als Mitglied einer solchen Bewegung gesehen. "Ich weise den Vorwurf der Anklage, ich sei ein Mitglied einer terroristischen Vereinigung namens NSU gewesen, zurück", heißt es in Zschäpes Aussage. Insbesondere bestreitet sie auch den Anklagevorwurf, "gleichgeordnetes" Mitglied gewesen zu sein. Wenn man den NSU als Vereinigung betrachten wolle, dann habe dieser maximal aus zwei Personen bestehen können: Mundlos und Böhnhardt. Sie habe sich weder mit den Morden noch mit einem ideologischen Hintergrund identifiziert.
BEKENNER-DVD:
Das sogenannte Paulchen-Panther-Video, in dem sich der NSU zu den Morden und Anschlägen bekennt, will Zschäpe erst im Prozess das erste Mal gesehen haben. Sie habe nicht bei der Erstellung geholfen. Auch den Inhalt habe sie nicht gekannt - nur vermutet, dass die Überfälle und die Morde Gegenstand sein könnten.
WAFFEN:
Zschäpe will keine Waffe besorgt und auch an keiner Lieferung oder Übergabe beteiligt gewesen sein. Sie wusste aber von mehreren Waffen in der Wohnung: "Ich gewöhnte mich daran, ab und zu eine herumliegende Pistole gesehen zu haben. Akzeptiert habe ich es nie."
FINANZEN:
Den Vorwurf der Bundesanwaltschaft, sie habe die Finanzen für das Trio verwaltet, weist sie zurück. Nur im Urlaub sei sie für die Kasse verantwortlich gewesen, "weil ich am sparsamsten war". Auch die Miete habe meist sie bezahlt. Ansonsten habe es keine speziellen Zuständigkeiten für das Bestreiten der alltäglichen Kosten gegeben.
TARNUNG:
Zschäpe räumt ein, an der Tarnung des Trios mitgewirkt zu haben - aber aus Eigeninteresse: Auch sie selbst sei ja schon seit Jahren auf der Flucht und damit in der Illegalität gewesen. Die Schlussfolgerung der Bundesanwaltschaft, sie sei deshalb mit den Morden einverstanden gewesen, weist Zschäpe allerdings zurück.
KINDHEIT UND JUGEND:
Zschäpe schildert ihre schwierige Kindheit. Die richtige Schreibweise ihres rumänischen Vaters habe sie erstmals in der Anklageschrift zum NSU-Prozess gesehen. Bereits zu DDR-Zeiten habe die Mutter übermäßig getrunken. Kurz nach der Wende habe sie Mundlos kennengelernt und sei mit ihm zusammen gewesen. Die beiden hätten "nationalistische Lieder" gehört und auch "mitgegrölt". Bei ihrem 19. Geburtstag habe sie Böhnhardt kennengelernt und sich in ihn verliebt.
ERKLÄRUNGSVERSUCHE:
Im Grunde, sagt Zschäpe, habe sie gegen ihren Willen im Untergrund gelebt. Zu Beginn habe sie Gefängnis gefürchtet, weil in einer von ihr gemieteten Garage Sprengstoff gefunden worden sei. Nach dem ersten Mord und auch danach habe sie immer wieder aussteigen wollen, aber die beiden Uwes hätten für diesen Fall mit Selbstmord gedroht. Sie habe sich "von den Taten abgestoßen, nach wie vor zu Böhnhardt hingezogen" gefühlt und sich dem "Schicksal hingegeben", mit den beiden Männern zu leben. "Die beiden brauchten mich nicht, ich brauchte sie."