Als hätte Olaf Scholz dieser Tage nicht schon genug zu tun, bahnt sich erneut Ärger an. Und der hat direkt mit dem Kanzler selbst zu tun. Wie der "Spiegel" berichtet, hat der Strafverteidiger Gerhard Strate bei der Hamburger Staatsanwaltschaft Strafanzeige gegen Olaf Scholz und Hamburgs Ersten Bürgermeister Peter Tschentscher gestellt. Ihnen wird "Beihilfe zur Steuerhinterziehung" vorgeworfen. Scholz wird zudem falsche uneidliche Aussage vorgeworfen, berichtet der "Spiegel" unter Berufung auf die 36-Seiten lange Anzeige.
Die Anzeige hängt mit den "Cum-Ex"-Geschäften zusammen. Dabei schoben Banken und andere Finanzakteure Aktien mit ("cum") und ohne ("ex") Ausschüttungsanspruch rund um den Dividendenstichtag hin und her. Mit dem Verwirrspiel wurde der Staat dazu gebracht, Kapitalsteuern zu erstatten, die nie bezahlt worden waren. Die Kosten belaufen sich auf einen zweistelligen Milliardenbetrag. Mehrere Gerichte und Staatsanwaltschaften arbeiten den Cum-Ex-Skandal seit Jahren auf.
Der Bundesgerichtshof hatte die Finanzgeschäfte vergangenes Jahr als illegal bezeichnet. Zwei ehemalige Warburg-Banker, die in Cum-Ex verwickelt waren, wurden zu einer mehrjährigen Haftstrafe verurteilt.
Olaf Scholz will nichts gewusst haben
Olaf Scholz und Peter Tschentscher, beide SPD-Politiker und damals Bürgermeister oder Finanzsenator, sollen es 2016 versäumt haben, 47 Millionen Euro von der Hamburger Privatbank M.M. Warburg & Co. zurückzufordern. Eine Summe, die dem Kreditinstitut im Zusammenhang mit den Cum-Ex-Geschäften vom Finanzamt erstattet worden war. Auf eine Rückforderung des Geldes hatte das Hamburger Finanzamt später verzichtet, weil man davon ausging, dass die Sache verjähren würde. Die Staatsanwaltschaft Hamburg erhielt bisher mehrere Anzeigen gegen die beiden Politiker. Einen Anlass für Ermittlungen sahen die Behörden bisher nicht.
Zudem will vor allem Olaf Scholz von dem Skandal nichts gewusst haben. Beide Politiker beteuerten zudem, die Geschäfte nicht beeinflusst zu haben. Doch es gibt einen Haken: Der Aufsichtsratsvorsitzende der Bank, Christian Olearius, war zweimal beim damaligen Bürgermeister Scholz vorstellig geworden.
Der hatte vor dem Bürgerschafts-Untersuchungsausschuss, der sich in Hamburg mit dem Fall beschäftigt, jedoch mehrfach bekräftigt, sich nicht an Gespräche mit Warburg-Banker Olearius erinnern zu können. Dies sei "falsch", so Strate. Scholz sei zur Vorbereitung eines Gesprächs mit dem Aufsichtsratsvorsitzenden der Bank durch ein "Papier aus der Wirtschaftsbehörde instruiert worden". Die Cum-Ex-Geschäfte seien darin bereits in der ersten Zeile als "möglicher Ansprechpunkt", genannt worden. Zudem habe das Papier Hinweise darauf enthalten, dass die Warburg Bank möglicherweise "in kriminelle Aktiengeschäfte" verwickelt sei.
Strafverteidiger Strate schlussfolgert deshalb: "Eine völlige Erinnerungslosigkeit – wie sie Olaf Scholz für sich in Anspruch nimmt – ist eine Erscheinung, die in der Aussage- und Gedächtnispsychologie nur im Rahmen einer sog. Posttraumatischen Belastungsstörung gelegentlich diagnostiziert wird. Dafür gibt es hier keine Anhaltspunkte."
"Ein unrühmliches Novum in Deutschland"
Der Strafverteidiger geht laut Anklagedokument zudem davon aus, dass "die kriminelle Einbettung dieser Geschäfte" Ende 2016 bereits auf der Hand gelegen habe. Dass Olearius damit argumentiert habe, die Bank habe sich darauf verlassen, dass die fällige Kapitalerstragssteuer durch eine beteiligte Partnerbank bezahlt worden sei, könne "nur ungläubiges Staunen hervorrufen". Immerhin habe die Bank in ihrere Steuererklärung "die Abführung der Kapitalerstragsteuer (...) als tatsächlich gegeben behauptet". Obwohl sie "gar kein Wissen darüber gehabt habe" zitiert der "Spiegel".
Dass der damalige Finanzsenator und heutige Bürgermeister Tschentscher damit argumentiert, der Senat habe die Finanzämter "nach Recht und Gesetz ihre Arbeit machen lassen", ohne jegliche politische Einflussnahme, bezeichnet Strate zwar als "gefällig". Allerdings habe das "mit Recht und Gesetz nichts zu tun". Der Hamburger Senat bildet nicht nur die Landesregierung, sondern auch die Verwaltungsspitze, argumentiert Strate und beruft sich hierbei auf die Hamburger Landesverfassung. Demnach sei der Finanzsenator für die Dienst- und Fachaufsicht der Finanzämter zuständig und auch dazu berechtigt, "rechtswidriges Handeln zu unterbinden, wenn er davon Kenntnis erlangt".
Eine erste Reaktion kam bereits aus der Opposition. CDU-Politiker Richard Seelmaecker, der auch Obmann seiner Fraktion im U-Ausschuss ist, bezeichnete Scholz im "Spiegel" als "einen unglaubwürdigen Bundeskanzler". Sollte die der Tatverdacht hinreichend sein, müsste Scholz auf die Anklagebank – "ein unrühmliches Novum in Deutschland".
NRW bemüht sich um härtere Strafen für Steuerhinterzieher
Der Fall weitet sich indes immer weiter aus. Zuletzt hätten sich Anzeigen wegen des Verdachts auf Geldwäsche gehäuft, berichtet das "Handelsblatt". Bei der Financial Intelligence Unit (FIU), einer Spezialeinheit des Zolls, hätten Geldhäuser eine dreistellige Zahl solcher Anzeigen gestellt. Ein Behördensprecher wollte die Zahl nicht kommentieren. Fest steht aber, dass es sich bei den Anzeigen um Fälle im Zusammenhang mit Cum-Ex-Aktiengeschäften handelt. Die dabei erfolgten Hinterziehungen von Kapitalertragssteuern seien "taugliche Vortaten einer Geldwäsche", hieß es. Die FIU ist keine Ermittlungsbehörde, prüft aber die vorliegenden Anzeigen. Wenn sie zu dem Ergebnis kommt, dass Geld gewaschen wurde, schaltet sie die zuständigen Staatsanwaltschaften ein.

Das Bundesland Nordrhein-Westfalen bemüht sich unterdessen um schärfere Strafen für Steuerhinterziehungen mit Cum-Ex-Aktiengeschäften. Bisher werden Cum-Ex und ähnliche Fälle nicht ohne Weiteres als besonders schwere Fälle der Steuerhinterziehung eingestuft. Das soll sich ändern. Zwar hatte der Bundesrat einem solchen Antrag des Landes laut NRW-Justizministerium bereits 2020 zugestimmt. Der Bundestag hatte ihn in der alten Legislaturperiode aber nicht mehr beraten. Daher bringe Nordrhein-Westfalen den Antrag nun erneut in den Bundesrat ein, kündigte NRW-Justizminister Peter Biesenbach (CDU) an. Allein in Köln wird derzeit gegen 1300 Beschuldigte aus der Finanzbranche ermittelt.
Quellen: "Der Spiegel", mit Material von DPA und AFP