Scholz im Baltikum Kaum war der Kanzler gelandet, wurde die Bedrohung konkret

Bundeskanzler Olaf Scholz steht in einem Radpanzer vom Typ "Boxer" der Bundeswehr
Bundeskanzler Olaf Scholz steht in einem Radpanzer vom Typ "Boxer" der Bundeswehr
© Kay Nietfeld / Picture Alliance
Olaf Scholz besucht deutsche Soldaten, die in Litauen die Nato-Ostflanke sichern. Hier ist die Sorge vor Putins Armee besonders groß. Aus Gründen.

Der Kanzler fährt im Boxer vor, Olaf Scholz schaut oben aus der Luke des gepanzerten Fahrzeugs, so wie es sich gehört für einen echten Truppenbesuch. Dann nimmt er Platz auf einer kleinen Anhöhe, im grünen Zelt vor Regen geschützt, zwischen Generalmajor Ruprecht Horst von Butler und Litauens Präsident Gitanas Nauseda.

Hier auf dem Truppenübungsplatz Paprade, etwa eine Stunde nördlich der litauischen Hauptstadt Vilnius, sieht Scholz sodann gepanzerte Militärfahrzeuge durchs sandige Gelände rasen, wendige Wiesel, schnelle Boxer, wuchtige Griffons, deutsche, französische, litauische. Hört, wie am Horizont Granaten einschlagen und in der Nähe Maschinengewehrsalven knattern. Sieht die roten Striche der Leuchtspurmunition, kleinere Feuer, größere Rauchwolken. Dann ist der imaginäre Feind in die Flucht geschlagen.

So soll es idealerweise laufen

So sollte es idealerweise laufen, wenn Russland eines Tages das Baltikum angreifen würde – was auch die deutsche Präsenz hier an der Nato-Ostflanke verhindern möge.

So hatte es Scholz eben erst betont, beim Statement vor martialischer Kulisse: Dass Deutschland weiter "unverrückbar an der Seite der baltischen Staaten" stehe, weiterhin fest entschlossen, "jeden Zentimeter" Nato-Gebietes zu verteidigen. Auch um dies zu erneut bekräftigen, ist Scholz zu diesem Eintages-Trip ins Baltikum aufgebrochen. Und kaum war der Kanzler in Vilnius gelandet, wurde die ohnehin stets vorhandene reale russische Bedrohung noch ein bisschen konkreter: "Putin kündigt Atomübungen nahe der Grenze zur Ukraine an," so meldeten es eilig die Nachrichtenagenturen. Scholz wird dazu später erklären: "Nukleare Waffen dürfen nicht eingesetzt werden." Er verweist dabei auch auf sein Gespräch mit dem chinesischen Präsidenten Xi Jinping 2023. Xi hatte sich diese Position zu eigen gemacht, was als Warnung an den Verbündeten Russland verstanden werden konnte, den Krieg nicht zu eskalieren

Litauens Präsident Nauseda betonte darum die "existenzielle Bedeutung" der engen Zusammenarbeit mit Deutschland, er dankte dem Kanzler sogar persönlich für den Beitrag zur Stärkung der Sicherheit Litauens. 

"Zeugnis der Führungsstärke"

Neben dem nun anlaufenden Panzermanöver leitet Deutschland derzeit die unterstützende Luftverteidigung im gesamten Baltikum im Rahmen des "Air Policing", führt die multinationale "Battlegroup" zum Schutz der Ostflanke in Litauen und wird sehr bald dauerhaft eine komplette deutsche Brigade im Land stationieren. Für Deutschland das wohl deutlichste Zeichen der Zeitenwende. Für Nauseda "ein Zeugnis und ein Beispiel für dringend benötigte Führungsstärke und das starke Engagement für die kollektive Verteidigung". 

"Führungsstärke", "starkes Engagement" – Worte, die der Kanzler zuhause nicht allzu oft zu hören bekommt, auch wenn Nauseda selbst wohl am besten weiß, wie viel Überzeugungsarbeit es gekostet hat, bis Deutschland zu diesem Schritt bereit war. Anfang April kamen die ersten knapp zwei Dutzend Soldaten als Vorauskommando, im Herbst steigt ihre Zahl auf etwa 150. Bis die volle Brigade mit knapp 5000 Soldaten in Litauen stationiert und einsatzfähig sein wird, vergehen noch mindestens drei Jahre.

Und so fordert der Litauer vorsorglich schon mal, das Tempo zu erhöhen. "Wir können uns nicht den Luxus leisten, auch nur eine Minute zu vergeuden."

Collage mit Porträts von Merz, Klingbeil, Söder und Reiche

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Was der Präsident nicht zu Olaf Scholz sagt

Was der Präsident nicht sagt: Die Finanzierung des elf Milliarden Euro teuren Unterfangens ist noch immer nicht restlos geklärt. Allein sechs Milliarden würden für die Errichtung der notwendigen Infrastruktur benötigt, von Kasernen über Wohnungen bis hin zu Schulen und Kitas für die Soldatenkinder. Sicher ist, dass Deutschland diese Kosten nur höchst ungern allein tragen möchte. Sicher ist auch, dass ein kleines Land mit drei Millionen Einwohnern dies allein kaum schaffen könnte.

Finanzierungsfragen kommen für Politiker eigentlich immer ein wenig ungelegen. Scholz erweckt auf dieser Reise den Eindruck, als freue er sich, darüber zu sprechen. So war es schon am Morgen beim Truppenbesuch. Das liegt sicher auch daran, dass ihm sehr gelegen kommt, erneut darauf zu verweisen, wie viel Deutschland bereits leiste, also zahle: Mit der Lieferung und Zusage von Waffen und Munition im Wert von insgesamt 28 Milliarden Euro "sind wir mit großem Abstand das Land, das das meiste tut, damit die Ukraine sich verteidigen kann", erklärt Scholz, gefolgt von der erneuten Mahnung, dass nun ein jeder liefern möge, was vorhanden sei.

Scholz ist bemüht, den Eindruck zu hinterlassen, dass ihm der Besuch wirklich wichtig sei. Denn Deutschland und die drei baltischen Staaten seien nicht nur Partner in der EU und Verbündete in der NATO, sie seien vor allem gute Freunde. "Freunde stehen einander bei." Und es ist ein weiterer Umstand, der diesen Eindruck unterstreicht: Eigentlich, so ist zu hören, hatte Emmanuel Macron den Kanzler spontan nach Paris eingeladen, um gemeinsam mit dem chinesischen Präsidenten zu Abend zu essen. Aber Macrons Idee kam ein wenig zu spontan, um einen litauischen Präsidenten und drei baltische Regierungschefinnen mal eben zu versetzen. Das hier, so soll die Botschaft lauten, das hier geht vor. 

"So", sagt der Kanzler zum Schluss des Statements auf dem Truppenübungsplatz, "und nun möchte ich mir gemeinsam mit meinem Freund hier ein Bild von der Leistungsfähigkeit der 10. Panzerdivision machen." Sprach's und stieg in das gepanzerte Ungetüm.